Der WDR hat einige alte TV-Shows mit Inhaltswarnungen versehen. Diese werden nun heiß diskutiert. Carolin Raab sprach darüber mit Stephan Packard, Professor für Kulturen und Theorien des Populären an der Uni Köln.
Kölner Medienprofessor im InterviewWie sinnvoll sind Triggerwarnungen?
Was halten Sie von Triggerwarnungen?
Ich halte sie grundsätzlich für sehr sinnvoll. Ich würde aber immer empfehlen, von Inhaltswarnungen zu sprechen. Das Wort „Triggerwarnung“ legt nahe, dass wir sehr spezifische, individuelle psychologische Voreinstellungen von Menschen vorausahnen können.
Aber wir können eben nicht vorhersagen, was wirklich ein Trigger für jemand anderen ist. Aber ich kann sagen, ob es besondere auffällige Inhalte gibt in dem, was ich produziert habe oder veröffentlichen möchte, und kann anderen mit einem Inhaltshinweis die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, was sie rezipieren wollen.
Was könnte man denen entgegenhalten, die sagen, dass der Konsument doch eigentlich wissen müsste, worauf er sich einlässt?
Wenn die Menschen das für eine Tugend halten, dann müssten sie eigentlich für Inhaltswarnungen sein. Denn damit stelle ich ja gerade sicher, dass jemand weiß, worauf er sich einlässt. Jemand, der Inhaltswarnungen setzt, denkt: „Das hier ist vielleicht anders, als du es erwartet hast, es ist eine Ausnahme in dem Genre oder Umfeld.“
Ein Beispiel wäre die Warnung, dass es in einem fiktionalen Werk um Suizide geht. Es kann natürlich in einem Werk über Suizid gesprochen werden, aber es ist eben nicht in jeder Serie oder jedem Film der Fall. Wer also einen entsprechenden Inhalt vermeiden möchte, ist mit einer Inhaltswarnung gut beraten.
Vor was müssen wir überhaupt warnen, wovor nicht?
Es gibt da keine absolute Grenze. Es ist auf jeden Fall gattungsabhängig. Sie werden nicht auf einen Roman draufschreiben, dass es ein Krimi ist, und dann auf der ersten Seite davor warnen, dass darin Menschen umgebracht werden. Aber man hat für gewöhnlich eine gewisse Erwartung an die jeweilige Gattung, und die kann man modifizieren.
Wirklich entscheidend sind Inhaltswarnungen in sozialen Medien geworden, wo man genau diese Vorhersagen nur noch sehr schwer treffen kann. Typischerweise wird aber gewarnt vor Gewaltdarstellungen, vor obszönen und sexuellen Darstellungen und vor starken politischen Stellungnahmen.
Inhaltswarnungen werden aber nicht nur von den Schöpfern oder Verbreitern des Werkes gemacht, sondern auch vom Publikum selbst?
Ja, das passiert ständig, zum Beispiel in Rezensionen. Manchmal kommt es zu überraschenden Effekten, wenn man nur die Inhaltswarnungen anschaut, die von der produzierenden Partei vor der Publikation präsentiert werden, denn die können ganz anders sein als die der Konsumenten, die vielleicht andere politische Ansichten haben.
Inhaltswarnungen sind nicht neu
Sind Triggerwarnungen überhaupt ein neues Phänomen? Schon in den 90ern wurde vor nicht kindgerechten Medien gewarnt.
In der jetzigen Form ist es neu, ja. Aber Kommunikation über den Inhalt anderer Kommunikationen, also Metakommunikation, gibt es prinzipiell schon seit der Antike. Dieser Medienjugendschutz hat noch einmal eine andere Qualität, weil darin zwischen zwei Gruppen unterschieden wird, was einer Zensur näher kommt.
Bereits etwa seit den 1880er-Jahren werden Erwachsene, zum Beispiel Eltern, spezifisch in einem pädagogischen Kontext von anderen Erwachsenen gewarnt, bestimmte Inhalte nicht ihren Kindern zu zeigen. Das wiederum ist eine Adaption von Warnungen, die es etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts gab, wonach Männer nicht zulassen sollten, dass Frauen bestimmte Romane lesen, etwa solche, in denen Liebschaften sentimental dargestellt wurden.
Können Triggerwarnungen ein Angriff auf die (Kunst-)Freiheit sein oder ein Versuch, dem Konsument eine bestimmte Denkweise „aufzudrücken“? Zum Beispiel wie jetzt bei den alten Harald Schmidt- oder Otto Waalkes-Shows beim WDR.
