Interview mit Museum-Ludwig-Chef„Gerhard Richter gehört zu Köln wie der Dom“
- Gerhard Richter feiert am 9. Februar seinen 90. Geburtstag.
- Jan Sting sprach mit Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig über den Ehrenbürger.
Zum 85. Geburtstag Gerhard Richters zeigte das Museum Ludwig seine neuesten Werke. Was hat sich in den vergangenen fünf Jahren bei ihm getan, woran arbeitet er?
Mir sind aus den letzten fünf Jahren vor allem seine Papierarbeiten bekannt. Die großformatigen Malerei Richters sind ja in der Entstehung auch körperlich für den Künstler eine große Herausforderung. Dies mag mit ein Grund sein, warum er sich in seinem hohen Alter auf die Zeichnungen konzentriert. Die aktuellen Zeichnungen, die ich von ihm kenne, sind häufig auch abstrakt, haben einen landschaftlichen, figurativen Bezug. Anlässlich des 90. Geburtstags werden wir Arbeiten aus unserer Sammlung zeigen, die leider selten zu sehen sind, weil sie auf Papier sind. Darunter ist auch eine Neuerwerbung von den Perlensuchern, eine Gruppe unserer Gesellschaft für moderne Kunst.
Richter ist dem Ludwig eng verbunden, hat Schenkungen gemacht. Wie sind die Arbeiten eingebunden?
Man kann schon sagen, dass wir ein Richter-Museum sind. Zum einen, weil Peter und Irene Ludwig sehr früh Werke von ihm erworben haben, also kurz nach der Entstehung. Beispielsweise „Ema, Akt eine Treppe heruntersteigend“, ist sein erstes figuratives Bild, das er nach einem eigenen Farbfoto gemalt hat. Es zeigt seine damalige Frau Marianne Eufinger. In unserer aktuellen Präsentation haben wir direkt nebeneinander eine Skulptur, ein abstraktes Bild und die „Ema“. Darin tut sich ein Fächer auf, der Komplexität, Virtuosität und aktuelle Bedeutung vermittelt. Und das Schöne bei „Ema“ ist, dass wir eigentlich zwei Personen sehen, denn „Ema“ ist schwanger mit Betty. Wir habe auch ein Porträt von Betty – eine ganz bekannte Arbeit, die auch auf der documenta zu sehen war.
Fotorealismus wurde in den 1960er Jahren nicht ernst genommen. Peter und Irene Ludwig waren offenbar sehr vorausschauend, als sie „Ema“ erwarben.
Die Beziehung zum Museum Ludwig resultiert tatsächlich daraus, dass ihn die Ludwigs sehr früh gesammelt haben. Ich glaube, sie haben darin so eine Art deutsche oder europäische Antwort auf die amerikanische Pop-Art gesehen und deshalb schon in den 1960er Jahren, kurz nach Entstehen der Bilder gekauft und später dem Museum Ludwig geschenkt.
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„Ema“ polarisiert: Bernhard Schlink verweist in seinem Roman „die Frau auf der Treppe“ auf „Ema“, auf Facebook wurde es wegen der Nacktheit gesperrt. 1981 war es Ziel eines Anschlags. Warum all das?
Es gelingt Richter, Themen aufzugreifen, die gesellschaftliche Relevanz haben. Und was man nicht unterschätzen darf: Wenn etwas so makellos ist, zieht es Menschen an, und diese Anziehung kann sich kristallisieren in etwas Positives aber auch Negatives, in große Abwehrhaltung. Aber ich glaube, die meisten Leute sind fasziniert. Ich sehe die Besucherinnen und Besucher immer wieder staunend vor den Bildern stehen, dass jemand so viel Talent und handwerkliches Geschick haben kann. Das sind Dinge, die ihn sehr populär machen. Dazu kommt ein Aspekt – der Gerhard Richter überhaupt nicht gefällt und uns auch nicht und es uns als Institution schwer macht: Das ist der ökonomische Status, den sein Werk genießt. Also dieses gefeiert sein als der teuerste lebende Künstler.
Im Herbst setzte Gerhard Richter seine Unterschrift unter einen Leihvertrag mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Waren Sie enttäuscht, dass Köln leer ausging?
