Die Rundschau sprach mit dem Autor Clemens Meyer über seinen einzigartigen Roman „Die Projektoren“, der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht.
Autor Clemens Meyer über seinen neuen Roman„So etwas wie ‚Die Projektoren’ wird es nicht mehr allzu oft geben“
Clemens Meyer ist erschöpft, aber auch stolz auf jenen schillernden Monolithen, den er in fast zehnjähriger Arbeit in die deutsche Literaturlandschaft gewuchtet hat: „Die Projektoren“. Der mehr als 1000-seitige Roman steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, und vor der Kölner Literaturhaus-Lesung treffen wir den Leipziger Autor zum Gespräch.
Was war die Keimzelle seines vor Motiven, Personen und dramaturgischen Finessen nur so strotzenden Werks? „Die erste Figur, den Cowboy, habe ich schon 2008 erfunden. Da reiste ich mit dem Goethe-Institut durchs Velebit-Gebirge und entdeckte, dass dort in den 60er Jahren die Dreharbeiten der westdeutschen Karl-May-Filme stattgefunden haben.“
Der heute 47-Jährige fühlte sich an seine Kindheit erinnert, da Winnetou oder der Ölprinz in der DDR erst in den 1980ern das Licht der Leinwand erblickten. „Ein mitreisender kroatischer Kollege und Kriegsberichterstatter erzählte mir, dass genau an den Drehorten 1991/92 die ersten Kämpfe zwischen Kroaten und Serben stattfanden.“ Meyers Hauptfigur wacht in diesen Kriegen auf, war aber auch schon mit Lex Barker und Pierre Brice am Filmset gewesen.
Ursprünglich eine Novelle geplant
„Eine unglaubliche Begebenheit – und eigentlich hatte ich eine Novelle vor Augen.“ Doch dann musste er dem Cowboy eine Kindheit erfinden, in der er als serbischer Junge 1941 im brennenden Belgrad den Tod der Mutter erlebt. Und auch die Figur von Karl May kam hinzu. „So wuchs die Geschichte und zog immer mehr Fäden, bis ich begriff: Das kann keine Novelle sein.“
„Um 2015 herum“ begann er zu schreiben, und als er die ersten 300 bis 400 Seiten in die Herstellung seines Verlags S. Fischer schickte, ergaben sie dort schon über 600 – „und ich war noch mitten in der Arbeit“. Zwar wurde nun im Lektorat wie vom Autor jedes Kapitel auf den Prüfstand gestellt, „doch das Bewusstsein, dass ich da an etwas dran bin, war auch bei Fischer da.“ Schließlich der Konsens: „Egal wie dick es wird, mach es zu Ende.“
Clemens Meyer hat selbst keinen Krieg erlebt, findet aber ungeheuerliche Bilder dazu: der tote Elefant neben einem zerstörten Haus, der sterbende Wolf, der auf eine Mine getreten ist, oder die schöne Frauenleiche unter der Eisdecke. Der Autor („Die stillen Trabanten“) hat vor allem in englischen Zeitzeugenberichten viel recherchiert. „Den Elefanten habe ich bei Churchill in einem Bericht über die Bombardierung von Belgrad gefunden, bei der auch der Zoo getroffen wurde.“
Zerrspiegel für den Krieg
Meyer wollte Landserprosa und Panzerschlachten unbedingt vermeiden, „und so musste ich immer wieder Zerrspiegel finden, um Krieg für Leser überhaupt erklärbar zu machen“. Dies gelingt dank einer hypnotischen Sprache. „Ich konsumiere extrem viele Zeitungen, Bücher, andere Medien, um die Realität wahrzunehmen.“
Letztere habe sich indessen derart verfinstert, „dass sich das Surreale und Albtraumhafte hereindrängen. Ich merkte, dass ich hier kein realistisches Werk schreiben konnte, und so werden die Grenzen zum Halluzinatorischen fließend.“ Zudem nimmt sich der Schriftsteller immer wieder die Freiheit, eigene Wirklichkeiten zu kreieren. So quartiert er Karl May, „diesen Hochstapler und Welterfinder“, in der Leipziger „Irren-Hilfs-Heil- und Pflegeanstalt des Dr. Güntz“ ein oder lässt ihn tatsächlich in den eigentlich nur imaginierten Orient reisen. Und der Romantitel? Ebenfalls mehrdeutig.
Klar, einerseits meint er die Vorführgeräte der Kinos, dieser „magischen Traumorte, aber auch die Projektoren als Figuren, die ihre Projekte vorantreiben, die guten wie die schlechten“. Der sinistre Geheimagent Smith oder der rechtsradikale Verleger Sterner glauben von sich: „Wir lenken das Licht.“ Schon länger arbeitet Meyer am Skript einer fiktionalen TV-Miniserie über die rassistischen NSU-Verbrechen. Hier lässt er sie nur kurz „als Schatten“ vorbeihuschen.
Ausführlich schickt er hingegen Leipziger Neonazis in den Kroatienkrieg und die Katakomben von Vukovar. Zur braunen Truppe zählt auch Karl-May-Fan Georg, der uneheliche Sohn des Cowboys. Eine komplex vertrackte Geschichte, von der ihr Erfinder bald wusste: „Es wird doch epischer, als ich dachte – fast ein kleiner Roman im Roman.“
Schon einmal nominiert für den Deutschen Buchpreis
Schon vor elf Jahren war der in Halle/Saale geborene Schriftsteller mit seinem grandiosen Unterweltfresko „Im Stein“ in der Endauswahl für den Deutschen Buchpreis, ging aber letztlich leer aus. Und diesmal? „Für mich wäre es finanziell schon nicht schlecht, nicht wegen der Dotierung, sondern aufgrund der dann höheren Auflagen. Ich habe in diesen Jahren schon Raubbau betrieben, sowohl an mir als auch an meinen Ressourcen. Da ist viel auf der Strecke geblieben, auch im Privaten.“
Irgendwie müsse Geld hereinkommen, auch zur Begleichung von Steuerschulden. Gleichzeitig sagt er: „Wenn ich nicht gewinne, gehe ich da erhobenen Hauptes raus. Dann kann man auch mit der nötigen Objektivität nach all den Jahren sagen: So etwas wie ‚Die Projektoren’ wird es nicht mehr allzu oft geben. Ich bin schon stolz, einen Solitär geschaffen zu haben – alles andere kann ich nicht entscheiden.“
Momentan will er erst einmal gar nichts schreiben, obwohl es Verabredungen mit dem Verlag und Pläne für „einen kleinen Roman, 250 Seiten, ganz stringent von A bis Z“ gebe. Sicher geht es weiter, „ich bin schließlich Schriftsteller. Aber jetzt brauche ich erst einmal Pause, lange Pause.“
Clemens Meyer: Die Projektoren. Roman, S. Fischer, 1048 Seiten, 36 Euro.