Die fehlende Alternative zu „sie“ und „er“ im Deutschen zwingt zur besonderen Rücksichtnahme im Umgang mit nicht-binären Personen wie Sänger Sam Smith. Was sagt die Duden-Redaktion dazu?
Problem der Ansprache von Nicht-Binären„Die Gesellschaft wird vielfältiger, da muss die Sprache auch vielfältiger werden“
Als Sam Smith im vergangenen Jahr sein Konzert in der Kölner Lanxess Arena gab, stand man als Rezensentin oder Rezensent vor einem sprachlichen Problem: Sam Smith ist nicht-binär. Während im Englischen für einen solchen Fall das Pronomen „they“ zur gängigen Praxis geworden ist, gibt es im Deutschen noch keine Alternative für „sie“ oder „er“. Vorschläge wie „dey“ oder das aus beiden Pronomina zusammengesetzte „sier“ haben sich noch nicht durchgesetzt.
Auch Synonyme wie „Sänger“, „Künstler“, „der 32-Jährige“ oder „Brite“, die man bis 2017 benutzen konnte, bevor Smith begann, sich als nicht-binär zu definieren, kamen nun nicht mehr infrage. So blieb kaum etwas anderes übrig, als Sam Smiths Namen im Text mehrfach zu wiederholen. Eigentlich ein Tabu in einem auf gutes und abwechslungsreiches Formulierungen bedachten Artikel.
Eine Reihe von Beispielen aus der Kultur
Den Begriff „nicht-binär“ benutzen Menschen, die sich weder dem einen, noch dem anderen Geschlecht komplett zugehörig fühlen – im Gegensatz zu Transmenschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, und die im Rahmen einer Transition das Geschlecht wechseln. Letzteres ist ein psychologischer und in vielen Fällen auch ein biologischer Prozess, Ersteres ein intellektueller oder einer des Gefühls und nicht abhängig von körperlichen Merkmalen. Ähnlich einer Religionszugehörigkeit, einer Staatsangehörigkeit, einer politischen Überzeugung, die man niemandem ansehen kann.
Und Sam Smith ist kein Einzelfall mehr. Beim diesjährigen Eurovision Song Contest definierten sich drei der bekanntesten Teilnehmenden nicht-binär. Während der Brite Olly Alexander das Pronomen „er“ verwendet, werden Nemo aus der Schweiz und Bambie Thug aus Irland etwa bei Wikipedia jeweils als „musizierende Person“ bezeichnet – eine Formulierung, die andere Bilder im Kopf erzeugt als die energiegeladenen Auftritte von Nemo und Bambie Thug.
Und auch die Berufsbezeichnung bei Wikipedia für Felix Jaehn als „musikproduzierende und als DJ bekannte Person“ klingt steif und unnatürlich. Beispiele aus der Literatur sind Sasha Marianna Salzmann oder Kim de L'Horizon. Während L'Horizon auf Pronomen verzichtet, erlaubt Salzmann „sie“, für die Berufsbezeichnung jedoch den Doppelpunkt: Autor:in.
Das Problem beobachtet man auch beim „Duden“
Doch wie entkommt die deutsche Sprache ihrem Dilemma, dass unseren Substantiven immer auch ein Geschlecht zugeordnet wird — wie auch in den romanischen Sprachen?
Das Problem beobachtet man auch beim „Duden“ seit einigen Jahren. „Es gibt ja eine Reihe von Vorschlägen, aber sie setzen sich nicht in der Allgemeinheit durch“, sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der „Duden“-Redaktion. Aus ihrer Wahrnehmung scheine es „ein paar ganz gute Kandidaten unter den sogenannten Neopronomen zu geben, die etwas häufiger in Texten vorkommen als andere“, etwa „xier“, „en“ und das englische „they“.
Diese Vielfalt hat natürlich auch mit der Tendenz zur Individualisierung in der ganzen Gesellschaft zu tun. Das Verständnis der eigenen Person, die Unterscheidung von anderen soll sich auch in der Ausdrucksweise wiederfinden. „Und dass die Sprache ausdifferenzieren kann, ist schon auch etwas Tolles, etwas Kreatives, etwas Schönes“, findet Kathrin Kunkel-Razum. „Die Gesellschaft wird vielfältiger, da beißt die Maus keinen Faden ab. Also muss die Sprache auch vielfältiger werden, um das abzubilden.“
Kathrin Kunkel-Razum sieht den Ball aber nicht nur im Feld der breiten Masse: „Wenn man sich in diesen Gruppen, die sich damit auseinandersetzen, einig wäre, welches Pronomen man benutzen wollte, hätte man da natürlich eine ganz andere Schlagkraft. Wenn ein Dutzend verschiedene vorgeschlagen werden, zersplittert das ganz, ganz stark und ist von daher natürlich weniger stark in der Durchsetzung auch für die Allgemeinheit. Aber so funktioniert dieser Prozess ganz offensichtlich nicht.“ Doch letztlich ist Sprache, ist Kommunikation eine Brücke zwischen zwei Menschen. Es wird schwierig, wenn von einer Seite eine Art verbaler Zollschranke aufgebaut wird, die man nur bei Einhaltung bestimmter Regeln passieren darf. Wer sie verletzt, sei es auch nur unwillentlich oder unbewusst, wird mit Nicht-Achtung oder Ächtung gestraft. Oder auch Stärkerem?
Misgendern, also das falsche Geschlecht benutzen, „bedeutet letzten Endes, dass man einer Person ihr aktuelles Geschlecht abspricht“, erklärt die Anwältin Renate Schmid von der Kölner Kanzlei WBS Legal. Das kann versehentlich passieren. Wenn etwa Sam Smith wie zuletzt mit Vollbart inklusive Höhner-kompatiblem Schnäuzer auftritt, scheint die Geschlechtszuordnung optisch eindeutig. „Wenn aber jemand dieses Wissen böswillig ignoriert, weil er mit diesem ganzen Sachverhalt ein Problem hat oder dieser Person sogar schaden möchte, dann ignoriert er ja ihre aktuelle Geschlechtsidentität.“
Bußgeld nur für Deadnaming
Im Zivilrecht wäre das ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht – hier wäre aber auch ein Vorsatz festzustellen, aus dem sich ein Unterlassungsanspruch herleiten kann. Aber auch im neuen Selbstbestimmungsgesetz, das ab 1. November gilt, gibt es hierfür noch keine Regelung.
Anders ist es beim sogenannten Deadnaming, also beim bewussten Verwenden oder Offenlegen des Namens, den eine Transperson vor ihrer Transition trug und der einen Hinweis auf das frühere Geschlecht geben kann. Das ist zukünftig eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld belegt werden, so Schmid, „wenn jemand durch die Offenbarung die betroffene Person absichtlich schädigt.“
Für den Gebrauch von falschen Pronomen würde es laut Renate Schmid „bei den allgemeinen Straftatbeständen wie Beleidigung“ bleiben – die aber natürlich nachgewisen werden muss.
Aber einen Grund, Sasha Salzmann, Nemo, Emma Corrin, Sam Smith oder irgendeine andere nicht-binäre Person zu beleidigen, dürfte doch eigentlich niemand so recht haben.