Die Retrospektive Katharina Sieverdings in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf präsentiert monumental angelegte Werke, die sowohl in Formaten als auch in Anspruch an Gerhard Richters Schau erinnern.
Kunstsammlung NRWKatharina Sieverdings monumentale Werke im Fokus
Dieses Großfoto spannt sich mit zwölf mal 19 Metern unter der gläsernen Kuppel des Düsseldorfer Ständehauses riesig auf. Auf dem Bildbanner nimmt „Enola Gay“ Kurs auf Hiroshima, jener US-Bomber, der 1945 Atombomben über der japanischen Metropole abwerfen wird. „Die letzten Knöpfe sind gedrückt“: Das Schicksal nimmt seinen zerstörerischen Lauf. Das will die Aufschrift auf dem Banner wohl sagen.
Katharina Sieverding ist Katharina die Große. Für ihre Bildformate gilt das allemal, für die Unbedingtheit ihrer Botschaften auch. Ihr Bomber-Bild mit dem massigen Titel „Kontinentalkern XXIV/83“ dominiert das Foyer des Hauses K 21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, den ehemaligen Landtag. Kunst in der einstigen politischen Schaltzentrale: Sieverding gibt es nicht ohne ihren unbedingten Willen zur Wirkung.
Wer will, mag solche Motive plakativ finden. Und egozentrisch. In der Düsseldorfer K 21, dem Haus der Kunstsammlung für das 21. Jahrhundert, hat Sieverding ihre Retrospektive selbst arrangiert. Riesenformate, mitten auf die Wände über Augenhöhe gehängt: Die Präsentation ist von jenem Durchsetzungswillen angetrieben, den die junge Künstlerin brauchte, um sich Ende der sechziger Jahre in der Männerwelt der Kunst durchzusetzen.
Nervenpunkte der Zeitgeschichte
Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung, und Kuratorin Isabel Malz feiern mit der Retrospektive für Katharina Sieverding auch eine Düsseldorfer Erfolgsgeschichte. Sicher, die Künstlerin hat zwischen 1972 und 1982 drei Mal an der Kasseler Documenta teilgenommen, 2004 mit dem Kaiserring in Goslar eine der höchsten Auszeichnungen der Kunstwelt erhalten. Aber in Düsseldorf wohnt die 1941 in Prag geborene Sieverding noch immer, seit ihrem Studium an der Akademie.
Retrospektiven sind keine Festakte, sie sind Stunden der Wahrheit. Wenn Arbeiten aus Jahrzehnten an einem Ort, in einem Moment versammelt werden, zeigt sich, ob ein Werk hält. Katharina Sieverdings Auftritt in der K 21 gerät so monumental wie eine Schau Gerhard Richters. Das gilt für die schieren Formate wie für den ästhetischen und inhaltlichen Anspruch. Gerhard Richter ist das Auge seiner Epoche. Katharina Sieverding kommt diesem Anspruch zumindest nahe.
Gerade im Rückblick zeigt sich, dass sie mit ihren zentralen Bildern – und darin Richter ganz ähnlich – die Nervenpunkte der Zeitgeschichte getroffen hat. Ihr Foto „Deutschland wird deutscher“ löst 1992 Kontroversen aus. Heute wirkt das Bild wieder brisant, weil es auf den Punkt bringt, was inzwischen wieder so bedrängend nah ist wie zur Zeit der ausländerfeindlichen Ausschreitungen und Anschläge von Rostock, Hoyerswerda oder Solingen: Fremdenhass und politisch motivierte Gewalt.
Das Bild als Blick auf die Wirklichkeit?
Katharina Sieverdings Werk geht allerdings nicht in bloßer Botschaft auf. Sie experimentiert mit dem Medium der Fotografie, arbeitet mit Mehrfachbelichtungen und Überblendungen. Die Künstlerin will wissen, ob das Bild den Blick auf die Wirklichkeit öffnet oder womöglich doch verstellt. Deshalb zieht sie Medienbilder so weit auf wie mikroskopische Bilder der medizinischen Diagnostik. Sie arbeitet mit Unschärfen, mit Wischern und Vergrößerungen – ganz wie Gerhard Richter in der Malerei.
Sieverding geht auf's Ganze ihrer Kunst. Ihre Arbeit am Theater, ihre Berührung mit der Welt der Medizin, ihre wilden Jahre in der Akademieklasse von Joseph Beuys – all das wirkt im Rückblick wie die Inkubationszeit einer Frau, die früh gelernt hat, sich nicht zu verstecken, sondern hinauszugehen, die Bühne zu besetzen und Gesicht zu zeigen.
Selbstbildnis als Selbstbefragung
Das versteht sie wörtlich. In endlos scheinenden Bildstrecken zeigt sie immer wieder das eine Motiv: sich selbst. Das eigene Bildnis als solar durchlichtete Sonnenscheibe oder als androgyne Überblendung mit dem Porträt ihres Lebensgefährten Klaus Mettig: Katharina Sieverding kombiniert bohrende Selbstbefragung und strahlende Selbstvermarktung in wirklich virtuoser Weise. Wer Kunst machen will, darf keine Angst vor Wirkung haben. Auch das ist von dieser Künstlerin zu lernen.
In der Düsseldorfer Retrospektive wird Katharina Sieverdings Werk als leuchtende Zeitspur sichtbar. Die frühen Polaroids, die die Kunststudentin 1969 zur Wandzeitung an der Düsseldorfer Akademie arrangiert, kehren als Installation im Ausstellungsraum wieder – und mit ihnen die Erinnerung an eine wilde Aufbruchszeit der Kunst. Diese Energie durchpulst Sieverdings Werk bis heute. Es gehört nicht zu den kleinsten Verdiensten der Düsseldorfer Schau, etwas von dieser Energie wieder spürbar werden zu lassen. Wie wohltuend.
Bis 23. März 2025. Di bis So, 11–18 Uhr. Katalog zur Ausstellung: 36 Euro.
Ausgezeichnet
Zu den vielen Preisen, die Katharina Sieverding im Laufe der Jahre erhalten hat, gehören unter anderem der Cologne Fine Art & Antiques Preis (2008) oder der Käthe-Kollwitz-Preis der Berliner Akademie der Künste (2017). Neben ihren drei documenta-Teilnahmen wirkte sie auch dreiimal an der Biennale Venedig mit, 1997 gestaltete sie mit Gerhard Merz den deutschen Pavillon.
Ihre Arbeiten finden sich in vielen deutschen, aber auch internationalen Museen, darunter das Stedelijk Museum (Amsterdam) oder das Museum of Mordern Art (New York). (EB)