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Rundschau-Serie zum 90. GeburtstagGerhard Richter – Ein Künstler, der zweifelt

Lesezeit 6 Minuten
Gerhard Richter vor abstrakter Malerei

Der Maler Gerhard Richter feiert seinen 90. Geburtstag. 

Alle Jahre wieder, jedes Jahr im Herbst kürt der „Kunstkompass“ die international erfolgreichsten Künstlerinnen und Künstler – das schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Seit 18 Jahren steht ein Name auf Platz eins: Der in Köln lebende Gerhard Richter.

Obgleich er sich aus dem Malereigeschäft zurückgezogen hat, gilt er immer noch als weltbester Maler, der Erfolgreichste. In Ausstellungen sehr präsent – auf Auktionen immer für Rekorde gut. Menschen gingen ins Kino, um ihn malen zu sehen („Gerhard Richter Painting“ von Corinna Belz) oder um etwas über seine Biografie zu erfahren („Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck). Sie gehen in den Kölner Dom, um sein prominentes Fenster zu bewundern.

Die Kerze von Gerhard Richter

Das Werk „Kerze“ ist eines von Richters bekanntesten Werken. 

Das gerade auch deshalb so beliebt ist, weil es eine große Spiritualität ausstrahlt, ohne wie alle Kunst und Ausstattung des Doms narrativ zu sein. Der damalige Hausherr Joachim Kardinal Meisner hatte sich etwas Figuratives gewünscht, sechs Märtyrer. Richter verweigerte sich, griff tief in seinen Fundus, fand bei den „4096 Farben“ (1974) die Lösung für sein Domfenster. Dass Meisner es als bedeutungsleer empfand, das Wort „entartet“ verwendete und meinte, es würde besser in eine Synagoge oder Moschee passen, machte das Fenster nur noch attraktiver.

Der Stilbruch als Prinzip

2007 war das. Richter auf dem Zenit seiner Karriere, einer von vielen Höhepunkten. Zwei Jahre zuvor die sehr wichtige Retrospektive im K20 Düsseldorf. 2006 wird er noch einmal Vater, 2007 nimmt er mal wieder an der Biennale in Venedig teil. 2008 malt er hundert abstrakte Hinterglasbilder („Sindbad“), 2009 ist er parallel in großen Ausstellungen in Wien, London, München und Grenoble zu sehen. Kein anderer Künstler erreicht diese Präsenz – zumal mit seinem unglaublich frischen Alterswerk.

Gerhard Richter – hier im Jahr 2015 bei der Präsentation abstrakter Bilder im Dresdner Albertinum.

Was macht Richter so erfolgreich, sein Werk so unwiderstehlich? Sagten wir sein Werk? Es findet kaum etwas, das heterogener wäre: Da gibt es die in den 1960ern einsetzenden Fotobilder, die gleichzeitig entstehenden in verschiedenen Phasen und Untergruppen zu unterteilenden Abstrakten Bilder. Dann entsteht als konzeptuelles Riesenprojekt und Motivsteinbruch zwischen 1962 und 2013 der abertausende Abbildungen auf 802 Tafeln umfassende „Atlas“. Es gibt 38 Künstlerbücher, Skulpturen, Röhren, Glas- und Spiegelarbeiten.

Die Wahlheimat

„Es ist ja ein bisschen hässlich, Köln, arg hässlich.“ Klare Worte, die Gerhard Richter leicht verschmitzt in Corinna Belz’ Dokumentarfilm „Gerhard Richter Painting“ aus dem Jahr 2011 von sich gibt. „Wenn der Zufall mich woanders hin verschlagen hätte, würde ich das auch lieben – oder mögen.“ Seit 1983 lebt er in der Domstadt, im Hahnwald hat er ein Haus und sein Atelier, ein erstes befand sich in der Bismarckstraße.

2007 wurde ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen – im gleichen Jahr bedankte er sich mit dem Domfenster. Fritz Schramma porträtierte er für die Galerie der ehemaligen Oberbürgermeister. Der Duz-Freund meinte sich 2019 revanchieren zu müssen und lancierte die Idee eines „Gerhard-Richter-Museums“. Eine Schnapsidee, die der ansonsten eher interviewscheue Künstler rundheraus im Gespräch mit der dpa ablehnte: „Ich will kein Gerhard-Richter-Museum!“

Als „mein Heimatmuseum“ tituliert er das Museum Ludwig – auch wenn die Staatliche Kunstsammlungen Dresden etwa das „Gerhard Richter Archiv“ beherbergen. (HLL)

Ein überbordendes, wechselhaftes Werk und ein Künstler, der zweifelt, mit sich und der Malerei hadert. Zugleich wie ein Besessener arbeitet. Das Phänomen Richter ist kaum zu greifen. „Sein unbedingter Glaube an die Kunst und sein demonstrativ gemalter Unglaube an die Möglichkeit der Kunst heute wurden für Richter zum täglichen Credo qua absurdum: Ich glaube, weil es unvernünftig ist“, schrieb der Kunsthistoriker Eckhard Gillen zum 85. Kein Künstler habe die Debatte um die Sinnhaftigkeit oder Absurdität der Malerei im Zeitalter der Neuen Medien und der Neoavantgarden so insistierend und so konsequent in aller Öffentlichkeit geführt. Seit 60 Jahren ist er quasi Tagesgespräch.

