AboAbonnieren

Nahost-KonfliktWie Kulturbetriebe und Unis mit der Kommunikation zu Israel umgeben

Lesezeit 6 Minuten
Menschen nehmen in Syndey an einer Demonstration zur Solidarität mit Israel teil.

Menschen nehmen in Sydney an einer Demonstration zur Solidarität mit Israel teil.

Die Kommunikation über den Nahost-Konflikt spaltet die Meinungen in zahlreichen Kulturbetrieben und Universitäten.

Werden beide Seiten, Israelis wie Palästinenser, genug gehört? Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek löste bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Empörung aus, als er in seiner Rede ein „Analyseverbot“ im Nahost-Konflikt bemängelte. Zwar sagte er, dass er die Angriffe der Hamas auf die israelische Bevölkerung verurteile. Aber man müsse auch den Palästinensern zuhören und deren Hintergrund betrachten, wolle man den Konflikt verstehen.

Offener Brief der Hollywoodstars

Hessens Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker (CDU) widersprach daraufhin lautstark. „Auch das freie Wort hat dort eine Grenze, wo es in einem Kontext Dinge relativiert, verharmlost und gleichsetzt, wo man sie nicht gleichsetzen kann“, sagte Becker anschließend der dpa.

Historiker Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main, antwortete auf Zizeks Forderung, dass alles kontextualisiert werden müsse: „Womöglich stimmt das. Aber ich merke, wie schwer es mir fällt.“ Er brauche einen Grundkonsens: dass bei den Massakern am 7. Oktober „das absolut Böse“ am Werk war. „Da braucht es keine Kontextualisierung. Darüber kann man nicht diskutieren. Aber wenn wir diese gemeinsame Grundlage haben, können wir über alles reden“, sagt Mendel.

Hollywoodstars wie Michael Douglas, Jamie Lee Curtis oder Amy Schumer verurteilen den Hamas-Angriff auf Israel in einem offenen Brief. Doch neben zahlreichen Solidaritätsbekundungen mit Israel ist der Westen mit einer Welle propalästinensischer Demonstrationen konfrontiert, in der die Mengen „Freies Palästina“ skandieren. Dabei gleichen sich die Szenen in London, Sydney oder Berlin. Dass der Nahostkonflikt auf deutschen Straßen ausgetragen wird, ist aber nicht neu.

Ihre Teilnahme an einer solchen Demonstration kostete die palästinensisch stämmige Journalistin und Ärztin Nemi El-Hassan vor zwei Jahren den Job. Die damals 28-Jährige sollte als Moderatorin der WDR-Wissenschaftssendung „Quarks“ anfangen. Nach Bekanntwerden der Zusammenarbeit wurden Antisemitismusvorwürfe laut. Die Bildzeitung hatte über die Teilnahme El-Hassans an einer Al-Kuds-Demo in Berlin 2014 berichtet. Dort waren immer wieder Symbole der pro-iranischen libanesischen Hisbollah-Bewegung gezeigt worden. El-Hassan entschuldigte sich in der „Berliner-Zeitung“ für ihre öffentliche Teilnahme. Der WDR erteilte der Zusammenarbeit eine Absage.

Im Netz nimmt der Krieg der Worte und Bilder an Fahrt auf. Die Landesmedienanstalten melden der EU nun 160 Fälle, in denen zum Krieg in Nahost auf Plattformen im Netz Antisemitismus und Gewaltverherrlichung verbreitet werden. Auch im Umfeld der Universitäten und Akademien spaltet der Konflikt Generationen.

Brutalität der Bilder

Die berühmte Harvard-Universität geriet zum Brennpunkt der Auseinandersetzung um den Krieg zwischen Israel und der Hamas, nachdem Studentengruppen eine Erklärung unterzeichneten, in der sie Israel verantwortlich machen, während sie die Hamas nicht verurteilen. Wohlhabende Harvard-Absolventen und Spender sowie einige Unternehmen zogen daraufhin Stellenangebote für Studenten zurück, die mit der Erklärung in Verbindung gebracht wurden.

Ähnliche Situationen sind an anderen Universitäten zu beobachten. Die beiden Documenta-Kuratoren Reza Afisina und Iswanto Hartono erhielten nach dem Antisemitismus-Skandal vor einem Jahr eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Nun likten die beiden einen Beitrag über propalästinesische Demonstranten in Berlin.

