AboAbonnieren

Pink-Floyd-Gründer in der KritikWorum es bei der Kontroverse um Roger Waters geht

Lesezeit 6 Minuten
Roger Waters, britischer Sänger, während eines Auftritts im Palau Sant Jordi im Rahmen seiner ‚This is not a drill Tour‘.

Roger Waters, britischer Sänger, während eines Auftritts im Palau Sant Jordi im Rahmen seiner 'This is not a drill Tour'.

Roger Waters ist zur Persona non grata geworden. Die Vorwürfe gegen den ehemaligen Pink-Floyd-Frontmann: antisemitische Hetze, pro-russische Provokationen, Verschwörungstheorien.

Aktuell tourt der Sänger durch Europa – und füllt mit seiner „This is Not A Drill“-Tour Konzerthallen wie die Lanxess-Arena in Köln, wo er am kommenden Dienstag spielt.

Doch man hätte Waters am liebsten wieder ausgeladen. Und damit steht Köln in einer Reihe mit anderen deutschen Städten, die versuchten, die Shows zu verhindern. Da es keine rechtliche Handhabe gibt, lädt Köln zumindest am Montagvormittag zu einer Podiumsdiskussion zu „Antisemitismus in Kunst und Kultur“ ins Wallraf-Richartz-Museum. Was steckt dahinter?

Die Rocklegende

Es ist eines der berühmtesten Plattencover der Welt: Ein Lichtstrahl bricht sich in einem Prisma. „The Dark Side of the Moon“von Pink Floyd zählt zu den meistverkauften Alben.

Wer die Zeile „We don’t need no education“ aus „Another Brick in the Wall“ liest, kann sich nur schwer gegen die Melodie wehren, die beim Lesen im Kopf entsteht. Mit Pink Floyd wurde Waters zur Legende.

Politische Motivation

Der Song „Another Brick in the Wall“, zu deutsch „Ein weiterer Ziegelstein in der Mauer“ ist Abrechnung mit dem autoritären Schulsystem der Nachkriegszeit und Hymne für rebellierende Teenager gleichermaßen. Politisch eingefärbt waren die Texte des Musikers bereits in den Anfängen, ebenso die Bühnenshows. 1981 hingen riesige Marionetten über der Bühne. Eine 60 Meter lange Mauer wurde im Laufe des Konzerts errichtet und brach final unter tosendem Applaus zusammen. Pink Floyd-Shows waren immer überdimensioniert, Pink Floyd-Shows waren immer politisch.

Gegen Israel

Doch dabei beließ es der heute 79-Jährige nicht. 2006 gab Waters sich beim Besuch des Westjordanlandes als Unterstützer der Organisation „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS, siehe Infokasten) zu erkennen. Die antirepressive, politische Botschaft aus „The Wall“ übertrug er auf den Israel-Palästina-Konflikt und sprühte die Textzeile „We don’t need no thought control“ („Wir brauchen keine Gedankenkontrolle“) auf eine israelische Sperranlage.

Der Eklat um das Schwein

Im Sommer 2013 tauchte ein Videomitschnitt eines Konzertes in Belgien auf: Das berühmte Pink Floyd-Schwein schwebte durch den Saal – versehen mit Dollarzeichen, Hammer und Sichel, Logos der Firmen McDonalds und Mercedes. B52-Bomber auf Bildschirmen schossen auf das Schwein. Am Ende des Konzerts wurde es vom Publikum zerstört. Ein typisches Waters-Spektakel. Doch neben all den anderen Symbolen prangte am Maul des Schweines ein Davidstern.

Farm der Tiere

Schweine sind ein Symbol, dessen Waters sich gerne bedient. Etwa im Song „Pigs“ von der Platte „Animals“. Inspiriert durch George Orwells Klassiker „Farm der Tiere“, stehen die „Pigs“ auch auf dem Konzeptalbum für die herrschende Klasse. Es seien bloß Symbole für dogmatische Systeme, die er verachte, erklärte Waters.

Doch wenn man Symbole des Kapitalismus mit dem Davidstern auf einem Schwein kombiniert, reproduziere man klassische antisemitische Verschwörungstheorien, entgegnete ihm Meron Mendel, Deutsch-Israeli und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in einem Interview, das der „Spiegel“ gemeinsam mit Mendel und dem Musiker führte. Deswegen müsse Roger Waters sich auch den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen, so Mendel.

Roger Waters sagte zu den Vorwürfen, er könne verstehen, dass manche Menschen – manche religiöse Juden, ergänzte er – verärgert seien. Deswegen habe er den Davidstern nach der damaligen Tour sofort vom Schwein entfernt. Zu seiner ursprünglichen Entscheidung, den Stern als Symbol für dogmatische Systeme zu verwenden, stehe er aber bis heute.

