Der Auftritt von Roger Waters hatte im Vorfeld in Köln für Diskussionen und Demonstrationen gesorgt. An die Kritiker richtete er mehr als deutliche Worte.
„Ich bin kein Antisemit“So lief das Konzert von Roger Waters in Köln
19 Uhr, Aufgang zur Lanxess-Arena. Vorneweg stehen die Pinken. Weiter hinten die Rot-Schwarz-Weiß-Grünen. Im abgesperrten Raum dazwischen die Blauen und die Gelben.
Alle sind sie Dienstagabend wegen ihm hier. Roger Waters (79), Rockmusiker, ehemaliger Frontmann der Gruppe Pink Floyd, Unterstützer der antiisraelischen Bewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen). Die BDS gilt als antisemitisch, sie fordert dazu auf, den Staat Israel wegen dessen Verhältnis zu den Palästinensern zu boykottieren. Die Pinken haben sich hinter einem pinkfarbenen Banner versammelt. Darauf steht: „Roger Waters verbreitet antisemitische Aussagen! Fans, informiert euch!“.
Strenge Kontrollen beim Einlass
Die Rot-Schwarz-Weiß-Grünen schwingen Flaggen in den Farben Palästinas. Auf ihrem Banner kann man lesen: „Willkommen in Köln. Mr. Waters! Danke, dass Sie die palästinensischen Menschen unterstützen!“ Die Blauen sind Polizisten, die Gelben zusätzliche Ordnungskräfte. Aber zwischen den beiden Fraktionen, der contra und der pro Waters, kommt es zu keinerlei Reibereien.
Verglichen mit den haushohen Wellen, für die deutschen Auftritte des Briten schon im Vorfeld seiner „This is not a Drill“-Tour gesorgt hatten, ist das, was sich den Blicken der herannahenden Fans darbietet, ohnehin höchstens ein Rinnsal. Zählt man die Aktivisten beider Fraktionen zusammen, kommt man höchstens auf 30 Leute.
Aus einem Lautsprecher laufen vom Band Reden von der „Keine Bühne für Antisemitismus“-Demo am Montag vor dem Dom. Abgesehen von den Meinungskundgebungen an der ÖPNV-Einflugschneise gibt es im Außenbereich rund um die Arena keine weiteren Aktivitäten. An den Eingängen werden Besucher und Besucherinnen sorgfältig abgetastet, sogar der Inhalt von Hosentaschen muss auf Aufforderung vorgezeigt werden.
Drinnen fällt zwischen T-Shirt, Eis- oder Cocktailständen lediglich einer auf, der sich für die Freiheit von Julian Assange starkmacht, ebenfalls ein Anliegen, das von Roger Waters unterstützt wird.
Konzert in Köln ist nicht ausverkauft
Ganz ausverkauft ist das Konzert von Waters und seinen zehn Musikerinnen und Musikern nicht, aber 11 000 Fans wollen dabei sein, wenn er seinen Abschied von der Bühne einläutet. Die Formulierung „First Farewell“ signalisiert, dass da noch etwas nachkommt.
Auch in Sachen Antisemitismus kommt noch etwas nach. Nämlich eine Ansage von Waters höchst selbst, dessen Stimme aus dem Off vor Beginn der eigentlichen Show verkündet: „Wie ein Gericht in Frankfurt entschieden hat: Ich bin kein Antisemit!“ Das klingt triumphierend. Zumal er dem noch ein „Exzellent!“ hinten dran setzt. Und das Ganze parallel dazu in weißer Schrift über die massive schwarze Projektionsinstallation läuft.
Aber viele sind zu diesem Zeitpunkt – das Licht ist noch an – noch gar nicht auf ihren Plätzen angekommen. Zumindest sein zweites Statement bekommen alle mit. Das besagt, die, die hier sind, um die Musik von Pink Floyd zu genießen, hier richtig sind. Aber dass die, die seine politischen Ansichten nicht ertragen, sich besser verpissen sollen. Nach draußen, an die Bar. Was im Nachhinein ziemlich unlogisch klingt. Denn gut 30 Minuten später, bei seiner Anmoderation zum Song „The Bar“, deklariert er eben jenen Ort zu einem sicheren, friedlichen, wo, alle, Freunde und Fremde, miteinander ins Gespräch kommen können. Aber welche Bar fasst schon 11 000 Fans?
Die sich außerdem arg grämen würden, hätte sie draußen das verpasst, was sich drinnen in zwei Sets innerhalb von zweieinhalb Stunden, mit Pause dazwischen, abspielt. Oder besser gesagt: ereignet.
Tiefer eingedrungen in Bilder wie die, die Waters Technik-Crew auf die LED-Installation projiziert, ist man kaum je bei einem Konzert. Das hat 3D-Kinoformat. Sound und Setliste stehen dem in nichts nach. Mit ganz viel von Pink Floyd, wobei der zweite Teil mit „In The Flesh“ einsetzt.
Das berühmt-berüchtigte Schwein tritt noch einmal den Rundflug durch die Halle an. Schon seit 2018 ohne Davidstern, dafür mit der großformatigen Parole: „Stehlt von den Reichen, gebt es den Armen“. Aber auch da ist erst ein Teil des Publikums in der Halle. Viele sind noch nicht aus der Pause zurück. Kalkül?
Großartige Band
Die Band ist großartig, allen voran Gitarrist Dave Kilminster. Der Frontmann des Anstoßes, drahtig und gutgelaunt ganz in Schwarz, hat eine Stimme, die so klingt, wie einer klingt, der früher nicht viel ausgelassen hat: lebensgereift.
Im Laufe des Abends stumpfen die Sinne allerdings dann zunehmend ab. Zu dicht türmen sich die Bilderfluten auf, die Einblendungen von Reizworten, Statements gegen Kriegsverbrechen der USA, für Assange, gegen Kapitalismus, für, gegen, gegen, für...
Die Reprise von „The Bar“ zum Schluss ist dagegen Balsam. Die Band versammelt sich um Waters am Flügel und alle zusammen genehmigen sich ein Pinnchen Mezcal. Das Stück widmet Waters Bob Dylan, seiner Frau Camilla und seinem verstorbenen älteren Bruder John. Das ist dann weder politisch noch polemisch. Es ist berührend menschlich.