Eine Familie beschließt, 694 Tage, also eine Million Minuten, auf Reisen zu gehen, um die wahrhaft wichtigen Dinge des Lebens wertzuschätzen. Auf der Suche nach alternativen Lebensmodellen und neuen Denkmustern.
Nach Bestseller von Wolf Küpper„Eine Million Minuten“ zeigt eine reale Aussteigergeschichte

Pola Friedrichs (r) als Nina und Tom Schilling als Wolf in einer Szene des Films „Eine Million Minuten“
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Kindermund tut Mangel kund. Wenn Wolf Küper (Tom Schilling) frühmorgens von Berlin nach New York aufbricht, um als Biodiversitätsforscher bei der UN die Welt zu retten, dann fragt die fünfjährige Tochter Nina (Pola Friedrichs), wo der Papa denn nun wieder sei und wie lange er diesmal fort sein wird. Mutter Vera (Karoline Herfurth), die halbtags als Bauingenieurin tätig ist, hat die Care-Arbeit für ihre Kleinfamilie übernommen, zu der neben Nina auch noch der kleine Simon gehört.
Wie es zu dieser konfliktträchtigen Konstellation gekommen ist, bleibt im Dunkeln. Die Klimakonferenz ist New York ist für Wolf ein voller Erfolg. Seine Vorgesetzte überschüttet ihn mit Lob und schmiedet große Pläne. Vera ist ungleich erschöpfter und zutiefst unglücklich. Als Wolf nachts euphorisch nach Hause kommt, eskaliert die Situation.
Zwischen Alltagshelden und Weltrettern
Der nächtliche Streit ist nicht neu. Vera hat ihre Interessen und Ansprüche gutwillig hintangestellt. Wolf dagegen will, kann und muss das Klima retten. Und die großzügige Großstadtwohnung muss schließlich auch noch bezahlt werden. An dieser Stelle kommt Nina ins Spiel, die an einer Entwicklungsstörung leidet, die aber eher als niedlicher Eigensinn erscheint. Freundlich, aber bestimmt meldet die Fünfjährige ein Defizit an: „Ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten, nur für die ganz schönen Sachen.“

om Schilling als Wolf, Pola Friedrichs als Nina und Karoline Herfurt als Vera in einer Szene des Films „Eine Million Minuten“
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Ehekrise und eine latente Unzufriedenheit mit der Vaterrolle lassen Wolf nachdenklich zum Taschenrechner greifen: Eine Million Minuten, 694 Tage, eine fünfjährige Tochter mit Behinderung - und ein zweijähriges Prestige-Projekt vor der Nase, das ihm kaum „Family-Time“ spendieren wird. Von Vera staunend beobachtet, fasst Wolf einen Plan. Wenn die Familie sich kurzerhand von allem Überflüssigen befreit, die Wohnung kündigt, auf die Möglichkeiten von Homeoffice setzt, dann eröffnete sich vielleicht eine bessere Chance auf Work-Life-Balance und Familiennähe.
Zwei Jahre Ferien, nur eben ohne Ferien. Die Auswahl der neuen Lebensmittelpunkte übernehmen Nina und ein Globus. Die Wahl fällt auf Thailand (Sonne, Meer, Palmen, freundliche Indigene) und Island (Natur, Meer, wetterfeste Indigene). Warum nicht die Berufstätigkeit wechselweise in Schichten online vom Ferienhaus erledigen, die restliche Zeit mit den Kindern verbringen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie das Schwimmen oder das Fahrradfahren erlernen.
Lebensmodelle, die ins Wanken geraten
Leider überzeugt die Theorie mehr als die Praxis. Schichtarbeit produziert neue Konflikte, und nicht alle Termine lassen sich online zu festen Bürozeiten erledigen. Wieder ist es Nina, die feststellt, dass Wolf „heimlich gestresst“ ist. „Eine Million Minuten“ ist das Regiedebüt von Christopher Doll.
Der prominent besetzte Film fußt auf dem gleichnamigen Bestseller von Wolf Küper, der in seiner Aussteigergeschichte gesellschaftlich virulente Debatten um Rollenmuster, Work-Life-Balance, alternative Arbeitsweltmodelle und die grundsätzliche Frage nach Lebensqualität durchspielt. All dies findet sich auch in der Verfilmung, allerdings in pittoresker „Traumschiff“-Kulisse zwischen Palmen und Fjorden. Trotzdem will es sich der Film nicht zu einfach machen. Er fächert eine veritable Anzahl von Konflikten auf, die sich zumeist bei Wolf zeigen.
Dessen Ehrgeiz wird im UN-Job nämlich durchaus positiv bewertet, während Veras Berufstätigkeit erst sehr spät thematisiert wird und bestenfalls Dekor bleibt. Dieses Ungleichgewicht kennzeichnet den ganzen Film, der im Kern eine „education sentimentale“ des Mannes dokumentiert, der mit Selbstzweifeln, Unehrlichkeit, Rückschlägen und faulen Kompromissen zu kämpfen hat. Und der, als er sich als Hausmann einer berufstätigen Partnerin ausprobiert, auch noch eifersüchtig reagiert, weil sein emanzipatorischer Rollenentwurf sich gegen die windgegerbten Handwerker nicht zu behaupten scheint.
„Eine Million Minuten“ erscheint bestenfalls ein Fall für die „Men Studies“ zu sein, keinesfalls aber ein Labor für moderne Partnerschaft. Letztlich läuft alles auf die sentimentale Formel hinaus, dass das größte Risiko im Leben darin besteht, es zu versäumen. Wohl denen, denen der Luxus vergönnt ist, sich solchen weichgezeichneten Utopien hinzugeben. (kna)