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150. TodestagEine Reise zu Hans Christian Andersen nach Kopenhagen

Lesezeit 5 Minuten
Scherenschnitt aus dem Andersen Museum.

Scherenschnitt aus dem Andersen Museum.

Der 150. Todestag von Hans Christian Andersen wird in Dänemark mit Veranstaltungen in Museen und Gedenkorten gewürdigt.

Eine Fläche von 17,3 Quadratmetern. Vor den Sprossenfenstern ein kleiner Holztisch. Darauf einige Schuhe und die Werkzeuge eines Schuhmachers. Vor der einen Wand steht eine bescheidene Sitzgelegenheit, an der anderen gegenüber ein Doppelstockbett. Durch die niedrig hängende Decke wirkt der Wohn- und Arbeitsraum noch kleiner. In diesen beengten Verhältnissen ist der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen ab dem zweiten Lebensjahr aufgewachsen.

Poesie in die Wiege gelegt

Sein Vater war Schuhmacher, die Mutter Wäscherin. Hatte Vater Andersen sein Tagwerk verrichtet, fertigte er für seinen Sohn verschiedene Spielzeuge, unter anderem ein kleines Theater. Stundenlang konnte sich Hans Christian damit befassen.

Fantasie und Poesie waren ihm in die Wiege gelegt worden. „Ich war ein einzigartiges verträumtes Kind“, erinnerte sich H. C. Andersen, wie er sich später als Künstler nannte. Vor bald 150 Jahren, am 4. August 1875, starb der vielseitig begabte und künstlerisch tätige Schriftsteller und Romancier in Kopenhagen.

Das Geburtshaus von Andersen

Das Geburtshaus von Andersen.

Seiner Geburtsstadt Odense blieb er stets eng verbunden. Viele Tränen vergoss er angesichts der begeisterten Menschenmenge „als stünde ich vor meinem Gott“, als ihm 1867 die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde. Am 2. April 1805 kam Andersen hier zu Welt. Wo genau, ist unklar. Vermutlich in einem ähnlich beengten Haus wie das als kleines Museum eingerichtete Elternhaus. Auf dem Weg vom Eltern- zum vermeintlichen Geburtshaus liegt der St.-Knud-Dom.

Andersen, in Dänemark wie ein Heiliger verehrt, wurde dort als Elfjähriger konfirmiert. Der Glaube an Gott, insbesondere in der für Andersen bezeichnenden Ausdrucksform des Pantheismus, spielte in seinem Werk immer wieder eine Rolle. Im „H.C. Andersen-Hus (Odense Museum)“, einem vor knapp vier Jahren eröffneten spektakulären Museumsbau des japanischen Architekten Kengo Kuma, können auf rund 5600 Quadratmetern die Besucher in Leben und Werk von H. C. eintauchen – und das umfasst weit mehr als nur die atmosphärisch so dicht erzählten über 150 Märchen, für die Andersen in erster Linie bekannt ist und die in etwa 160 Sprachen übersetzt worden sind.

Gönner finanzierten Auslandsreisen

Der Rundgang führt zunächst durch das Leben des kreativen Schriftstellers. Die Besucher erleben den Dichter als Gestalter 1500 filigraner Scherenschnitte, erfahren aus den über 4500 Tagebuchseiten etwas über seine seelische Verletzlichkeit. Andersens spätere Werke lassen den Autor durch die ebenso literarisierenden wie poetisierenden Beschreibungen selbst zu einer Romanfigur werden.

Anhand ausgewählter Reisebeschreibungen begleiten die Besucher ihn auf einige seiner 30 von Gönnern finanzierten Auslandsreisen, die er, der nie Zeichenunterricht hatte, stets mit bemerkenswerten Zeichnungen illustrierte. Insgesamt neun Jahre war er außerhalb Dänemarks.

