Konzert in KölnRed Hot Chili Peppers begeistern ihre Fans im Stadion
Köln – Der kleine Junge hat einen neuen Spielanzug an. Auf dem schneeweißen Stoff leuchten große Punkte in Blau, Rot und Grün, Gelb, Lila und Orange. Sie sehen aus wie bunte Luftballons. Fröhlich hüpft er über eine Blumenwiese. Das Käppi trägt er cool wie ein Großer mit Schirm nach hinten, die lila Kniestrümpfe unter den kurzen Hosen sind noch kein Stück verrutscht. Putzige Elfen umschwirren ihn, ein munteres Bächlein plätschert und – halt. Full Stop. Falscher Film. Und außerdem geklaut. Vom Anfang von „Lemony Snicket - Rätselhafte Ereignisse“ (2004).
Red Hot Chili Peppers spielen noch immer in der ersten Liga
Tatsächlich befinden wir uns im Rheinenergiestadion bei den Red Hot Chili Peppers (RHCP). Und der kleine Junge ist kein kleiner Junge, sondern ein Mann, der näher an seinem 60. Geburtstag dran ist, als davon weg. Aber wenn Anthony Kiedis um kurz vor 20.30 Uhr in eben diesem Spielanzug und eben dieser Ausgelassenheit auf die Bühne kegelt, kann der eine oder die andere unter 40.000 Fans schon Mal auf komische Gedanken kommen. Ungeachtet der Tatsache, dass Bassist Flea Balzary, Drummer Chad Smith und Gitarrist John Frusciante in den ersten fünf Minuten, noch ohne Kiedis, keinen Zweifel daran gelassen haben, um was hier geht: um Rock. Und da spielen die RHCP ganz vorne mit.
Warum das, auch nach fast 40 Jahren, noch immer so ist, beweist die Band aus Kalifornien mit einem atemberaubenden, emotionsgeladenen Konzert. Rund 110 Minuten, eindrucksdicht und bilderstark. Angesichts der Bühne, über die, von oben nach unten, ein Band verläuft, das wie eine gigantische Wäschemangel oder ein Webstuhl für Riesen in beständiger Rotation psychedelische Muster, Wellen oder Flammen in poppigen Farben vom Dach vom Bühnenhintergrund zum Bühnenrand rinnen, rollen und fließen lässt.
Die Tour
Zum ersten Mal seit fünf Jahren sind die Red Hot Chili Peppers wieder unterwegs auf Welttournee. Im Gepäck: das zwölfte Studioalbum „Unlimited Love“, das am 1. April diesen Jahres veröffentlicht wurde. Die Tour begann am 4. Juni in Sevilla und soll am 12. Februar 2023 in Perth (Australien) enden. Insgesamt sind 44 Konzerte auf drei Kontinenten geplant, 16 davon in Europa. Köln war die erste von nur zwei Station in Deutschland, am 20 Juli spielt die Band in Hamburg. (sus)
Parallel dazu werden die Körper und Gesichter von Kiedis, Balzary, Smith und Frusciante auf Großbildleinwänden wie von brennendem Zelluloid ummantelt. In Sehnen und Zellen zergliedert, mit sich von den Knochen abschabender Haut. Aufgrund des 3 D-Effekts des Rollbands, der die Augen narrt, hat das etwas von einer Graphic Novel. In der, mit Stücken wie „Nobody weird like me“, „Can’t stop“ oder „The heavy wing“, die Geschichte der Band erzählt wird, deren Gründungsmitglieder so manche Schlacht gegen die Droge geschlagen haben, die mit H beginnt. Ihre Tattoos tragen Kiedis und Balzary wie Narben.
Dabei ist der Bassist und Rekord-Hochspringer im lila Netzhemd überm schwarzen Rock, noch „Fresh like a fish“, frisch wie ein Fisch. Was wiederum als Parole auf dem T-Shirt steht, das unter Kiedis Spielanzug-Oberteil zum Vorschein kommt. Ehe er sich auch dessen entledigt und seinen durchdefinierten Oberkörper präsentiert. Während Balzary und er die Showmänner der Truppe sind, zieht Frusciante indes nicht weniger Blicke auf sich.
Zu sehen, mit welcher Hexergeschwindigkeit er seine Gitarre bearbeitet, voll konzentriert, fast versunken, wie er sie mit dem Vibratohebel aufjaulen, klagen und winseln lässt, ist ein Erlebnis. Im dunkelblauen Poloshirt mit weißen Streifen und der bollerigen Jeans hat er neben seinen Paradiesvogel-Kollegen geradezu die Anmutung eines artigen Studenten.
Drummer Smith folgt hingegen im neonfarben-klecksigen Overall dem allgemeinen Dresscode. Sein druckvolles Schlagwerk verleiht der Fusion aus Rock und Funk vortrefflich Fundament. Schon ganz am Anfang darf er bei einem Solo zeigen, was er alles drauf hat.
Mit „Californication“ ist um 21.24 Uhr ein einstweiliger Höhepunkt erreicht, ehe „It’s only natural“ vom aktuellen Album einsetzt, wie losgelöst am Anfang, fast schwebend und sich verführerisch einschmeichelnd.
Immer wieder berät sich das Quartett zwischendurch, man wundert sich darob nicht, warum die Setlisten, anders als bei anderen Bands, nicht immer identisch sind. Kann aber, auch deshalb, getrost davon ausgehen, dass hier alles wirklich live gespielt wird und nichts aus der Konserve kommt.
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Wenn es Zeit für „Give it away“ ist, beschwören die Red Hot Chili Peppers mit ihrem letzten Stück vor dem Zugabenteil noch einmal die Magie der Melange aus Blut, Zucker und Sex herauf – und wilde Jubelstürme im Publikum. Kann man das noch toppen? Ja. Man kann. Mit „By the way“ als Apotheose dieser, in Gänze, so magischen Mischung. Und mit Balzary, der auf den Händen über die Bühne läuft. Und damit die (indiskrete) Frage beantwortet, die man sich zuvor schon bei seinen Hochsprüngen gestellt hat. Trägt er etwas unterm Rock? Ja. Er trägt. Eine schlichte, schwarze Unterhose.