Gut PisdorhofEin Zuhause für 51 Individuen
Köln – „Das ist Penky, das ist Lumpi, das ist Waldi.“ Nacheinander stellt Eveline Kubut ihre drei kleinen Stoffhunde zur Begrüßung auf den Tisch. Die 65-Jährige freut sich über den Besuch, dem sie ihr Zuhause zeigen kann. Sie wohnt seit mehr als 30 Jahren im Gut Pisdorhof in Ossendorf. In der Caritas-Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung wird seit rund zehn Jahren ein besonderes Betreuungskonzept angewandt.
„Das Konzept nach dem Niederländer Willem Kleine Schaars will den Menschen möglichst viel Selbstbestimmung geben“, sagt Sebastian Beckers. Der Heil- und Erziehungspfleger arbeitet seit gut 20 Jahren im Haus und ist ausgebildeter Coach für das Konzept mit der Abkürzung WKS. Seit im Haus nach WKS gearbeitet wird, hat sich vieles verändert: Die 51 Bewohnerinnen und Bewohner im Alter zwischen 21 und 80 Jahren können so viel wie möglich selbst bestimmen.
Nachtdienst ist jetzt anstrengender als früher
„Während früher die Küchen nachts abgeschlossen waren, können sie sich jetzt auch in der Nacht oder am Abend etwas zu essen machen“, nennt Beckers ein Beispiel. „Der Nachtdienst ist sicher anstrengender geworden“, gibt er zu. Aber auch die Atmosphäre im Haus habe sich verändert. Sie wirkt locker und fröhlich. Während an diesem Sommertag einige an einem Hochbeet arbeiten, unterhalten sich andere im weitläufigen Innenhof unter der üppigen Linde.
WKS-Modell
4 Wohnhäuser für Menschen mit geistiger Behinderung betreibt die Caritas in Köln.
Diese sind: Gut Pisdorhof, St. Christophorus und Haus Blumenberg. Im Katharinenhaus leben Menschen mit Hörschädigung und einer psychischen Erkrankung.
Das Betreuungsmodell von Willem Kleine Schaars (WKS-Modell), nach dem jeder Mensch innerhalb seiner Fähigkeiten das eigene Leben bestimmen kann, wird in allen Häusern gelebt. (dha)
Es gibt einiges zu tun. Denn bald soll das Sommerfest stattfinden. Komplett in Eigenregie von den Bewohnern geplant. „Ich habe den Auftrag, für das Grillen zu sorgen. Ich habe mit der Hauswirtschaft geklärt, dass wir Wurst und Fleisch haben“, sagt Eveline Kubut nicht ohne Stolz. Dass das Fest funktionieren wird, liegt auch daran, dass sie gut organisieren kann.
„Eveline kann super organisieren. Und sie ist richtig gut darin, vor Gruppen zu sprechen“, sagt die Betriebliche Einrichtungsleiterin Alena Bergmann. Bewohnerin Lina dagegen ist künstlerisch begabt. Sie hat die Plakate für das Sommerfest farbenfroh und kreativ gestaltet. Nun hängen sie in den einzelnen Wohnbereichen.
„Oft sind die Potenziale da, sie müssen nur abgerufen werden und den Menschen Verantwortung übergeben werden“, sagt Beckers. Dabei stecken die Betreuer den Rahmen dessen, was als unbedingt notwendig erachtet wird. Wenn jemand nicht duschen will, werden bestimmte Tage für das Duschen vereinbart. Bei einer Bewohnerin, die ihr gesamtes Zimmer ins Chaos stürzte, gab es die Vereinbarung, dass zumindest der Boden zwischen Tür und Fenster frei sein müsste. „Das hat sie geschafft“, sagt Beckers. Nach einer Weile sei sie sogar stolz gewesen.
Ein offizielles Paar wohnt zusammen
So wenig einmischen und bevormunden wie nötig − daran halten sich die Betreuenden. „Wir reden nicht mehr rein“, bringt es Beckers auf den Punkt. Wenn ein Bewohner für die Rückgabe jeder einzelnen Pfandflasche zum Supermarkt laufen will, macht er das eben. „Wenn jemand im Winter eine kurze Hose anziehen will, lasse ich ihn erst mal über den Hof zum Tor gehen. Dann merkt er vielleicht selbst, dass das zu kalt ist“, sagt Beckers. Das Resultat des WKS-Konzepts: „Die Menschen sind zufriedener“, findet der Heil- und Erziehungspfleger.
Obwohl mit mehr Freiheit auch größere Risiken einhergehen, sei „nicht wesentlich mehr passiert“, seit WKS im Gut Pisdorhof angewendet wird. „Die Sicherheit der Bewohner und Bewohnerinnen ist uns wichtig“, betont Bergmann, die seit gut drei Jahren im Haus ist. „Vor WKS waren wir in der Überbehütung“, ergänzt Becker.
Als 2016 nach einem Umbau die Wohngruppen im Gut Pisdorhof neu geordnet wurden, durften die Bewohner sagen, mit wem sie gerne zusammen in einer Gruppe wohnen wollten und mit wem auf keinen Fall. „Ich wohne mit Inge zusammen in einem Zimmer. Inge ist meine Freundin. Wir frühstücken immer zusammen“, erklärt Eveline Kubut. Die beiden Frauen teilen sich auf besonderen Wunsch ein großes Zimmer.
„Unser eines offizielles Paar hat sich die beiden Zimmer wie eine Wohnung eingerichtet. In einem schlafen sie, das andere ist das Wohnzimmer“, sagt Bergmann. Auch als Leiterin fühle sie sich in Gut Pisdorhof rundum wohl. „Es gibt hier 51 Individuen“, stellt sie klar, „Das heißt, wenn jemand sonntags gerne lange im Schlafanzug ist, ist das völlig in Ordnung. Genauso, wie wenn jemand lieber in seinem Zimmer isst als mit den anderen oder sich seine Mahlzeit später noch mal aufwärmen möchte.“
Während Eltern von Kindern mit einer geistigen Behinderung früher oft bis zu ihrem eigenen Tod ihre Kinder betreuten, würden junge Leute heute leichter in ein Wohnhaus ziehen, hat Bergmann beobachtet. Eine Entwicklung, die Beckers begrüßt: „Mit Anfang 20 schaffen die jungen Leute es meistens gut, sich zu verändern. Das ist ein natürlicher Ablösungsprozess.“