Helge Schneider über Corona„In zwölf Monaten ist mein Geld alle“
- Am Sonntag wird Helge Schneider 65 Jahre alt.
- Und er hat diese Woche ein neues Album herausgebracht.
- Doch feiern kann er beides nicht.
- Ein Gespräch über Kreativität in der Corona-Krise, Singen für Deutschland und die schlimmste Zeit des Lebens
Helge Schneider, Sänger, Multiinstrumentalist und Musikclown aus dem Kohlenpott, wird am 30. August 65 Jahre alt. Olaf Neumann traf den künstlerischen Draufgänger am malerischen Ufer der Ruhr zum Geburtstagsinterview. Er trägt Strohhut und Strickjacke. Auf dem Smartphone spielt er Ausschnitte aus seiner neuen Platte vor, die er „Mama“ getauft hat.
Herr Schneider, wie sieht Ihr Alltag aus in der Zeit der Covid-19-Pandemie?
Helge Schneider: Ich habe monatelang aufgeräumt. Ich habe ein Lager aufgelöst und woanders wieder aufgebaut. Und ich habe mein Archiv durchgeguckt: VHS- und U-Matic-Bänder mit Film neben Kassetten und Tonbändern.
Können Sie sich gut allein aushalten in den eigenen vier Wänden?
Ja, ich habe immer etwas zu tun. Und zum Schluss gibt es ja immer noch das Fernsehen. Sonntags Tatort zum Beispiel. Wenn ich mir Krimis ansehe, dann meistens stimmungsvolle Filme wie „Fahrstuhl zum Schafott“, für den Miles Davis die Musik gemacht hat.
Welcher Sound schwebte Ihnen vor, als Sie das neue Album „Mama“ planten?
Ein natürlicher, warmer Sound ohne Synthesizer. Ich habe ein Klavier, das eine bestimmte Atmosphäre in die Aufnahmen bringt. Das klingt alles so direkt, als würde man daneben stehen. Beim Schlagzeugspielen mit Besen achte ich darauf, dass mir nicht langweilig wird. Der Rhythmus sollte direkt in den Körper gehen. Ich bin ja Swing-Musiker.
Sie beherrschen Musikstile von Jazz über Rock bis zu Schlager. Gibt es für Sie auch „doofe“ Musikstile?
Eigentlich ist Swing mein Ding. Techno kann man sich normalerweise nicht anhören, vor allem, wenn einer an der Ampel neben einem steht. Trotzdem kann ich aus Gründen des Zeitgeistes manchmal irgendetwas mit ihm anfangen. Sprich: persiflieren.
Was schätzen Sie insbesondere an Schlagermusik?
Gar nichts eigentlich, aber sie gehört speziell bei mir mit zum Erwachsenwerden. Aber ich hätte es auch als angenehm empfunden, wenn es nur Bill Haley oder Fats Domino gäbe – oder natürlich Elvis. Ich habe sein Konzert aus Hawaii live im Fernsehen in Farbe gesehen. Nachts um vier.
Versuchen Sie als Songschreiber, thematisch immer mehr in die Breite zu gehen?
Ich suche mir immer sowas aus wie „Roswitha, die Striptease-Tänzerin“. Das muss mit Saxofon gespielt werden. Und bei dem Stichwort „Bouillon de Paris“ aus dem Song „Forever At Home“ habe ich sofort an ein Akkordeon gedacht. Dann habe ich mein Scandalli-Schifferklavier herausgeholt. Das habe ich mir vor 30 Jahren für 15.000 Mark gekauft – und nie drauf gespielt. Das ist nämlich so schwer, dass man es gar nicht hochgehoben kriegt. Es steht jetzt wieder im Keller.
Haben Sie als Kind davon geträumt, zur See zu fahren?
Wie kommen Sie denn darauf? Aber in der Tat. Früher hatte ich eine Seefahrernummer im Programm, bei der ich einen unverständlichen Hamburger Dialekt gesprochen habe.
Warum nehmen Sie Ihre Alben nicht in den legendären Hansa Studios in Berlin auf?