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Andresen Scherenschnitt

Ein Scherenschnitt von Hans Christian Andersen

Auch als Maler und bildenden Künstler, Poeten und Theaterautor erleben die Besucher den Autor, zudem als Verfasser von rund 1000 Gedichten. Die ersten Vertonungen von einigen Gedichten komponierte Robert Schumann (1810 bis 1856). Im zweiten Teil des Rundgangs tauchen die Besucher in den lebendig, alle Sinne ansprechenden und interaktiv gestalteten Räumen in die Märchenwelt ein.

Der Architekt ließ sich beim Museumsbau von der für Andersens Schreiben stilprägenden Methode leiten: Eine kleine Idee bricht sich Bahn und breitet sich aus zu einem großen Kosmos. Besonders erfahrbar wird das in dem Raum, in dem das Märchen „Das hässliche junge Entlein“ dargestellt wird.

„Das hässliche junge Entlein“: So wie Andersen selbst?

Es ist wohl das autobiografischste aller Andersen-Märchen. Am Ende seines Lebenswegs wird er es als „Abspiegelung meines eigenen Lebens“ bezeichnen, „so wanderte ich durch mein Leben, ein wunderschönes Märchen“. Andersens Märchen sind zumeist selbst erdachte Kunstmärchen, die mit ihrer literarischen Form, Sprache, Symbolik und den wechselhaften Perspektiven anrühren.

Darin liegt auch der Unterschied zu den Märchen der Gebrüder Grimm. Diese sammelten Volksmärchen und gaben sie in bearbeiteter Version heraus. Drei Jahre nach dem Tod des Vaters geht der damals 14-Jährige nach Kopenhagen. Erfolglos versuchte er, seinen Traum vom Sänger, Tänzer oder Schauspieler umzusetzen.

Dänischer König unterstützt

Erste Gedichte und andere Werke erschienen früh, so dass Förderer und sogar König Frederik VI. (1768 bis 1839) auf den jungen Mann und dessen Begabungen aufmerksam wurden. 1829 feierte er mit einer fantastischen Erzählung einen ersten großen Erfolg. Das Bemerkenswerte an diesem Werk: Der letzte Abschnitt besteht nur aus Satzzeichen, denn „der geneigte Leser solle den Text in empfindsamer Weise ergänzen“. Von Odense führen die Spuren über Slagelse nach Kopenhagen. Slagelse ist eine bedeutende Koordinate im Leben von H.C.

Hier konnte er nicht zuletzt dank der Unterstützung des dänischen Königs die Lateinschule besuchen. Der gestrenge Schulleiter ermahnte Andersen immer wieder, sich nicht dem fantasievollen Schreiben hinzugeben. Mit königlicher Unterstützung entwickelte sich Andersen später an der Universität Kopenhagen weiter und wurde zu einem der gefragtesten Intellektuellen des 19. Jahrhunderts. Heute ist er einer der meistgelesenen Schriftsteller.

Hans Christian Andersen: „Im Herzen immer noch ein Kind“

In Kopenhagen schließt sich der Kreis. In der Domkirche fand die Beisetzung von Andersen statt. Auf dem Assistens Friedhof liegt er begraben, unweit der Grablege des Philosophen Søren Kierkegaard (1813 bis 1855). An der Uferpromenade befindet sich im Wasser das Wahrzeichen der Stadt: die 1913 in Anlehnung an Andersens Märchen aufgestellte Bronzestatue der kleinen Meerjungfrau. Das berühmteste Andersen-Denkmal befindet sich in den Königlichen Gärten.

Die darauf konzipierte Darstellung zeigt ihn sitzend in lebendiger Erzählhaltung an ein imaginäres Publikum gewandt. Wer ihn da so sitzen sieht, mag an jenes Zitat denken: „Obwohl ich nun ein alter Mann bin, bin ich im Herzen doch immer noch ein Kind.“

Der 150. Todestag von Andersen wird in Dänemark vielerorts gewürdigt. Im H.C. Andersen-Hus/Odense Museum gibt es am 4. August eine große Feier. Zudem präsentiert das Haus eine Sonderausstellung mit dem Titel „The Silent Book“ (Das stumme Buch).