Und das großteils mit Kunstwerken, die trotz des intellektuellen Überbaus eine starke sinnliche Ansprache haben: die verwischten, unscharf wirkenden Fotografischen Bilder, die sich dem Betrachter verweigern und doch noch neugieriger machen; die mit dem Rakel gezogenen Farbspuren, die auf den Abstrakten Bildern ein raffiniertes Spiel von Zufall und Kalkül vollführen und bizarre Farbräume entstehen lassen, die man bislang noch nicht gesehen hatte; die Farbwolken, mit denen Richter Tizians „Verkündigung“ überzieht. Graue Himmel, Wolkenbilder, Schattenbilder.

Die Reihe ließe sich fast endlos fortsetzen. Kaum vorstellbar, dass fast alle Werkgruppen nahezu gleichzeitig in den 1960-er Jahren beginnen. Der Stilbruch als Prinzip. „Als ich ihn in einem ersten Gespräch 1970 fragte, warum er in seiner Malerei Stilwechsel als eine Art Stilprinzip betrieb, antwortete er spontan: Weil ich unsicher bin. Das war alles andere als kokett gemeint“, sagt der Kunstexperte Klaus Honnef, gefragt nach Richters Erfolgsrezept. „Vielmehr äußerte sich darin seine Haltung, jegliche Festlegung grundsätzlich zu vermeiden, es gar nicht so weit kommen zu lassen, dass sich ein Stil, sozusagen ein Markenzeichen herausbildet.“

Scheitern als ständige Möglichkeit

Die Konsequenz sei gewesen, „dass er, kundig in allen malerischen Techniken, die Malerei stets als Feld begriff, etwas Unmögliches zu schaffen, etwa Fotografien nicht ab-, sondern zu malen.“ Das Scheitern sei ständige Möglichkeit seiner Kunst, sagt Honnef, der 2019 eine ausgezeichnete Monografie über Richter herausbrachte: „Und viele seiner besten Bilder sind Ausdruck dieses Scheiterns – zuletzt der aufwühlende Auschwitz-Birkenau-Zyklus – die gleichwohl ein Gefühl von verantwortungsvoller Freiheit auch auf die Betrachter abstrahlen. Malen trotz allem, ist die bezwingende Devise.“ In seinem Buch gibt Honnef Hinweise auf Faktoren, die zu Richters Erfolg führten.

Dass seine Fotografischen Bilder (fälschlich) unter „German Pop Art“ liefen (er nannte es „Kapitalistischer Realismus“) und der Kunstmarkt danach lechzte, hat Richters Ruf wohl ebenso befördert wie das Netzwerk von aufstrebenden Galerien, die ihn präsentierten, wobei sie mit ihm groß wurden, und er mit ihnen: Rudolf Zwirner (Essen, Köln), Heiner Friedrich (München), René Bock (Berlin), Konrad Fischer und Alfred Schmela (Düsseldorf). Allesamt mit guten internationalen Kontakten.

Was nicht heißen soll, dass für Richter die Bäume in den Himmel wuchsen. In der deutschen Kunstszene war er ein Quereinsteiger: Kinderjahre in Dresden, künstlerische Wurzeln im Sozialistischen Realismus. Kurz vorm Mauerbau Flucht in den Westen, mit 29 Karrierestart in Düsseldorf.

Der monetäre Erfolg hielt sich zunächst in Grenzen. 1969 hat er in Aachen seine erste Ausstellung in einer öffentlichen Institution, in dem von Klaus Honnef geleiteten „Zentrum für aktuelle Kunst – Gegenverkehr“. 1971 wird er als Professor an die Kunstakademie Düsseldorf berufen. 1972 bespielt er den deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale Venedig unter anderem mit den „48 Porträts“ und ist auf der documenta 5 zu sehen, Start einer immer steiler werdenden Karriere. Seit Mitte 1980 verkaufen sich seine Bilder stetig auf dem internationalen Kunstmarkt, liest man in der Chronik auf der Internetseite des Ateliers Richter.

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1970 war der erste Kunstkompass herausgekommen. US-Künstler dominierten mit Pop Art das von Willi Bongard, später von Linde Rohr-Bongard ermittelte Ranking. Richter ist auch schon dabei, immerhin Rang 57 (Beuys auf Platz 32).

2015 kritisiert „der teuerste lebende Künstler“ (Monopol) den Kunstmarkt und den Hype, der um ihn getrieben wird: „Eine erschreckende Entwicklung“, sagte der damals 83-Jährige der „Zeit“. Die horrenden Preise für seine Bilder seien ein Beleg dafür, „wie irrsinnig sich der Kunstmarkt entwickelt hat“. Sie hätten mit dem Werk nichts zu tun. „Das ist doch reiner Personenkult.“