Debatte entbranntHat Joanne K. Rowling etwas gegen Transsexuelle?
- Früher war J. K. Rowling, Urheberin der Bücher um Harry Potter, Kult-Autorin einer ganzen Generation.
- Inzwischen steht sie im Zentrum eines Kulturkampfs der politischen Korrektheit: Hat sie etwas gegen Transsexuelle?
- Und wenn ja: Sollte man ihre Meinung ausgrenzen – und ihre Bücher verbrennen?
London – Ihr jüngstes Buch sorgt nicht nur für böses Blut, es heißt auch so. „Troubled Blood“, Joanne K. Rowlings fünftes Werk aus der Reihe um Privatdetektiv Cormoran Strike, ist das umstrittenste Buch seit langem. Und glaubt man den Unmutsäußerungen ihrer (ehemaligen) Fans, sollte es auch ihr letztes sein. Neben Hasskommentaren in den sozialen Medien soll es gar zu Bücherverbrennungen gekommen sein, wobei sich auf dem literarischen Scheiterhaufen neben „Troubled Blood“ auch Harry-Potter-Bände finden.
In der Kritik steht also nicht nur ein Buch, sondern gleich ein ganzes Werk und mit ihm auch die Autorin. Das wirkt wie der Versuch, jemanden endgültig mundtot zu machen, seine Meinung auszulöschen. Für diese Art der Meinungsstornierung gibt es seit geraumer Zeit ein Schlagwort, das von der „Cancel Culture“, dem systematischen Boykott und somit der Ausgrenzung von Personen und Meinungen.
Transphobie lautet der Vorwurf
Starker Tobak, zumal die Angriffe eine Autorin mit Kultstatus treffen. Worum geht es also? Im Grunde um eine von vielen Figuren des über 940 Seiten starken Romans – um Dennis Creed. Ein Serienkiller, der sich Frauenkleider anzieht, bevor er seine Opfer überfällt, und gestohlene Frauenunterwäsche zur Selbstbefriedigung benutzt. Transphobie lautet der Vorwurf, mit dem Rowling nun konfrontiert wird.Das ist – auf rein ästhetischer Ebene – erst einmal haltlos, da die rigorose Trennung von Autor und erzählter Figur zum Grundverständnis jedes Erzählens gehört. Erst die Autonomie garantiert die Freiheit der Kunst.
Zur Person
J. K. Rowling wurde am 31. Juli 1965 in der englischen Kleinstadt Yate bei Bristol geboren. Ihre sieben Harry-Potter-Bände, erschienen 1997 bis 2007, wurden weltweit über 500 Millionen Mal verkauft (allein in deutscher Sprache 33 Millionen Mal) und in 80 Sprachen übersetzt. los
Doch so schnell ist der vermeintliche Fall dann doch nicht erledigt, zumal sich Rowling in der Vergangenheit immer wieder kritisch zur Gender-Debatte geäußert hat – und sich dabei auch bei Klischees gegenüber Transmenschen bedient. Unter anderem erklärte die 55-jährige Autorin, dass die Realität von Frauen weltweit ausgelöscht werde, sollte das biologische Geschlecht ernsthaft in Frage gestellt werden. Rowling vertritt eine Form des „Feminismus“, nach der Trans-Menschen – besonders Trans-Frauen – als eine Bedrohung für „Cisgender“-Frauen gelten können. Damit sind Frauen gemeint, die als Frauen geboren wurden und sich auch als solche empfinden, also das Gegenteil von Transgender sind. Mit Tweets und in Essays hat sich Joanne K. Rowling mittlerweile zur wohl bekanntesten Vertreterin der Anti-Trans-Bewegung in Großbritannien entwickelt.
Grenze zwischen Literatur und Wirklichkeit überschritten?
Das Medium der Literatur kann angesichts solcher Äußerungen und Debattenbeiträgen nur noch bedingt als Schutzmantel dienen. Und es gibt noch andere Hinweise darauf, dass Rowling die Grenze zwischen Literatur und Wirklichkeit zu überschreiten scheint.So wird neuerdings auch über das Pseudonym von Rowling diskutiert, das sich die Autorin für ihre Bücher nach Harry Potter zulegte: Robert Galbraith. Nach eigener Aussage setzt sich das Pseudonym aus zwei Namen zusammen. Danach lieh sie sich den Vorname von ihrem großen politischen Vorbild, dem US-amerikanischen Politiker Robert Kennedy. Der Nachname aber entstammt dem Fantasienamen aus ihrer Kindheit: Ella Galbraith.
Ein weiterer Fall im Werk
So weit, so harmlos – und leicht nachvollziehbar. Doch wer einmal skeptisch geworden ist, der fängt an, vielem zu misstrauen. Und so wurden Rowling-Kritiker bei einer anderen Figur fündig. Robert Galbraith heißt auch ein 1999 verstorbener US-amerikanischer Psychiater, der zu sogenannten Konversionstherapien forschte und eine Studie zur „Umkehrung“ eines Homosexuellen durch elektrische Hirnstimulation veröffentlicht hat. Galbraith folgte einer damaligen Theorie der biologischen Psychiatrie, wonach organische Defekte als einzige Ursache für vermeintlich psychische Erkrankungen gesehen wurden.
Solche Namenserkundungen muten schon selbst wie ein Krimi an, der ohne „Geständnis“ der verdächtigten Autorin nicht zu klären ist. Rowlings Bekenntnis zu Kennedy und dem Fantasienamen aus Kindertagen muss also maßgeblich bleiben.
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Kritiker begnügen sich damit freilich nicht. Die Unbedingtheit und Undifferenziertheit ist das Wesen der grassierenden „Cancel Culture“, die zwar kein Kind der digitalen Welt ist, die aber durch die sozialen Medien mit Macht befeuert wird. Das Netz ist ein großer, leicht zu bespielender Resonanzraum. Der Ausgrenzungskultur wohnt eine Radikalität inne, die keinen Diskurs mehr duldet und möglich macht. Immer sind solche Angriffe mit Maximalforderungen bestückt, und oft gelten sie prominenten Menschen. Es geht nie um das Widerlegen einer Meinung, sondern stets um systematischen Boykott. Der Urheber soll nicht widerlegt, sondern diskreditiert werden.
Solche Kommunikationsstrategien sind nicht neu, nur galten sie lange Zeit als letzter Ausweg, als Ultima Ratio. Der Philosoph Karl Popper (1902-1994) nannte dies das Toleranz-Paradoxon. Danach dürfe man – wohlgemerkt im Namen der Toleranz – niemanden tolerieren, der keine Toleranz kennt.Aus der Ultima Ratio aber scheint ein politisches Instrument geworden zu sein, das für eine Gesellschaft, die auf Meinungsfreiheit fußt, zur Bedrohung wird.
Für die Tübinger Philosophin Sabine Döring ist Grundlage der „Cancel Culture“ eine andere Form von Moral: eine Moral des Opfertums, die puristisch sei, die den Schutz der Person vor emotionaler Verletzung in den Mittelpunkt stelle. Die Folge ist nach den Worten Dörings, dass jede Art von Diskriminierung beseitigt werden solle. Und da Diskriminierung oft Gruppen treffe, rücken Rassismus und Gender¬themen in das Blickfeld solcher Debatten: „Das Problem entsteht dann, wenn wir sagen, am Ende haben nur noch die Opfer das Recht zu sagen, wann eine Diskriminierung vorliegt und wann nicht“, so Döring in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.