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„Völlige Katastrophe“Viele Kölner Kitas haben massiv verringerte Betreuungszeiten

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Mit bunten Buchstaben sind die Worte „Erzieher*in gesucht“ geformt, die an einem Zaun einer Kindertagesstätte. (Symbolbild)

Mit bunten Buchstaben sind die Worte „Erzieher*in gesucht“ geformt, die an einem Zaun einer Kindertagesstätte. (Symbolbild)

Kölns Kindertagesstätten haben Betreuungszeiten wegen Personalmangels drastisch reduziert, sehr belastend für berufstätige Eltern und Kinder mit besonderem Bedarf. Irgendwann ist sogar eine komplette Schließung der Gruppen möglich.

Ganz bewusst hat sich Julia Rosch für eine städtische integrative Kita entschieden. „Hier ist das ganze bunte Leben der Stadt vertreten“, sagt sie. „Und das ist mir wichtig für meine Tochter.“ Die Dreieinhalbjährige gehe „riesig gerne“ in die Kita an der Neusser Straße. Im März allerdings ging das nur in einer Woche wie gewohnt; in der übrigen Zeit konnte sie nur je zwei oder drei Tage wöchentlich dort verbringen.

„Unhaltbarer Zustand“: Kita-Eltern wenden sich in Brief an OB Reker

„Und das, obwohl die Kita-Leitung seit 1. März die Betreuungszeit wegen Personalmangels schon von 45 auf 35 Stunden die Woche herabsetzen musste“, sagt Rosch, die in 80-Prozent-Teilzeit arbeitet. „Für die Kinder einer der beiden Gruppen gab es im März mehr Ausfall als Betreuung.“ Denn selbst die 35-Stunden-Betreuung könne nur umgesetzt werden, wenn niemand krank, in Urlaub oder auf Fortbildung sei, kritisieren die Kita-Eltern gestern in einem Offenen Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Immer wieder bleibe eine der Gruppen ganz geschlossen - ein „unhaltbarer Zustand“. „Die meisten Eltern sind berufstätig und viele auf 45 Stunden angewiesen“, so das Schreiben weiter. „Gar keine Betreuung ist völlig untragbar. So ist ein einigermaßen normaler Alltag mit Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich.“ Die Stadt könne sich nicht auf Fachkräftemangel berufen sondern müsse Wege finden, eine Betreuung sicherzustellen.

Die Nippeser Eltern sind kein Einzelfall. In Köln gibt es derzeit 706 Kindertagesstätten, darunter 214 städtische Kitas; nahezu alle seien vom Personalmangel betroffen, teilte die Stadt mit. In 35 bis 40 Prozent aller städtischen Kitas sei der Betreuungsumfang derzeit an einzelnen Tagen oder auch wochenweise eingeschränkt. In diesen 214 Kitas werden 13 539 Kinder, die drei Jahre und älter sind, und 2798 Unter-Dreijährige betreut.

Trotz Rechtsanspruch: Erstmal keine Verbesserung in Sicht

Sehr negativ wirke sich die Einschränkung auch auf die Kinder mit besonderem Bedarf aus. Ihnen eine Förderung und Teilhabe zu ermöglichen, könne nur gelingen, wenn eine beständige verlässliche Betreuung gewährleistet sei, so die Nippeser Eltern. Diese Förderung ist keine freiwillige Leistung – auf sie hat jedes Kind einen Rechtsanspruch. Ab dem ersten Jahr gilt der Anspruch auf frühkindliche Förderung, ab dem vollendeten dritten Lebensjahr auf individuelle Förderung in einer Kita. Grundsätzlich steht jedem Kind deshalb eine 25-Stunden-Betreuung zu. Je nach Förderbedarf, Familiensituation, Berufstätigkeit der Eltern und möglichen Beeinträchtigungen ist sein Anspruch aber auch deutlich höher. Diesen Anspruch können die Eltern geltend machen; gegebenenfalls prüft ihn das Jugendamt mit Blick auf die Gesamtsituation des Kindes.

Eine Verbesserung ist für Kinder und Eltern erstmal nicht in Sicht – das konstatierte auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrem prompten Antwortbrief an die Eltern. Derzeit fehlen 200 Fachkräfte, teils auch durch Langzeiterkrankungen. „Freies und qualifiziertes Fachkräftepersonal ist kaum zu finden, so dass sich gerade Nachbesetzungen freier Stellen zumeist über Monate hinziehen“, so die Stadt. Im Jahr 2026 werden nach ihrer Prognose 800 Fachkräfte fehlen. Und auch danach rechne man mit einem altersbedingten Ausscheiden vieler erfahrener Kräfte. Die Folgen sind teils dramatisch und die von Ihnen geschilderten Auswirkungen auch uns bewusst, so Reker.

Besonders belastet sind durch die unregelmäßigen Betreuungszeiten und die bei Erkrankung spontanen Gruppenschließungen Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen. „Die aktuelle Situation ist für meinen Sohn und mich eine völlige Katastrophe“, sagt Mirelle C. Ihr vierjähriger Sohn hat Autismus und besucht die Kita mit einem Betreuer. Seine Mutter arbeitet als Fitness-Trainerin in einem Studio. Immer wieder musste sie seit Januar Stunden absagen, verdiente deutlich weniger als nötig. „Man ist sowieso mit einem beeinträchtigten Kind am Rand der Gesellschaft, und so wird man auch noch arm.“ Zwei Mal in der Woche geht sie mit ihrem Jungen zur Therapie ins Autsmuszentrum, 35 Stunden sollte er betreut werden, damit seine Mutter den Lebensunterhalt verdienen kann. Massiv betrofffen sind auch Alleinerziehende. „Auch sie haben finanzielle Einbußen bei sowieso meist sehr knappem Budget“, schildert Tanja Vogt vom Zentrum für Alleinerziehende. Auch sei es für sie und ihre Kinder eine psychische Belastung, wenn die Betreuung immer wieder wegfalle. „Das trifft gerade die Kinder hart, die aufgrund ihrer Situation ein Recht auf umfangreichere Förderung und Betreuung hätten.“


Ausbau der Ausbildungsplätze zwei Jahre später

Noch im Mai 2023 hatte die Verwaltung in einer Ratsvorlage die Verdopplung der Ausbildungsplätze in den Bereichen Kinderpflege und Erzieher/-in in einem neuen Teilstandort „frühestens für das Schuljahr 2026/27“ angestrebt. Jetzt wird diese erst zwei Jahre später, für das Schuljahr 2028/29 anvisiert. Nur der praxisintegrierten Ausbildungsgang Erzieher wird um eine Klasse aufgestockt – in der ehemaligen Bibliothek des Kollegs. Für 2025/26 ist keine Erweiterung vorgesehen.

Gering seidas Interesse an der Erzieherausbildung derzeit. Man müsse den Beruf des Erziehers zunächst attraktiver zu machen, um mehr Interessierte zu gewinnen so die Verwaltung.

Doppelt so hoch wie das Angebot ist die Nachfrage nach Plätzen im Bereich Kinderpfleg seit Jahren – trotz Erweiterung des Angebotes im Jahr 2020 von 100 Plätzen auf 148 in 2023. Die Abbrecherquote beträgt 25 Prozent. (bos)