Keith Haring in EssenWilde Schau mit Strichmännchen im Museum Folkwang
Essen – Wir kennen seine Figuren, sein griffiges Design, sein selbstverständliches Andocken an Comic, Kommerz und Konsum. Der amerikanische Künstler Keith Haring (1958-1990) wurde zwar nur 31 Jahre alt, aber seine Handschrift umspannt den Globus seit den 1980er Jahren, auch wenn manches T-Short verblichen und manches Design auf den Kaffeetassen inzwischen abgewaschen ist.
Doch dem Essener Museum Folkwang ist es gelungen, eine Funken sprühende Neuauflage seines Oeuvres ins Haus zu holen, bereichert um Videos, sogar mit Madonna und anderen Graffiti-Künstlern und schließlich mit einer von Hip-Hop-Musik begleiteten Schwarzlicht-Installation von 1983/84.
Die Ausstellung, die zusammen mit der Tate Liverpool und dem Paleis Bozar in Brüssel konzipiert wurde, ist nun am letzten Ort seiner Ausstellungstournee im Museum Folkwang angekommen, eventmäßig kuratiert von Hans-Jürgen Lechtreck und Sonja Pizonka.
Wimmelbilder
Schon in der Empfangshalle sprüht das berühmte Baby seine dynamischen Strichbündel in Endlosschleife über eine riesige Projektionsfläche und der ebenfalls zur Ikone gewordene Hund springt durch ein Nadelöhr (ist’s nicht auch die Leibesmitte eines Menschen?), stürzt über Kopf die Treppen runter, usw. usw.
Doch auch nach dem Eintritt in die Ausstellung geht es dann nicht wirklich um meditative Ruhe. Wimmelbilder, auf denen die signetartigen Elemente dicht auf dicht präsent sind, wie in dem 15 Meter langen Bildgeschehen mit dem Titel „The Matrix“, das Haring mit Sumitusche über lange Meter entstehen ließ, immer mit gleich dickem Strich, der technisch perfekt und emotional völlig unbeteiligt wirkt. Wie in einem Teppichmuster lösen sich erst bei genauerer Betrachtung die Figuren und Symbole aus dem Geflecht. Sie tauchen auf, erzählen aber keine Geschichten. Bedeutungen kippen immer wieder um. Nicht einmal die Frage, ob das Strahlen, das die Figuren oft in Strichbündeln umfängt, von den Figuren selbst ausgeht, oder ob es von außen auf sie zukommt, kann eindeutig beantwortet werden.
Auch Videos und Musik eingebaut
Der Künstler Haring schöpft seine Kunst aus der pulsierenden Künstler-, Club- und Schwulenszene im Manhattan der 1980er Jahre. Die Straße wird zum Atelier. Der leidenschaftliche Comiczeichner und abgebrochene Grafikdesigner propagiert „Kunst für alle“, schlägt Brücken zwischen Graffiti und Popkunst, zwischen emotionaler und erotischer Exzessivität und sorgfältig aufgenommenen kunsthistorischen Zitaten, seien es die kantigen Rhythmen der aztekischen Kunst oder die Art brut des Franzosen Jean Dubuffet.
Wo er geht und steht, produziert er. In den U-Bahnhöfen bemalt er die mit schwarzem Papier beklebten, unvermieteten Werbeflächen mit Kreide. Mit seinen Zeichen und Symbolen wurde er nicht nur bei der Documenta 7 so erfolgreich, dass er einen Shop einrichten konnte. Erlös für Soziales. Ein Rundumschlag: Videos und Musik sind reichlich in die Ausstellung eingeblendet.
Ausstellungen
„Keith Haring“ und „Rettet die Liebe! Internationale Plakate gegen Aids“ im Essener Museum Folkwang, Museumsplatz 1.
Öffnungszeiten: Beide Ausstellungen bis 29. November, Di–So 10–18, Do/Fr 10–20 Uhr; coronabedingt erforderlich ist eine Ticketbestellungen für bestimmte Zeitfenster unter:
www.museum-folkwang.de www.ticketfritz.de
Eintritt: Zehn Euro, ermäßigt sechs Euro.
Katalog 19,95 Euro. (EB)
Doch da ist auch das riesige schwarze Baby an der Hundehalskette und mit einem Kreuz in der Hand. Es mag topaktuell an die „Black lives matter“- Bewegung erinnern.
Und man sieht: Vieles ist heute wieder interessant, ob es der Gedanke der weltweiten Vernetzung ist, oder das Gefühl einem unheimlichen Virus gegenüber. Haring ist an Aids verstorben, und beeindruckend sind die darauf bezogenen Zeichnungen.
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Wie sehr Aids die Welt immer noch in Atem hält, das bezeugt die Ausstellung „Rettet die Liebe! Internationale Plakate gegen Aids“ im Ausstellungsraum schräg gegenüber durch eine erschreckende Infektionsstatistik. Plakate von allen Kontinenten werben dort für die Verwendung von Kondomen. Selbst das Sultanat Oman gibt sich da ganz aufgeklärt.