Eine Kölner Begegnung mit dem amerikanischen Schriftsteller Richard Ford und seinem ewigen Helden Frank Bascombe
Interview mit Autor Richard Ford„Man muss das Glück schon einladen“
Mit „Valentinstag“ (Hanser Berlin) hat der US-amerikanische Autor Richard Ford sein fünftes Buch mit der Hauptfigur Frank Bascombe vorgelegt. Mit Hartmut Wilmes sprach der 79-Jährige vor seiner Lesung auf der lit.Cologne Spezial.
Hätten Sie beim ersten Bascombe-Roman gedacht, dass daraus eine Serie werden könnte?
Nein. Als ich von 1982 bis 1986 „Der Sportreporter“ schrieb, wollte ich nur mein Leben als Schriftsteller retten und wenigstens ein erfolgreiches Buch zustande bringen. Zwei oder drei Jahre später hatte ich die Idee zu einem Roman über einen Vater, der mit seinem Sohn zur Baseball-Ruhmeshalle fährt…
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…daraus wurde „Unabhängigkeitstag“.
Ja. Anfangs fürchtete ich, dass ich nicht gut genug sei, zusammenhängende Bücher zu schreiben, ohne mich dauernd zu wiederholen. Doch dann dachte ich: Du hast eine Stimme gefunden, die offenbar auf Gegenliebe stößt – also versuch es.
Vielleicht ermutigt durch John Updike und seine vier großen „Rabbit“-Romane?
Weniger stilistisch, aber John hatte bewiesen, dass solche eng verbundenen Werke funktionieren. Und er hat zum Glück lange genug gelebt, dass ich ihm von seinem Einfluss auf mich erzählen konnte.
Im ersten Buch hatte Frank einiges mit Ihnen gemeinsam, wechselte von Belletristik zu Sportjournalismus. Inzwischen ist Frank Immobilienmakler und zweimal geschieden, während Sie seit 1968 mit Kristina Hensley verheiratet sind. Als einzige Parallele bleibt das in etwa gleiche Alter.
Die Lebensbögen ähneln sich nur deshalb, weil es mir wichtig war, dass er über Ereignisse, Trends, Bewegungen und Stimmungen einer Ära spricht, in der ich auch lebe.
In „Valentinstag“ sagt Frank, dass er so viel Glück wie möglich erlangen will, „bevor der graue Vorhang fällt“. Unterschreiben Sie das?
Ja, nicht erst jetzt, da ich alt bin, habe ich erfahren, dass das Glück nicht von selbst kommt, man muss es schon einladen, es sich vorstellen. Natürlich erleidet man Verluste, wird krank, macht Fehler. Aber wie Frank im „Sportreporter“ sagt: „Lebenskunst besteht darin, über die Reue hinwegzukommen.“
Im neuen Roman schicken Sie Frank mit seinem sterbenskranken Sohn Paul auf eine Winterreise. Vor der Lektüre stellte ich mir eine deprimierende Tragödie vor. Dabei ist „Valentinstag“ oft überraschend komisch.
Das liegt am Übersetzer Frank Heibert – er ist ein Genie. Denn Humor mit seinen kodierten Redewendungen und dem bestimmten Tonfall ist wohl am schwierigsten zu übersetzen.
Aber Sie haben Paul ja auch diesen unvorhersehbaren Witz gegeben.
Es ist die einzige Möglichkeit, eine so traurige Geschichte erträglich zu machen. Natürlich will Paul leben, aber die Todesgewissheit gibt ihm die Freiheit, alles zu sagen. Und mir die Chance, alles in seinen Kopf zu packen, was ich möchte.
Die Reise mit Frank führt durch Minnesota und South Dakota…
…und ich kenne keine Bücher, in denen diese Staaten vorkommen. Also ist es eine Art literarische „Terra incognita“, die ich als Patient der Mayo-Klinik in Minnesota allerdings gut kenne.