Weil ich das ganz alleine machen muss. Das ist so intim, da kann nicht noch einer hinter der Glaswand sitzen, den ich nicht so gut kenne wie mich selbst. Außerdem habe ich unheimlich viel Spaß an der Technik hier bei mir. Das gibt es ja kaum noch. Die Bandmaschinen zum Beispiel sind noch voll funktionsfähig. Eine stammt vom WDR und eine von den Bavaria Filmstudios in München. Und eine dritte stammt noch von Giuseppe Verdi, eine Wachsrollenaufzeichnungsmaschine von der Firma Osram.
Denken Sie zuweilen: Die Stille ist eigentlich sehr schön, ich will gar nicht mehr auf Tour gehen?
Das wäre schön für eine gewisse Zeit. Aber in zwölf Monaten ist mein Geld alle. Und wenn ich dann nicht auf Tournee gehen kann, muss ich wieder arbeiten: als Zahnarzt, Paketzusteller oder Pferdeschmied.
Sie sind kürzlich bei Stefan Raabs „Free European Song Contest“ für Deutschland aufgetreten. Haben Sie versucht, bei „Forever At Home“ die Struktur eines typischen ESC-Liedes zu kopieren?
Stefan Raab und ich sind Freunde. Ich habe ein Lied gemacht und es für dieses Medium bereitgestellt. Diesen Ausflug in die Fernsehwelt bereue ich nicht. Wenn ich selber mal den Apparat einschalte, wollte ich etwas Schönes hören. Das war lustig, aber auch anstrengend. Es ist nicht einfach, in einen riesigen, leeren, abgedunkelten Raum hineinzusingen.
Was ist das für ein Gefühl, für Deutschland zu singen?
Ich bin ja Deutscher, ich liebe Deutschland und kann ruhig für Deutschland auftreten. Ich könnte ja theoretisch auch Bundespräsident, Außen- oder Innenminister werden wollen, wenn ich Abitur hätte, aber ich bin nun mal Musiker. Das ist mein Beruf.
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Ich fahre regelmäßig durchs Land und erfahre die Deutschen als offene Gesellschaft. Gerade heute ist es sehr wichtig, für eine offene Gesellschaft die Stimme zu erheben, weil es hier auch einige Leute gibt, die davon überhaupt nichts halten.
Als Kind haben Sie Ihren Eltern ohne rot zu werden von der Schule erzählt, obwohl Sie da gar nicht mehr hingegangen sind. Was haben Sie in der Zeit getan?
Ich bin jeden Morgen an der Ruhr spazieren gegangen. Von hier bis Kettwig - das sind acht Kilometer – und wieder zurück. Ich habe dabei im Kopf Klavier geübt und gesungen. Damit habe ich mit 14 angefangen.
Warum war die Zeit als Säugling Ihre schlimmste Zeit?
Ich habe daran nur fragmentarische Erinnerungen, zum Beispiel, wie ich im Kinderwagen lag und die Leute immer dachten, ich sei ein Mädchen. Im Kinderbett hatte ich mir mal den Kopf zwischen den Gittern eingequetscht.
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Zur Person
Am 30. August 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren. Als fünfjähriges Kind begann er Klavier und im Alter von zwölf Jahren Cello zu spielen.
Er brach die Schule ohne Abitur ab und begann eine Lehre als Bauzeichner. 1972 begann er nach einer Sonderbegabtenprüfung am Duisburger Konservatorium ein Klavierstudium, das er ebenfalls abbrach.
Ab 1977 verdiente er seinen Unterhalt mit Musik, seit 1986 auch als Schauspieler.
Ab 1989 war Schneider als „die singende Herrentorte“ erfolgreich. 1994 wurde er durch einen TV-Auftritt bei Wetten, dass..? einem Millionenpublikum bekannt, das Stück Katzeklo platzierte sich daraufhin in den deutschen Charts.
Mit dem Kinostart von Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atemerreichte der Kult um Schneidereinen Höhepunkt. Zugleich löste dieser eine Diskussion über den kulturellen Wert seiner Arbeit und die Situation des deutschen Humors an sich aus.
