Pogo und PunkrockTocotronic begeistert im randvollen E-Werk in Köln
Köln – Dumm gelaufen. Und, irgendwie, auch unfair. Weil treue Fans von Tocotronic wissen, dass die Konzerte der 1993 gegründeten Band traditionell mit einem Einspieler von Ingrid Carvens Chanson „Die großen weißen Vögel“ enden, strömen sie Freitagabend gegen 22.40 Uhr scharenweise aus dem E-Werk. Um deshalb die letzte Zugabe der Hamburger zu verpassen. Bitter.
Abrechnung mit Fahrradfahrern
Im pinkfarben ausgeleuchteten Strobo-Gewitter rechnet Dirk von Lowtzow (51) noch einmal mit „Freiburg“ ab. Das knallt und wummert, steigert sich brachial: „Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse, Fahrradfahrer dieser Stadt.“
Was man, verkehrstechnisch, durchaus auch auf Köln ummünzen könnte, ist der Tatsache geschuldet, dass der Frontmann der Tocs 1993 zum Studium aus der Provinz an die Elbe zog, wo er die Kommilitonen Jan Müller und Arne Zank kennenlernte. Mit Müller am Bass und Zank am Schlagzeug, seit 2004 durch Rick McPhail (Gitarre und Keyboard) komplettiert, mauserte sich das Trio zur deutschen Vorzeigeband in Sachen Intelligenzija, gepaart mit rockigem Post-Punk und lyrischem Pop.
Tocotronic sprechen sich gegen Krieg aus
Im Gepäck haben Tocotronic ihr neuestes, Ende Januar veröffentlichtes, Album „Nie wieder Krieg“. Noch stärker als bisher beziehen sie darin Stellung. „Wer nie wieder Krieg sagt, muss auch nie wieder Faschismus sagen“, bringt das von Lowtzow auf den Punkt. Dass er zuvor der Ukraine „unsere Solidarität“ bekundet und dem Kriegsverursacher „unsere Verachtung“, versteht sich da fast schon von selbst.
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„Nie wieder Krieg“, die Parole, die 1924 erstmals von Käthe Kollwitz auf ihrem berühmten Plakat ausgegeben wurde, ist für die Band die einzig korrekte Antwort für die kleptokratischen Kreaturen dieser Welt – und deshalb widmen sie dem Widerstand auch die ersten vier Stücke des Abends: „Als wir 2018 das erste Lied geschrieben haben, wussten wir nicht, in welcher Welt wir in vier Jahren leben werden.“
Alle Generationen feierten die Band gemeinsam
Der ernste Überbau tut der Ausgelassenheit im randvollen E-Werk keinen Abbruch. Wild wogend, mit Reminiszenzen an alte Pogo-Tage, feiert die Generation 50+ mitsamt der Jugend im Publikum ab. Die Meinungsfreude von Stücken wie „Aber hier leben, nein Danke“, „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“ oder „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“ ist live noch viel ansteckender. Sirrend, pulsierend, hypnotisch, vorangetrieben von den nimmermüden Zankschen Zauberstöcken, entwickelt der Sound hier Sogkraft.
Auf ungezügelte Begeisterung stößt die 2002er-Trias „This Boy Is Tocotronic“, „Hi Freaks“ und „Neues vom Trickser“ als erster Zugabenblock. Auch bei von Lowtzow: „Danke schön. Ihr seid so toll! Fast 30 Jahre Tocotronic! Die wären nicht ohne euch!“