Überhaupt nicht. Wir haben tolle Werke von Gerhard Richter. Ich verstehe Richters Wunsch, im neu entstehenden Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin einen angemessenen Platz zu erhalten. Es ist gut, wenn das Werk eines der bedeutendsten Künstler der Gegenwart in mehreren wichtigen Museen in Deutschland Werk prominent vertreten ist. Allerdings sind die Werke für Berlin lediglich Dauerleihgaben. Es müssen Steuergelder für die Präsentation, restauratorische Betreuung und Lagerung der Arbeiten investiert werden, die im Besitz der Stiftung des Künstlers bleiben. Wir sind froh, dass die Arbeiten in der Sammlung des Museum Ludwig wirklich der Stadt Köln gehören und nie abgezogen werden können.Und das Leihen würde Ihrem Konzept widersprechen?Also ich finde Leihgaben für unser Haus grundsätzlich problematisch. Wir arbeiten ja mit öffentlichem Geld, und damit können wir nicht Privatleute beziehungsweise private Stiftungen mit unterstützen, indem wir Kosten für Depots und Versicherungen übernehmen.
Was kann Köln Berlin entgegen setzen?
Wir haben die bedeutendsten Werke des Künstlers aus kunsthistorischer Perspektive. Und auch von der Anzahl seiner Werke steht das Museum Ludwig sehr gut da. Es gibt insgesamt 46 Arbeiten in unserer Sammlung, darunter teilweise auch Editionen. Mit „Ema“ sowie den „48 Porträts“, die Gerhard Richter 1972 für den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig geschaffen hat, gehören absolute Schlüsselwerke zur Sammlung des Museum Ludwig.
Diesmal kuratieren Sie den deutschen Pavillon, wie relevant ist Richters damalige Arbeit für Sie nach einem halben Jahrhundert?
Da ist Richters Beitrag für mich nicht anders als alle anderen Vorgänger-Beiträge. Auf unserer Website für den deutschen Pavillon sind alle Beiträge zu sehen, vom Auftakt 1909 bis zum letzten Beitrag, den 2019 Natascha Sadr Haghighian gemacht hat. Mir ist Richters Arbeit für den Pavillon sehr bewusst, und für die Arbeit am deutschen Pavillon ist es ein Beitrag, der wie die anderen Beiträge die Geschichte des Pavillons definiert.
Gerhard Richters 48 Porträts der die Moderne prägenden Männer haben Anfang der 1990er Jahre eine Debatte über Geschlechterrollen ausgelöst. Im Ludwig Forum in Aachen befindet sich Gottfried Helnweins Replik mit 48 Frauenporträts.
Die feministische Kritik kann ich gut nachvollziehen, wobei ich persönlich in diesem konkreten Fall Richters Porträts vorziehen würde. Richter plädiert stets dafür, seinen Motiven nicht zu viel Bedeutung beizumessen, denn selbst bei „Onkel Rudi“ beansprucht er eine gewisse Distanz zu seinem Sujet. Dies ist wichtig für das Verständnis und wird auch in der Debatte um Richters „48 Porträts“ unterschätzt.
Was bringt Sie persönlich an seiner Arbeit zum Staunen?
Das Interessanteste ist, dass er sich immer wieder neu erfindet und sich trotzdem treu bleibt. Ich finde schon eindrucksvoll, wie politisch Gerhard Richter ist und wie er Themen angeht, die angesichts Adornos Satz, „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, eigentlich unmöglich sind. Aber als deutscher Künstler – mit der Geschichte zweier Deutschlands, die er in seiner Position vereint – schafft er es über Titel, oder kleine Referenzen schwierige Themen zu vermitteln, ohne didaktisch zu sein. Seine Arbeit zum Birkenau-Zyklus ist ja noch nicht so alt: Wir schauen auf Abstraktes, und er spiegelt es. Das find ich bei ihm absolut hervorragend.
Haben Sie einen Lieblings-Richter?
Mein Lieblings-Richter ist seine Vielfalt. Da gibt es sowohl diese sehr nachvollziehbaren, irritierend schönen Bilder, seien es Landschaften, „Ema“ oder „Krieg“, die Rakelarbeit, bei der man sieht, wie er mit dem ganzen Körper und dem Rakel dem Bild zu nahe gekommen ist, es fast schon malträtiert hat und Schönheit daraus entsteht. Zufall, Kontrolle und Intuition, das drückt das Richterwerk für mich aus. Und ich liebe das Domfenster, bei dem es ihm gelungen ist, das Sakrale und Mystische in Konzept und Abstraktion zu übersetzten.
Gehen Sie seither öfter in den Dom?
Bestimmt. Aber auch vor Richters Glasfenster war ich da immer gerne. Der Dom gehört zu Köln wie das Museum Ludwig und Gerhard Richter.