Seither legte er in seinen Programmen zunehmend den Schwerpunkt auf Jazzmusik.
Termin
„Helge – nur für Dich!“, 12. 9.,
im Kulturgarten, Rheinaue Bonn, Kleine Blumenwiese,Ludwig-Erhard-Allee 20. Einlass 16h, Beginn 16.45h. Tickets ab 32 Euro über www.bonnlive.com
Neues Album
Am Freitag, 28. August, erschien Helge Schneiders neues Album: „Mama“, Roof Music
Später bin ich immer vom Schlafzimmerschrank aufs Bett meiner Eltern gesprungen. Als Mutter und Vater einmal in die Oper gehen wollten und ich bei einer Nachbarin bleiben sollte, habe ich so geschrien, dass sie zu Hause blieben. Da war ich etwa ein Jahr alt.
Wie musikalisch war die Familie Schneider?
Meine Mutter hat Gitarre gespielt. Mein Vater war ein Witzemacher und sagte immer, er könne nur Radio. Er war ein ganz cooler Typ.
Wollten Sie eigentlich selbst Vater werden?
Da denkt man doch mit 26 Jahren noch nicht dran. Ich wollte immer nur Musik machen. Ich hatte 1000 Jobs und habe mal hier, mal da gespielt. Dann kamen plötzlich drei Kinder auf einmal. Die Mutter ist eine ziemlich taffe Frau, die sehr viel übernommen hat, weil ich öfter auf Tournee war.
Sind Ihre Kinder eigentlich genauso rebellisch wie Sie selbst?
Klar. Spätesten in der Pubertät fangen sie an, sich irgendwie von den Eltern zu entfernen und sich für ihren lustigen Vater eine Zeit lang zu schämen.
Wie hat Ihr kleinbürgerliches Elternhaus Sie geprägt?
Auf der einen Seite bin ich sehr ordnungsliebend und kann in einem kleinen Rahmen leben. Andererseits mache ich genau das Gegenteil: Ich habe 60 Gitarren, fünf Flügel, Kontrabässe, alte Autos und Motorräder. Meine kleinbürgerliche Herkunft hält mich aber auf dem Teppich. Ich versuche zum Beispiel, keine Schulden zu haben.
Sie werden mitten in der Corona-Krise 65 – und können wahrscheinlich keine große Party feiern. Finden Sie das traurig?
Nach der Party an meinem 50. Geburtstag habe ich vier Tage lang aufgeräumt. Das mache ich erst wieder, wenn ich 100 werde. Könnte sein, dass meine Kinder alle zu mir kommen, aber vielleicht ist das ja wegen Corona gar nicht möglich.
Überprüft man sein Leben in so einer Ruhephase?
Naja, letztes Jahr habe ich in Spanien in einem Krankenhaus gelernt, mit ziemlich extremen Situationen umzugehen. Seitdem bin ich viel ausgeglichener geworden. Jetzt geht es mir wieder gut.
Zur Person
Am 30. August 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren. Als fünfjähriges Kind begann er Klavier und im Alter von zwölf Jahren Cello zu spielen.
Er brach die Schule ohne Abitur ab und begann eine Lehre als Bauzeichner. 1972 begann er nach einer Sonderbegabtenprüfung am Duisburger Konservatorium ein Klavierstudium, das er ebenfalls abbrach.
Ab 1977 verdiente er seinen Unterhalt mit Musik, seit 1986 auch als Schauspieler.
Ab 1989 war Schneider als „die singende Herrentorte“ erfolgreich. 1994 wurde er durch einen TV-Auftritt bei Wetten, dass..? einem Millionenpublikum bekannt, das Stück Katzeklo platzierte sich daraufhin in den deutschen Charts.
Mit dem Kinostart von Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atemerreichte der Kult um Schneidereinen Höhepunkt. Zugleich löste dieser eine Diskussion über den kulturellen Wert seiner Arbeit und die Situation des deutschen Humors an sich aus.
Seither legte er in seinen Programmen zunehmend den Schwerpunkt auf Jazzmusik.