Apartheids-Vergleiche

Bei einer bloßen problematischen Symbolik beließ es der Sänger aber nicht. So behauptete er etwa, dass im Staat Israel aktuell Apartheid herrsche. Doch im Kern des Israel-Palästina-Konfliktes stehe – ander als seinerzeit in Südafrika – keine rassistische Ideologie, klärte ihn Mendel im „Spiegel“-Gespräch auf. Doch Rogers zeigt sich weiter uneinsichtig.

Wie die „Weiße Rose“

Und Waters ging weiter: Auf seinem öffentlichen Instagram-Kanal verglich der Musiker sein Engagement für die BDS-Kampagne mit dem Kampf der Geschwister Scholl gegen den Nationalsozialismus. Im gleichen Post verglich er auch die Situation der im Holocaust verfolgten und getöteten Juden mit der heutigen Situation der Palästinenser in Israel.

Verschwörungstheorien

Auch über die Tötung von George Floyd – dem Afro-Amerikaner, dem ein Polizeibeamter knapp zehn Minuten mit seinem Körpergewicht die Luftzufuhr abschnitt – äußerte Waters sich. Für ihn sei Israel für den gewaltsamen Tod Floyds mitverantwortlich. Die USA flöge regelmäßig Experten aus Israel ein. Die tödliche Praktik des Luftabdrückens praktizierten die Israelis an Palästinensern und schulten darin die amerikanische Polizei erklärte Waters in einem Radio-Interview mit der palästinesischen Nachrichtenagentur Shehab.

Provokation bei der UN

Auf Wladimir Putins Einladung hin sprach Waters vor dem UN-Sicherheitsrat über den Ukraine-Krieg. Für ihn ein „Stellvertreterkrieg“, den die USA als Hauptaggressor angezettelt hätten. Der Westen sei einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Waffenlieferungen an die Ukraine dienten allein der Rüstungsindustrie. Und: Der russische Angriff auf die Ukraine sei nicht unprovoziert gewesen. Waters gesamte politische Äußerungen kommentiert der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, wie folgt: „Roger, es wäre gut, wenn du dich auf deine Musik konzentriert hättest. Mir scheint, dass du von allem anderen keine Ahnung hast.“

Vor Gericht

In Frankfurt versuchten die Stadt und das Land Hessen das Konzert aufgrund des Veranstaltungsortes, der Frankfurter Festhalle, abzusagen. Nach der Pogromnacht 1938 waren dort laut Gericht mehr als 3000 jüdische Männer zusammengetrieben, festgehalten und misshandelt worden, um anschließend deportiert zu werden.

Doch Waters klagte – und gewann. Das Verwaltungsgericht Frankfurt entschied, dass das Auftrittsverbot das Recht auf Kunstfreiheit verletze, für deren Einschränkung die Hürden hoch seien. In der Gesamtschau mache Waters nicht den Eindruck, nationalsozialistische Gräueltaten zu verherrlichen oder zu relativieren oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenlehre zu identifizieren. Auch der historische Hintergrund der Festhalle änderte an der Entscheidung nichts.

Aktuelle Konzerte

Am Mittwoch spielte Waters ein Konzert in Paris. Mitschnitte auf Twitter zeigten, dass das Schwein mittlerweile durch ein Schaf ersetzt wurde – ganz ohne Parolen und Symbole. Auf riesigen Bildschirmen werden „Victims“ gezeigt – die Opfer des Staates Israel. Darunter neben Palästinensern auch der Afro-Amerikaner George Floyd.


Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen

BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“. Dabei handelt es sich um eine transnationale politische Bewegung. Ihr Ziel: den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren. Dieser Israel-Boykott ist das Mittel der Wahl, um die israelische „Besetzung“ des arabischen Landes zu beenden.

Gestritten wird immer wieder wird darüber, ob die BDS ein harmloses politisches Instrument für eine gerechtere Welt ist oder ob sie eine antisemitische Stoßrichtung vorgibt. Ob sie also eine Bewegung ist, die unter dem dem Deckmantel von Humanismus und Menschenrechten antisemitische Denkmuster verbreitet.

Seit 2004 machen Kulturboykotte wie die des Rockstars den Hauptanteil der BDS-Kampagnen aus. Einen Boykott auszurufen ist für Menschen mit einer großen Fan-Gemeinde und Followerschaft auf den sozialen Medien leicht – und mit wenig Aufwand bekommen diese Aufrufe eine große Reichweite. In Tweets, Posts und privaten Nachrichten drängen die Aktivisten andere Prominente, nicht in Israel aufzutreten. Infolge von BDS-Kampagnen sagten bereits Lana Del Rey oder Sinéad O’Connor Konzerte in israelischen Städten ab.

Roger Waters selbst versuchte, Musiker wie Nick Cave davon abzubringen, dort zu spielen. Im „Spiegel“-Interview behauptete er, nur die vollständige Exklusion Israels am gesellschaftlichen Leben könne etwas verändern. Gespräche würden nichts bringen. Cave trat trotzdem in Israel auf. (kkr)