Konzert in Bonn25.000 Menschen zelebrieren Kraftwerk im Hofgarten
Bonn – Eine etwas in die Jahre gekommene Vision der Zukunft, die heute nicht wirklich alt aussieht, aber doch zuweilen Rührung auslöst. Als Kraftwerk anno ‘81 in „Computerwelt“ sangen: „Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard, Flensburg und das BKA haben unsere Daten da", hatten sie selbstverständlich nur die Datenkraken ihrer Zeit im Blick, wie auch anders? Und in „Computerliebe“ sucht der Einsame vor seiner Glotze nicht etwa bei Tinder nach Erlösung, sondern im „Bildschirmtext“.
Die Nostalgie spielt bei Kraftwerk immer mit
Ein bisschen Nostalgie kommt auf, auch bei der Abbildung des wuchtigen frühen „Heimcomputers“ in 3D auf der Riesenleinwand vor der Silhouette des Bonner Schlosses, die gerade noch im Restlicht der bereits untergegangenen Sonne erkennbar ist. Kraftwerk, die Band, die man vor allem mit Technik-Overkill, Neon-beleuchteten Interieurs und grausam zersiedelten urbanen Landschaften in Verbindung bringt – Stichwort Düsseldorf – nun also Open Air? Im grünen Hofgarten, in dem sich rund 25.000 Zuschauer drängen, flankiert von Fressbuden und Getränkeständen, von Devotionalien-Händlern, die T-Shirts mit „Autobahn“-Signet feilbieten?
Das akzeptiert der Besucher schneller als gedacht, denn die Elektro-Pioniere sind längst Teil einer internationalen Event-Kultur, die ihre ergrauten Helden am liebsten bei Massenveranstaltungen abfeiert, für die keine Halle groß genug wäre. Kraftwerk darf man die Aufnahme in diese Liga zweifellos gönnen. Nicht nur ihrer Texte wegen, die schon in den 70er Jahren viele Themen unserer digitalen, zunehmend vereinheitlichten und entpersonalisierten Gegenwart vorwegnahmen, sondern vor allem wegen ihres Sounds, der Techno, HipHop, House – eigentlich alles, was mit elektronisch erzeugten Beats arbeitet – inspirierte oder erst ermöglichte.
Die Musik wurde deutlich überarbeitet
Anders als bei den Texten haben die Kraftwerker da kräftig nachgearbeitet, die Rhythmen kommen druckvoller, metallischer, härter als im Original. Bei „Musique Non Stop“, „Computerwelt“ oder „Tour de France“, die nach 1980 entstanden und bei denen die Band plötzlich soundtechnisch ihren früheren Epigonen mit mäßigem Erfolg hinterher hecheln musste, wirkt sich das durchaus positiv aus.
Allerdings vermisst man den weicheren Klang des Frühwerks bei den aktuellen Interpretationen von Stücken wie „Mensch-Maschine“, „Das Modell“ oder „Trans-Europa-Express“, denen immer ein wenig von der Melancholie in der Stimme des Supercomputers Hal aus Kubricks „2001“ eingeschrieben war. Da schien es immer, als wollte er der Besatzung seines Raumschiffs sagen: „Ich muss euch jetzt ersetzen, tut mir irgendwie leid“.
Die Band Kraftwerk
Nach dem Tod von Florian Schneider 2020 ist Ralf Hütter das letzte noch verbliebene Gründungsmitglied. Die anderen „Audio Operatoren“ sind heute Fritz Hilpert, Hennig Schmitz und Falk Grieffenhagen. Wie üblich agierten sie auf der Bühne fast reglos und waren nur aus der Nähe zu unterscheiden, ließen sich teilweise von Robotern vertreten. Immerhin gönnte Hütter den begeisterten Zuschauern am Ende ein menschliches: „Gute Nacht, auf Wiedersehen.“
Der Klassiker „Autobahn“ wird gar zuhörerfreundlich um die Hälfte auf zehn Minuten gekürzt, und weil die 3D-Projektionen die Grafiken der LP aufnehmen, sieht man fröhlich Käfer und Mercedes-Limousine durchs weite Tal fahren, mit beinahe spirituellem Unterton. Da kollidiert was: Und zwar die 1974er „Naivität“ von Musik und Text mit der heutigen Wahrnehmung des Zuschauers, der anders über Verbrennungsmotoren, Geschwindigkeitsbegrenzungen und die Frage nach den wirklichen Machthabern im Lande nachdenkt.
Noch rabiater wird die Diskrepanz bei „Radio-Aktivität“, das Kraftwerk dem Publikum nicht kommentarlos zumuten möchten. Hier flackern Namen wie „Tschernobyl“, „Sellafield“ oder „Fukushima“ warnend über die Leinwand, während Ralf Hütter den gnadenlos fortschrittsoptimistischen Refrain intoniert: „Radio-Aktivität, für dich und mich im All entsteht“.
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Überhaupt könnte man ein wenig herummäkeln wegen der Projektionen, bei denen sich etwas unentschlossen Einflüsse aus russischem Konstruktivismus und Op-Art mit historischen schwarz-weiß-Filmchen abwechseln. Aber insgesamt, und das ist dann doch bemerkenswert, funktioniert der Abend im Hofgarten auch wie ein bruchloses zweistündiges DJ-Set, zeitgemäß sind Kraftwerk immer noch. Nur tanzt hier niemand - es sind ja Klassiker.