Meinungsforscher im InterviewBeeinflussen Sonntagsfrage und Flut die Bundestagswahl?
Wie wichtig sind Umfragen für die Wahl? Einer der führenden Meinungsforscher Deutschlands tritt der Ansicht entgegen, Sonntagsfragen würden das Verhalten an der Urne beeinflussen – und erklärt, welche Folgen die Flut für die Politiker haben könnte.
Herr Güllner, das Magazin Cicero hat Sie mal als Gerhard Schröders Hof-Demoskopen bezeichnet. Ihnen wurde immer wieder vorgeworfen, zu SPD-nah zu sein. Wie sehen Sie das?
Da muss man differenzieren. Es ist kein Geheimnis, dass ich zu Gerhard Schröder ein gutes Verhältnis hatte. Das hat er ja selbst auch öffentlich gemacht. Das hat mir aber nicht gerade die Zuneigung der SPD eingebracht – die beschimpft mich eher, weil ich angeblich zu schlechte Zahlen für sie verkünde.
Dass ich seit über 50 Jahren selbst Mitglied der SPD bin, ist ja bekannt. Und auch andere Demoskopen sind Parteimitglieder – meist in der CDU. Das ist nicht unnormal. Man darf natürlich nicht seine Forschung von seiner persönlichen Meinung beeinflussen lassen.
Sind Meinungsforscher objektiv?
Das sollten sie sein. Es ist ja schon schwer genug, die Realität eins zu eins so einzufangen, wie sie wirklich ist. Wir können da nur Näherungswerte liefern, aber genau dazu sind Instrumente entwickelt worden, die eine neutrale Beobachtung möglich machen
Im Politikstudium habe ich mal gelernt, dass manche Institute in Umfragen einfach fünf Prozent auf die FDP schlagen, weil die Stichprobe für kleinere Parteien nicht genügend Material hergibt. Auch über Ihre Arbeit ist zu lesen, dass Sie Abstimmungen gewichten. Was bedeutet das? Wie entsteht denn ein Sonntagsfragen-Ergebnis?
Bei jeder Stichprobe sind Abweichungen von der Grundgesamtheit möglich. Wenn wir Wahlberechtigte befragen, müssen wir sicherstellen, dass die Alters-, Berufs- und Bildungsgruppen entsprechend vertreten sind. Dabei kann es sein, dass wir zum Beispiel mal zu wenig mittelalte Wahlberechtigte haben.
Dann müssen wir sicherstellen, dass deren Meinung ihrem Anteil entsprechend berücksichtigt wird. Ein Beispiel: Wenn man fragt, ob jemand ein Auto kaufen will, sagen vielleicht 38 Prozent Ja. Darunter sind dann aber möglicherweise viele Frauen über 80, die gar keinen Führerschein haben. Die kann ich nicht als potenzielle Autokäufer werten, sondern muss sie rausrechnen.
So ist es auch bei den Parteien. Bei der FDP sehe ich das Problem weniger, eher bei den rechtsradikalen Parteien. Da gibt es diese Probleme, weil sich potenzielle Wähler nicht befragen lassen oder nicht zu ihrer Präferenz bekennen, und daraus folgt eine Dunkelziffer. Hier muss man gewichten und aus der Erfahrung lernen.
Welche weiteren Faktoren erschweren die Erhebung?
Ein Problem bei Umfragen zur Bundestagswahl ist, dass es die Deutschen nicht zugeben, wenn sie nicht zur Wahl gehen. Sie geben dann an, eine Partei wählen zu wollen, nehmen aber gar nicht an der Wahl teil. Das macht es für uns schwierig und bedeutet eine Unschärfe, die wir nicht ausgleichen können.
Schon in den 70er-Jahren, als ich noch beim Meinungsforschungsinstitut Infas war, haben wir Nichtwähler befragt. Wir hatten aus Wählerverzeichnissen rausgeschrieben, wer nicht teilgenommen hatte, und haben diese Menschen aufgesucht und nach ihrer Wahl befragt. Jeder Zweite hat selbst dann noch nicht zugegeben, dass er nicht gewählt hatte.
Kritiker argumentieren, abgestimmt werde am Wahltag und regelmäßige Sonntagsfragen gefährdeten die Demokratie – etwa weil Politiker sich populistisch verhielten oder weil Wähler am Wahltag taktisch wählten statt eine Partei, mit der sie übereinstimmen. Wie sehen Sie das?
Man kann das am Beispiel der USA sehen: Da ist das Ergebnis in Florida schon bekannt, bevor in Kalifornien gewählt wird. Die Kalifornier haben sich aber nie davon beeinflussen lassen. In Deutschland wurden in manchen Wahlkreisen Wahlen wiederholt, etwa, weil der dortige Kandidat verstorben war. Das Ergebnis lag aber jedes Mal genauso im Trend wie bei der Bundestagswahl ein paar Wochen zuvor.
