Marius Müller-Westernhagen ließ keinen Zweifel daran, dass er immer noch Klartext reden kann. Der Abend zieht einen Schaffensbogen von den 1970ern bis der beginnenden 2020er reicht.
Konzert in Kölner Lanxess ArenaMarius Müller-Westernhagen begeistert mit seinem Auftritt in Köln
Was soll man dazu sagen? Außer: „Es war ganz, ganz großartig!“ So einfach kommt man aus der Nummer natürlich nicht raus. Zumal ein Abend mit Marius Müller-Westernhagen viel mehr verdient hat, als nur einen einzigen lapidaren Satz des Lobes. Hymnen müsste man schreiben. Über ein Konzert, das zwar „nur“ knapp zwei Stunden dauert, aber an diesem gesegneten Montag in Köln eine Schaffensbogen schlägt, der vom „Taximann“ inmitten der 1970er-Jahre bis zum „Zeitgeist“ der beginnenden 2020er reicht.
Sechs Dekaden. Fast ein ganzes Leben. Das Leben desjenigen, der diese Stücke geschrieben und gesungen hat. Und das Leben derjenigen, die ihn begleitet haben und noch begleiten: das Gros der 15.000 überglücklichen Fans in der ausverkauften Lanxess Arena. Auch Müller-Westernhagen weiß um diese lebenslange Haltbarkeit der Zuneigung. Und wenn er „In meiner Bude flipp’ ich aus“ von 1980 ankündigt, tut er das mit sanfter Ironie: „Dieses Stück ist so uralt, die meisten von euch waren da noch nicht geboren, aber einige von euch werden sich noch daran erinnern...“
Er redet immer noch Klartext
Der gebürtige Düsseldorfer, der Ende der 1970er zum Plattenprinzen avancierte, 1980 auf der Leinwand als Lkw-Fahrer Theo gegen den Rest der Welt antrat und heute mit 12,3 Millionen verkaufter Tonträgern zu den erfolgreichsten deutschen Musikern zählt, ist erstaunlich unprätentiös geblieben. Was schon damit anfängt, dass er um 20.14 Uhr die erwartungsvolle Menge nicht erst lange hinhält. Statt sein Erscheinen auf der Bühne als pompöses Ritual zu inszenieren, schlupft er einfach unterm noch nicht ganz hochgezogenen Vorhang durch.
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Dass er in seinem eleganten hellen Zweireiher überm weißem Hemd mit den dazu passenden weit geschnittenen Bundfaltenhosen so stilisiert wirkt wie ein Protagonist aus „Der große Gatsby“ tut dabei nichts zur Sache. Er redet immer noch Klartext. Selbst wenn er dafür über seinen Schatten springen muss: „Ich spiele jetzt einen Song, den ich eigentlich nicht mehr spielen wollte, aber in Zeiten wie diesen, die sind, da muss man ehrlich sein, ziemlich beschissen, erst kam die Pandemie und dann der beschissene Krieg in der Ukraine und dann noch die beschissene Sache in Israel...“. Das Stück, das er meint, ist eins, von dem er nicht wollte, dass es „kaputt gegrölt“ wird. Und dann, bei der siebten und letzten Zugabe, erschallt es jetzt wieder tausendfach: „Frei-heit, Frei-heit, ist das einzige was zählt. Frei-heit, Frei-heit, ist das einzige, was zählt.“ Aber es klingt nicht wie Grölen. Es klingt wie Zustimmung. Nicht nur Westernhagen findet vieles beschissen.
Was er beim Einspieler zu „Schweigen ist feige“ mit solchen Aufnahmen wie die von Demonstrationen gegen die Klimakatastrophe, gegen die Geiselnahmen im Gazastreifen oder für das Recht auf gleichgeschlechtliche Liebe visualisiert.
Von „Schweigen ist Gold“ hält er rein gar nichts.
Dann lieber die Sorte Gold, die man im Dreck findet: „Und Straßen sind aus Dreck gebaut.“ Einen Klassiker wie „Mit 18“ muss er einfach raus hauen. Und er tut es auch. Er kennt seine Pfefferminzenheimer gut. Die wollen am liebsten die alten Hits hören, all die Sachen, bei denen man so richtig abtanzen kann und mitsingen und plötzlich wieder 16 ist und total verknallt auf der Schuldisco oder 22 und auf der Unifete seinen Frust über die verhauene Klausur vergisst.
Wenn der Mann, der inzwischen das edle Jackett abgelegt hat und sich darunter mit Hosenträgern überm Hemd präsentiert, dazwischen neue Songs wie „Die Wahrheit“ bringt, tut er das mit einer augenzwinkernde Entschuldigung: „Ich kann es euch nicht ersparen, jetzt kommt ein Song aus meinem neuen letzten Album…“. Das heißt „Das Eine Leben“ und ist 2022 erscheinen. Aber davon gibt es an diesem Abend nur drei Kostproben.
Lieber nutzt er die Zeit, um seiner grandiosen Band zu huldigen („Ich hab’ hier ein paar Musiker stehen, das ist unglaublich. Ich habe die Ehre mit ihnen auf der Bühne zu stehen“) und sie danach vorstellen zu lassen. Oder für das Duett „Luft um zu atmen“ mit seiner Ehefrau Lindiwe Suttle. Die eine so großartige Stimme hat, dass sie ihren Gatten locker in die Tasche steckt. Für „Fertig“ und „Es geht mir gut“ und „Lass uns leben“ und… Die Arena tanzt und tobt und schwelgt. Man müsste Hymnen schreiben. Aber dafür reicht der Platz leider nicht.
Mehr als nur „die Frau an seiner Seite“
Der weibliche Vorname Lindiwe stammt aus der Sprache der Zulu und bedeutet übersetzt so viel „die Erwartete“ oder „die, auf die wir lange gewartet haben“. Als Marius Müller-Westerhagen Lindiwe Suttle kennenlernte, scheint sie genau das für ihn gewesen zu sein. Und umgekehrt: im Juli 2017 heirateten die beiden. Wer die heute 44-jährige Amerikanerin nur als „die Frau an seiner Seite“ sieht, wird ihr nicht gerecht.
Suttle kann eine eigene Karriere vorweisen: als Sängerin, Songschreiberin und Designerin. 2009 trat sie noch in kleinen Clubs in Cape Town auf, aber bereits ein Jahr später vor ganz großen Publikum: bei der WM-Eröffnungsfeier in Südafrika. Auf ihrem Debütalbum „Kamikaze Art“ (2014) bewies sie zudem Meinungsfreude. Die Songs kritisieren politische Korruption, soziale Ausgrenzung und die Erbarmungslosigkeit der Musikbranche. Dass sie auch schon Bühnenoutfits für Beyoncé entwarf, ist da nur das Tüpfelchen auf dem kreativen i. (sus)