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Verein „Paula“Martina Böhmer kümmert sich um traumatisierte Frauen ab 60

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Mit viel Tempo unterwegs: Martina Böhmer ist Pflegerin. Durch ihre Arbeit wurde sie aufmerksam auf ältere Frauen, die lange unter schlimmen Erfahrungen leiden.

Köln – Eine alte Frau kauert unter ihrem Bett in einer Pflegeeinrichtung. Sie traut sich nicht hervorzukommen, ist verängstigt. Die Pfleger sind überfordert, finden nicht recht Gehör bei ihr. Solche Szenen spielen sich seit Februar aktuell immer öfter ab. Die Nachrichten über den Krieg gegen die Ukraine erwecken bei vielen älteren Frauen Erinnerungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Um solche Frauen kümmert sich Martina Böhmer. Die 62-Jährige ist examinierte Altenpflegerin und Traumafachberaterin und gründete 2010 den Verein Paula e.V., mit dem sie ehrenamtlich Beratungen für Frauen ab 60 Jahren, die in der Vergangenheit traumatische Ereignisse bis hin zu physischer Gewalt erlebt haben, anbietet. Für ihr Engagement hat sie jetzt den Ehrenamtspreis „Köln Engagiert 2022“ gewonnen.

Böhmer arbeitete in der Pflege

Bis 2008 arbeitete Böhmer als Altenpflegerin. Dort erlebte sie oft, dass bei älteren Frauen Erinnerungen an Gewalt wieder aufgekommen sind. „Pflege ist etwas Grenzüberschreitendes, da man etwas am Körper einer anderen Person macht. Dadurch erinnern sich viele Frauen an sexualisierte, körperliche Gewalt in der Kindheit oder auch später in der Ehe.“

So wurde ihr klar, dass es kaum Unterstützung für diese Frauen gab. „Ich konnte als Pflegerin niemanden dazu holen, der sich mit ihren Problemen beschäftigt hätte.“ Deshalb machte sie eine Fortbildung zur Traumafachberaterin und kündigte ihren Beruf in der Pflege. Sie hielt Vorträge in ganz Deutschland und schrieb sogar ein Buch. Beides mit dem Ziel, ein Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen, dass auch Frauen im höheren Alter sexualisierte Gewalt erleben oder erlebt haben können und sofort mehr Unterstützung brauchen.

Verein Paula e.V. berät Frauen im höhren Alter zu sexualisierter Gewalt

Nur Vorträge zu halten erfüllte Böhmer nicht. „Das war schön und gut, aber ich wollte konkret helfen.“ So gründete sie 2010 den Verein Paula e.V. und startete 2012 mit der ehrenamtlichen Beratungsstelle. Außerdem versucht sie, über den Verein Projekte finanziert zu bekommen. Aktuell unterstützt die Fernsehlotterie ihr Projekt „Aufsuchende Beratung“, wodurch Böhmer und eine Mitarbeiterin bezahlt Frauen beraten können, die nicht in der Lage sind, die Beratungsstelle aufzusuchen. Durch diese Förderung gewann sie die Mitarbeiterin auch für die ehrenamtliche Hilfe in der Beratungsstelle, die nicht finanziell gefördert wird.

Die beiden bieten eine Traumafachberatung an. „Das bedeutet vor allem, dass die Frauen einen sicheren Ort haben, wo sie das erste Mal über ihre Erlebnisse sprechen können“, sagt Böhmer. Das Ziel sei, dass sie sich aus aktuellen Gewaltsituation trennen können und frühere Erlebnisse so verarbeiten, dass sie sich aktuell weniger davon beeinträchtigt fühlen. „Wir müssen den Frauen zeigen, dass sie wertvolle, eigenständige Menschen sind.“ Denn vor allem ältere Frauen seien noch mit ehelichen Pflichten sozialisiert worden. „Manchen Frauen muss man erstmal klar machen, dass Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat ist und dass sie sich dagegen wehren dürfen.“

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Auch wenn Böhmer sehr glücklich darüber ist, den Ehrenamtspreis gewonnen zu haben, bleibt dennoch ein fader Beigeschmack. „Es wäre mir natürlich viel lieber, wenn es eine finanzierte Arbeit wäre, die Beratungsstelle müsste eigentlich Förderungen bekommen. Das haben die Frauen verdient.“ Teilweise beraten Böhmer und ihre Kollegin mehr als ein Dutzend Frauen, das sei ehrenamtlich schwer abzudecken.

Die Projektförderung für die aufsuchende Beratung dauert noch eineinhalb Jahre an, für die Zeit danach versucht Paula e.V. schon jetzt in Gespräche mit der Stadt Köln für mögliche finanzielle Förderungen zu kommen. „Es ist ja schonmal ein gutes Zeichen, dass wir den Ehrenamtspreis gewonnen haben. Das zeigt, dass die Stadt uns auf dem Schirm hat“, sagt Böhmer. Mit einer Förderung könne Sie die Beratungsangebote für die betroffenen Frauen sicherstellen.