Das goldene Herz Amerikas findet man in dieser Provinz sicher nicht.
Nein, aber so ist die Zivilisation dort: spleenige Casinos, der pompöse Maispalast, Ramschläden am Straßenrand und Leute, die darauf beharren, dass das Hässliche schön ist.
Im Fernsehen erblicken Frank und Paul das „geschwollene, glubschäugige Gesicht“ von Donald Trump, den Sie als Präsidenten keineswegs geschätzt haben. Befürchten Sie sein Comeback?
Letzte Woche glaubte ich, er macht Boden gut, jetzt lenken die aktuellen Ereignisse auf der Welt Amerikas Blick weg von ihm. Und wenn Trump eins nicht erträgt und nicht überlebt, ist es Nichtbeachtung. Doch obwohl er vor der Wahl noch wegen eines Verbrechens verurteilt werden und dann nicht wieder Präsident werden könnte, gibt es diese Möglichkeit nach wie vor. Und Joe Biden ist ein guter Mann, aber viel zu alt, um Präsident der Vereinigten Staaten zu sein.
Er ist kaum älter als Sie…
Auch ich bin zu alt, um Präsident zu sein. Ich schreibe weiter meine kleinen Bücher.
Die sind aber gar nicht „klein“, während Ihr Kollege Philip Roth irgendwann beschlossen hatte, aus Altersgründen nur noch schmale Romane zu schreiben.
Ich glaube nicht, dass das Alter meine Vorstellungskraft und meinen Ehrgeiz beeinträchtigt. Höchstens leidet die Fähigkeit, im Redaktionsprozess jederzeit das ganze Buch im Blick zu behalten.
Aber Schriftsteller gehen ohnehin nicht in Rente.
Nein, sie sterben. Seit ich diesen Roman beendet habe, höre ich Frank Bascombes übermächtige Stimme in meinem Kopf, nicht immer erfreulich. Im Sommer wünschte ich mir dann eine andere Stimme, doch die tauchte bisher nicht auf. Ich entschied, dass dies eigentlich eine unerträgliche Situation ist, so als wäre man von einem Dämon besessen. Ich habe daher Elizabeth Strout, V.S. Naipaul und Virginia Woolf gelesen, um auf einen anderen Pfad des Schreibens zu stoßen.
Mit Erfolg?
Ich arbeite daran, habe mir schon auf der kurzen Zugfahrt von Frankfurt nach Köln Notizen gemacht. Manchmal frage ich mich allerdings, ob es in Amerika überhaupt jemanden interessiert, was ein 80-jähriger weißer Mann zu sagen hat. Wenn die Antwort nein wäre, lasse ich es, denn ein ungeschriebenes Buch ist kein Verlust.
Sind Sie fertig mit Frank Bascombe?
Ich glaube schon. Natürlich hat Updike nach dem Tod seines Protagonisten noch die kleine Rabbit-Novelle „Licks of Love“ geschrieben, die sehr gut ist. So etwas könnte ich auch, müsste aber wissen, ob ich noch etwas Neues zu sagen habe.
Sehr erfreuliche Zahlen
Die „Kernzeit“ der Herbst-Ausgabe der lit.Cologne geht mit erfreulichen Zahlen zu Ende: Rund 145 000 Bücherfans kamen zu den Lesungen von Terézia Mora, Robert Seethaler oder eben Richard Ford. In das Ergebnis mit eingerechnet werden aber auch die Veranstaltungen unter anderem mit Nick Cave im Juni. Unter dem Banner „lit.Cologne Spezial“ folgen zwei weitere Lesungen am 3. November: Um 18 Uhr stellt Zadie Smith dann ihren neuen Roman „Betrug“ vor. Um 21 Uhr folgen die amtierende Premierministerin Islands, Katrin Jakobsdóttir, und Ragnar Jónasson mit ihrem Krimi „Reykjavik“. (EB)