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Mach damit, was du willstJelineks „Wut“ in Köln wird zur großen Benny-Claessens-Show

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Philipp Joy Reinhardt, Benny Claessens und Isabel Thierauch (v.l.)  

Köln – Er stöhnt, er kreischt, er schreit, ist mal Freddie Mercury, mal böse Königin aus Alice’ Wunderland. Er trippelt über die Bühne, wedelt mit den Armen, bringt alle seine Kilos unverhohlen und stolz zum Einsatz: Willkommen zur großen Benny-Claessens-Show! Für seine fünfte Arbeit in Köln hat Regisseur Ersan Mondtag seine Bühnen-Muse mitgebracht und macht sie zum Dreh- und Angelpunkt, zum Anker seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks 2015er Text „Wut“ im Depot 1.

Jelinek hatte den Text als Reaktion auf die Attentate in der Charlie-Hebdo-Redaktion und einem jüdischen Supermarkt verfasst. Eine Tirade, in der sie einmal mehr den großen Bogen schlägt von griechischen Mythen bis in die Gegenwart. Da geht es  um Hera, die den Herakles, eines der zahllosen außerehelichen Produkte ihres Gatten Zeus, mit blindem Zorn schlägt, so dass er seine eigenen Kinder tötet. Es geht um Islamisten, um Wutbürger, um Waffennarren – und um die Wut von Menschen, die gerade in Sachen Liebe gegen jemand anderen ausgetauscht wurden.

Über Isolation und Corona lamentiert

Der Text ist ein seitenlanges Wortgebirge, das jeder Regisseur für sich erklimmen muss, es gibt keine Zuschreibung, keine Rollenverteilung, keine Anweisung, nur die scheinbare Erlaubnis: Mach damit, was du willst. Während Nicolas Stemanns Uraufführung 2016 an den Münchner Kammerspielen noch vier Stunden dauerte, kommt Ersan Mondtag jetzt in Köln mit knapp zwei Stunden hin – und gibt dabei seinem Ensemble noch reichlich Raum für improvisiert wirkende Einschübe und Ausbrüche. Da wird ein bisschen über Isolation und Corona lamentiert. Und ganz wie es sich für einen angesagten Theaterstar gehört, darf Benny Claessens die Diva geben und über die Arbeitsbedingungen am Schauspiel Köln herziehen: „Ich geh’ jetzt in meine Garderobe in Bonn.“

Neben dem verwöhnten Lieblingsschüler  haben es die anderen naturgemäß nicht leicht, aber Margot Gödrös, Yuri Englert, Yvon Jansen, Lola Klamroth, Nicolas Lehni und Elias Reichert sowie die Gäste Philipp Joy Reinhardt und Isabel Thierauch legen sich genügend ins Zeug, um eine reine Soloshow zu verhindern.

Amüsantes Regietheater

Dazu setzt Mondtag der Jelinekschen Suada die für ihn typischen grellen Akzente und noch grelleren Farben entgegen. Annika Lu Hermanns Kostüme würden jede Märchenoper zieren, und das von Mondtag entworfene Bühnenbild ist ein vielschichtiger Hingucker: Neben einem eiförmigen Bau stehen links und rechts übergroße Adlerbeine – was in dieser Kombination an eine Moschee erinnert. Bewegt sich die Drehbühne um 180 Grad, wird der Raum mal zum Pariser Bistro, mal zum Bad, zum Schlafzimmer, in dem in bester Linda-Blair-Manier Benny Claessens der Teufel ausgetrieben wird. Videoprojektion zeigen das Ensemble im Stil bekannter  Pierre et Gilles-Fotos. Doch worauf läuft das alles hinaus?

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Jelinek haut um sich, haut raus, was raus muss, verblüfft dabei immer wieder mit ihrer Liebe zur Sprache, zu großen Sätzen und erschütternden Erkenntnissen. „Wir töten Euch, weil Ihr die seid, die bestimmen, was überall auf der Erde geschieht“, bricht es aus einem der Attentäter hervor, eine Wut, genährt von Verzweiflung und Ohnmacht, die die Autorin allerdings nicht mit Verständnis hätschelt.  Erklärung ist genauso wenig ihr Anspruch, wie  das Überwinden der  Abgründe zwischen ihren Gedankensprüngen. Das sollen andere für sie übernehmen – und sei es mit kunterbuntem, höchst amüsantem Regietheater.

Langanhaltendender Applaus der (erlaubten) 130 Premierenbesucher im Depot 1.

110 Minuten, nächste Termine: 9., 17. Und 18.10. – ausverkauft. Vorverkaufsstart für die Novembertermine am 5.10., Karten-Tel.: 0221/22128400