Es gibt empirische Untersuchungen dazu, die zeigen, dass Umfragen das Wahlverhalten in Deutschland nahezu nicht verändern. Es gibt nur eine Gruppe, nämlich in der Schnittmenge von Unions- und FDP-Wählern, die überlegt, ob sie die FDP wählt oder nicht – nämlich wenn die Partei bei um die vier Prozent liegt –, um die Liberalen ins Parlament zu bringen oder eine Koalition zu ermöglichen. Und unterm Strich sind Umfragen doch eine wichtige Informationsquelle für die Menschen.
Wie sehr beeinflussen Fragen die Antworten, also wie wichtig ist es, gute Fragen zu stellen?
Das ist sehr wichtig. Es gehört zu einem guten Forscher, dass er Fragen so formuliert, dass sie keine Suggestivfragen sind. Sicher können wir Fehler machen und in Nuancen nicht neutral genug formulieren, oder dass wir den Ausstrahlungseffekt einer Frage zur anderen nicht gesehen haben.
Aber es gehört zum Handwerkszeug, das so gut wie möglich zu vermeiden. Wenn ich etwa frage, wie etwas eingeschätzt wird, das Frau Merkel vorgeschlagen hat, messe ich nicht die Einstellung zum Thema selbst, sondern Sympathien für Merkel. Stattdessen muss ich neutral fragen: Es wurde vorgeschlagen, dass…
Schaden die Spitzenkandidaten von Union und Grünen ihren Parteien, oder gleichen sie sich einfach aus?
Wir sehen, dass nach der Nominierung von Armin Laschet viele Wähler zunächst enttäuscht waren, weil sie Söder vorgezogen hätten. Selbst von den CDU-Mitgliedern hätte sich nur ein Viertel für Laschet entschieden. Das hat die Werte der Union runtergezogen. Nun sehen wir eine Art Gewöhnungseffekt. Die CDU-Anhänger haben akzeptiert, dass sie Söder nicht bekommen, und Laschet ist ja auch kein Bösewicht.
Bei Annalena Baerbock konnten wir dagegen sehen, dass sie mit hohen Erwartungen an ihre Person gestartet ist. Sie hatte ein positives Profil, galt als Vertreterin eines modernen Politikstils, als vertrauenswürdig. Dieser Nimbus hat sich durch die Summe der Fehler, die sie gemacht hat, schnell verflüchtigt. Dadurch sind viele frühere CDU-Wähler, die aus Frust über Laschet zu den Grünen gewandert waren, wieder zur Union zurückgekehrt.
Hat sich all das nun eingependelt?
Ja, das hat es. Die Wanderungen zwischen den Parteien haben sich deutlich beruhigt; man muss aber jetzt abwarten, wie sich die Hochwasserkatastrophe auf die Meinungsbildung auswirkt.
Gibt es denn Erfahrungswerte dazu, welche Auswirkungen die Flut auf die Bundestagswahl haben könnte?
Ja, die gibt es: 2002 hat sich Gerhard Schröder mit dem Thema Flut, allerdings auch mit dem Thema Irak gerettet. Dadurch lag die SPD dann knapp vor der CDU. Das spielte sich allerdings damals erst kurz vor der Wahl ab. Jetzt könnte es sein, dass die Grünen davon profitieren, weil klar wird, welche Folgen der Klimawandel haben könnte.
Auf der anderen Seite traut man den Grünen nicht unbedingt zu, etwas verändern zu können. Da profitiert wiederum die Exekutive und damit die Union, weil deren politische Kompetenz höher eingeschätzt wird. Man muss beobachten, ob sich diese Effekte neutralisieren. Meine Hypothese wäre, dass die Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe nur minimal sein werden.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Schmerzen Sie die Umfrageergebnisse der SPD?
Als Forscher muss ich da neutral sein. Aber als Demokrat schmerzt mich, dass eine altehrwürdige Partei, die für die Stabilität im Nachkriegsdeutschland wichtig war und die dazu beigetragen hat, dass sich die Deutschen von Untertanen zu Staatsbürgern entwickelt und die Demokratie wirklich verinnerlicht haben, so sehr Vertrauen verloren hat.
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Allerdings hält sich mein Mitleid etwas in Grenzen, denn sie sind selbst daran schuld. Meine Frau hat mich kürzlich gezwungen, etwas aufzuräumen. Da habe ich viele Unterlagen gefunden: Ich habe schon früh darauf hingewiesen, was die SPD hätte berücksichtigen müssen, aber sie hat das nie berücksichtigt. Jetzt bekommt sie die Quittung.