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Interview mit Stefan BachmannWie sich Kölns Theater in Corona-Zeiten aufstellen will

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Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann 

  1. Unter ungewohnten Bedingungen beginnt am 4. September die neue Spielzeit des Kölner Schauspiels.
  2. Mit dem Intendanten Stefan Bachmann sprach Hartmut Wilmes über Tücken und Chancen von Theater in Corona-Zeiten.

Worin sehen Sie das größte Handicap des Schauspiels in der Pandemie? Einerseits in der notwendigen Distanz, die so gar nicht zum Theater passt. Und natürlich darin, dass einfach nicht mehr so viele Zuschauer auf einmal ins Theater gehen können.Mussten Sie da bauliche Veränderungen vornehmen?Das haben wir überlegt, aber wir werden stattdessen immer jede zweite Reihe komplett sperren und die Plätze dann in Gruppen vergeben. Das höchste ist eine Sechsergruppe von Leuten, die zusammengehören, am häufigsten werden wohl Zweiergruppen vorkommen, und dazwischen wird dann ausreichend Abstand sein.

In der Philharmonie werden Konzerte ohne Pause und mit einer Gesamtläge von bis zu 80 Minuten stattfinden. Ist das bei Ihnen ähnlich?

Es ist ein Balanceakt, die Regeln einerseits einzuhalten und der Kunst andererseits die Freiheit zu geben, die sie braucht. Ich scheue mich deshalb vor Pauschalansagen, habe den Regisseuren aber schon mitgeteilt, dass es wohl nicht falsch ist, sich kurz zu halten. Ein anderes Konzept probiert Richard Siegal gerade aus, indem er die Dauer seiner „New Ocean“-Produktion ausdehnt und die Zuschauer, ähnlich wie in einer Installation, in Gruppen durch den Abend führt.

Erste Premieren

Erste Premieren

Die Saison beginnt am 4.9. mit Samuel Becketts „Warten auf Godot“ in Jan Bosses Regie (19.30 Uhr, Depot 1). Am Tag darauf inszeniert Oliver Frljic Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“ (20 Uhr, Depot 2). Stefan Bachmann zeigt Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ als deutsche Erstaufführung am 12.9., 20 Uhr im gesamten Depot. Am 25.9. folgt Jelineks „Wut“ (Regie: Ersan Mondtag, Depot 1, 19.30 Uhr). Ticket-Reservierungen unter (0221) 221 28400, per Mail unter tickets@buehnen.koeln.de oder in den Opern-Passagen. (EB)

Mussten Sie den Spielplan mit Blick Corona ändern?

Es sollte ein großes Stück in der Regie von Jan Bosse geben, da hätten 480 Menschen auf der Bühne gesessen, mit den Schauspielern ein Fest gefeiert und wären nach der Pause in den Zuschauerraum umgezogen. Das wäre völlig Corona-unkompatibel gewesen, so haben wir uns stattdessen für „Warten auf Godot“ entschieden. Und da ohnehin nur bis zu 150 Zuschauer in unseren 500-Plätze-Saal dürfen, drehen wir die Situation um: „Godot“ wird im Zuschauerraum gespielt, und die Zuschauer sitzen auf der Bühne.

Die vergangenen Spielzeiten haben Sie selbst stets mit einer großen Inszenierung eröffnet. Diesmal sind Sie mit Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ erst als Dritter dran…

Ich hätte schon ein großes Stück machen wollen, habe aber gemerkt, dass wir den Spielplan reduzieren müssen. So habe ich mich selbst aus dem Spiel genommen, was immer einfacher ist, als einem Kollegen sagen zu müssen, dass seine Produktion ausfällt. Aber es tut schon ein bisschen weh.

Welches Stück wäre das gewesen?

Möchte ich ungern verraten, weil aufgeschoben vielleicht nicht aufgehoben ist.

Über Ihrer „Schwarzwasser“-Inszenierung steht als Ort nur „Depot“, ohne die Saalnummer…

Ich nenne das Projekt „Fragmente einer abgesagten Inszenierung“. Die hat es nämlich eigentlich schon gegeben, aber die Premiere musste wegen des Shutdowns abgesagt werden.

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Wie haben Sie dann reagiert?

Ich werde die Schauspieler auf Inseln im ganzen Haus verteilen und die Zuschauer von Station zu Station wandern lassen. Es wird eine komplett neue Inszenierung mit Motiven aus der ursprünglichen.

Apropos Inseln: Herrscht auf der Bühne jetzt artistic distancing?

Die Befürchtung, dass man nur noch erstarrte Schauspieler sieht, die vier Meter voneinander entfernt Texte deklamieren – die wird sich nicht erfüllen. Umgekehrt glaube ich nicht, dass wir auch nach einer Entspannung der Lage wieder zu dem Punkt zurückkommen, von dem wir ausgegangen sind. Nach dem 11. September 2001 hat sich die vorherige Unbefangenheit auch nicht mehr eingestellt.

Was bedeutet das?

Unsere Ästhetik wird sich verändern. Was wir jetzt entwickeln, sind keine Durchhalteformen, sondern Perspektiven. Ich sehe meine Übung darin, jetzt nicht darüber zu heulen, was alles nicht mehr geht, sondern diese Veränderung auch als spannende Herausforderung zu begreifen.

Wie weit sind sie von einer normalen Probenarbeit entfernt?

Eigentlich gar nicht so weit, die Teams kommen hierhin und proben. Allerdings unter den aktuellen Regeln, wobei es jetzt eine Person gibt, die auf deren Einhaltung achtet. Eigentlich heißt es ja bei uns: Eine gute Probe ist die, auf der man alles vergisst. Aber das darf eben nicht für die Hygieneregeln gelten, weil ich es schon als globale Herausforderung sehe, diesem Virus Einhalt zu gebieten.

Und wie ist die Stimmung im Ensemble?

Die Stimmung aus den Produktionen ist gut, und denen, die arbeiten, geht es besser als denen, die noch zu Hause warten müssen. Dass Schlimmste war der Lockdown: Ein Schauspieler, der sich nicht mehr zeigen kann, ist gefährdet.

Gibt es im Spielplan das Stück zur Krise?

Das ist „Warten auf Godot“ mit dieser Ungewissheit und Beckett‘schen Trostlosigkeit. Aber es gibt dort eben auch einen aus der Verzweiflung geborenen Humor, und der ist gerade sehr wichtig. Diese Krise treibt uns derart um, dass sie wohl in jeden Stoff einfließen wird.

Mit welchem Gefühl gehen Sie dieser Spielzweit entgegen?

Mittlerweile doch wieder optimistischer und neugierig. Dass wir jetzt allen Widrigkeiten zum Trotz spielen, die Erzählung weiterführen und auch ergründen, was diese Umstände mit uns machen – das ist es doch, was Kultur auszeichnet.