Ich denke, in den allermeisten Fällen nicht. Es geht ja gerade darum, den Konsumierenden mehr und nicht weniger Handlungs- und Entscheidungsmacht darüber zu geben, was sie rezipieren wollen und was nicht. Auf einigen FanFiction-Plattformen und neueren sozialen Medien gibt es etwa die Möglichkeit, die Warnungen auszublenden. Aber selbst wenn man den Hinweis nicht abschalten kann - ist er in seiner Kommunikation über den Erwartungshorizont etwa der Harald-Schmidt-Sendung nichts Ungewöhnliches.
Nach dem Hinweis kommt der Vorspann, dann kommen die ersten 30 Sekunden, die einem sagen, um was für eine Art Sendung es sich handelt. Bei Comedyshows hat man zusätzlich die Lacher vom Publikum oder vom Band, die ständig sagen: „Das war doch jetzt wohl witzig“, die also sagen, wie die Produktion verstanden werden will. Das ist alles Metakommunikation, aber nichts davon schränkt unsere Freiheit ein.
Kontext herstellen ist wichtig
Ersetzt eine Triggerwarnung ein Umschreiben oder Umschneiden, oder gar die Verbannung eines Werks? Stichwort Winnetou.
Ein Verbannen auf jeden Fall. Zensur im strengeren Sinne, also von einer staatlichen oder anderen Gewalt ausgehend, geht typischerweise schief. Aber es ist eben keine Zensur, wenn ein Verlag sich entscheidet, ein paar begleitende Worte zu einem Karl-May-Roman sagen zu wollen, den er neu aufgelegt hat. Eine Inhaltswarnung ersetzt aber auch nicht weitere Schritte, sondern sie weist darauf hin, dass andere Schritte nötig sind.
Es gibt einen verwandten Fall, Pippi Langstrumpf. Selbst ohne das rassistische N-Wort in dem Roman hat man immer noch eine Geschichte, die einen privilegierten weißen Kolonialherren feiert, der Reichtümer aus den Indigenen herausgepresst hat und sie an seine Nachkommen in Europa vererbt. Das Wort ist nur ein Symptom davon, worum es in der Geschichte geht.
Auch hier ist Zensur keine Hilfe, aber eine weitere Auseinandersetzung damit, worum es in der Geschichte geht, wäre auf jeden Fall sinnvoll. Eine Inhaltswarnung könnte genau helfen, diese Zusammenhänge herzustellen.
Mit Kindern über problematische Inhalte sprechen
Wie könnte man sich mit so einem problematischen Narrativ auseinandersetzen? Sollte man ein begleitendes Vorwort hinzufügen?
Das ist sicher eine Möglichkeit, um einen historischen Kontext herzustellen. Ich würde zusätzlich versuchen, andere, diverse Stimmen dazu hörbar zu machen. Das könnte immer noch kindgerecht sein, oder sonst müsste man das Buch eben als Jugend- und nicht mehr als Kinderliteratur empfehlen. Wenn es schon als Jugendliteratur kuratiert ist, geht man da ja auch mit ganz anderen Erwartungen heran.
Auch hier geht es nicht um Zensur: Wenn Eltern sagen, sie wollen das Buch trotzdem schon mit ihrem siebenjährigen Kind lesen, dürfen sie das ja immer tun. Man kann aber auf Inhalte hinweisen, die sie mit ihren Kindern vielleicht diskutieren wollen. Auch sonst können Inhaltswarnungen auch Erwachsenen dabei helfen, zu entscheiden, wann und wie und nicht nur, ob man etwas ansehen will: zum Beispiel will jemand vielleicht manches Schwierigere weniger nachts vor dem Einschlafen sehen, später mal wach und konzentriert dagegen gerne.
Die Diskussion um Triggerwarnungen
Der Begriff „Triggerwarnung“ leitet sich vom englischen Begriff „to trigger“ ab, was so viel wie „auslösen“ bedeutet. Mit solchen Warnungen vor Filmen, Serien, Büchern, TV-Shows oder Theaterstücken soll vor Inhalten oder Reizen gewarnt werden, etwa Rassismus, Sexismus, Gewalt- oder Suiziddarstellungen. Damit soll verhindert werden, dass solche Passagen auf manche Zuschauer, die schlechte Erfahrungen mit diesen Themen gemacht haben, im Extremfall retraumatisierend wirken.
Anstoß der aktuellsten Debatte um Triggerwarnungen war die Entscheidung des WDR, vor einigen Folgen der „Otto-Show“ mit Otto Waalkes aus den 70er Jahren sowie von „Schmidteinander“ mit Harald Schmidt aus den 90ern Hinweise einzublenden. Dort werden die Zuschauer darauf aufmerksam gemacht, dass (nicht näher definierte) Passagen der Shows heute als diskriminierend betrachtet werden könnten. Gekürzt wurden die betreffenden Sendungen allerdings nicht. (crb)