Der Augsburger Journalist Simon Jacob fordert in dem Zusammenhang, sich stärker mit der Brutalität der Bilder auseinanderzusetzen. In Syrien geboren, verfügt er dort, wie auch im Iran und Irak über Netzwerke. 2015 führte er als „Peacemaker“, ein Projekt des Vereins orientalischer Christen, westliche Journalisten im Nahen Osten an Orte, die für andere Westler unerreichbar sind: „Mich hat es emotional heruntergerissen, als ich das Ausmaß des Angriffs der Hamas erfasst habe. In ihrem Akt steht sie dem IS in nichts nach“, erklärt er gegenüber der Rundschau.

Sein Wunsch, solche Bilder nicht mehr sehen zu müssen, erfüllte sich nicht. „Die Brutalität, mit der die Hamas vorgegangen ist, oder russische Kriegsbeteiligte in Butscha – damit müssen wir uns auseinandersetzen. Tun wir das nicht, halten wir uns weiter in unserem kuschelwarmen Umfeld auf und setzen uns nicht der Konfrontation aus“, sagt Jacob. Er fühle sich jetzt wieder an die Bilder von 2015 erinnert und sei erschüttert, dass die Welle herüberschwappt.

Selbst in Deutschland bejubelten Menschen, von denen man es eigentlich anders erwartet hätte, den Hamas-Terror. „Sie tanzten und verteilten Süßigkeiten wie in Berlin-Neukölln“, so der Journalist. Inzwischen liege zwar eine Anzeige wegen „Billigung von Straftaten“ vor und die Polizei ermittle. Proaktiv müssten jetzt aber nach Ansicht Jacobs mediale Plattformen eingerichtet werden, die im Netz gezielt aufklären: „Wir müssen öffentlich mit den Tanzenden in Dialog treten und fragen, ob sie auch noch tanzen würden, wenn man ihren Angehörigen solche Gräuel angetan hätte.“

Doch in vielen Kulturbetrieben herrscht Sprachlosigkeit. Oder es wird peinlich wie beim Autor Richard David Precht, der im ZDF-Podcast Plattitüden über orthodoxe Juden verbreitete. Kurz darauf erklärte er den sofortigen Rückzug von seiner Honorarprofessur an der Leuphana-Universität Lüneburg. In einem Beitrag der in Berlin erscheinenden „Jüdischen Allgemeine“ beklagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein „Schweigen aus dem Kultursektor“ zum Terror der Hamas gegen Israel. Für die Mitglieder der jüdischen Gemeinden bleibe „das Gefühl, ja die Gewissheit, allein zu bleiben, genau dann, wenn Anteilnahme und Identifikation so gebraucht werden.“

Worte des Trostes

Worte des Friedens und des Trostes Die Autorenvereinigung PEN ringt mit Blick auf den Krieg in Nahost um Worte: „Angesichts des brutalen Überfalls der Hamas auf ein Musikfestival, auf Kibbuzim und Dörfer in Israel am 7. Oktober und der andauernden Bombardierung des Gazastreifens fragen wir uns, welche Worte des Friedens und des Trostes wir als Schriftstellerinnen und Schriftsteller überhaupt finden können“, erklärte das Präsidium des PEN-Zentrums in Darmstadt. Es sieht einen kleinen Hoffnungsschimmer. Denn so wie Worte Macht hätten, zum Töten aufzuhetzen, könnten sie „gleichermaßen mächtig sein, das Töten von Menschen zu verhindern und sich dem Leben zu verschreiben.“

So macht es Izzeldin Abduelaish. Der in Kanada lebende palästinensische Arzt appelliert in seinem Buch „Ich werde nicht hassen“, das vor einem Jahr im Hamburger Verlag Langen Müller erschienen ist, an eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. „Ich werde nicht hassen“ – das waren die ersten Worte, die er in einem Interview sagte, das kurz nach einer Bombardierung in Gaza aufgenommen wurde, bei dem drei Töchter und eine Nichte starben.

Er kennt den Alltag in Gaza und das Warten an den Checkpoints aus seiner Zeit, als er als erster palästinensischer Arzt in einem israelischen Krankenhaus arbeitete. In Kanada verfolgt er ständig die Nachrichten aus seiner Heimat in Angst um seine Angehörigen. „17 Familienmitglieder, die meisten sind Kinder, wissen nicht, was als nächstes passiert, was in der Nacht und am Morgen ist“, sagte Abduelaish gegenüber der Rundschau. „Wir sind in einer schrecklichen Situation: Noch mehr Blutvergießen, Hass, Gewalt und Leid.“ (Mit dpa)