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Interview

Sprecher der Caritas Köln
„Wir müssen den sozialen Frieden in Köln erhalten“

Lesezeit 7 Minuten
In unruhigen Zeiten müsse die soziale Infrastruktur unbedingt erhalten bleiben, so Markus Peters. Schon jetzt setzten die Verbände dafür teils erhebliche Eigenmittel ein.

In unruhigen Zeiten müsse die soziale Infrastruktur unbedingt erhalten bleiben, so Markus Peters. Schon jetzt setzten die Verbände dafür teils erhebliche Eigenmittel ein.

Am Mittwoch gibt es in Düsseldorf eine Großdemo zu Kürzungen im Sozialbereich. Wir haben mit Markus Peters über Kölns gefährdete Infrastruktur gesprochen.

Am 1. Oktober hat Markus Peters das Amt als Vorstandssprecher der Caritas Köln von Peter Krücker übernommen. Über die Aufgabe, die von Kürzungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefährdete soziale Infrastruktur in Köln zu erhalten, sprach Gabi Bossler mit ihm.

Wie viel Mut braucht es, die Führungsposition des mit weitem Abstand größten Sozialen Trägers in Köln in einer Phase zu übernehmen, in der gravierende Auseinandersetzungen und sicher auch bittere Entscheidungen anstehen?

Wir leben und arbeiten in anspruchsvollen Zeiten, in denen es Mut braucht, keine Frage. Ich möchte gerne daran mitwirken, in dieser Stadt auch in Zeiten der Herausforderungen das Beste für den sozialen Frieden in Köln herauszuholen. Bei knappen Ressourcen ist die Frage nach Zielen und Prioritäten von größter Bedeutung. Ich verstehe die Geschichte und das Gefühl in dieser Stadt so, dass wir hier gut miteinander leben wollen und können und dass Menschen, denen es nicht gut geht, geholfen wird. Dass wir sie in unsere Mitte holen und sagen „Wir sind zusammen Köln“. Das muss auch so bleiben.

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Die Forderung, Politik und Verwaltung sollen das Kriterium „sozialer Frieden“ als Leitgedanke über alle Entscheidungen stellen, war ja Ihre letzte Amtshandlung beim Sozialdienst Katholischer Männer, dessen geschäftsführender Vorstand Sie zehn Jahre lang waren. Was bedeutet das konkret?

Wohlfahrtsverbände wie die Caritas leisten einen enormen Beitrag für eine stabile soziale Infrastruktur in Köln. Und wir setzen uns dafür ein, den sozialen Frieden auch in unruhigen Zeiten aufrechtzuerhalten. Es ist aber die Aufgabe aller Beteiligten in der Stadtgesellschaft – Institutionen, Organisationen und Menschen –, diesen sozialen Frieden als oberstes Ziel zu sichern und mit Maßnahmen zu fördern, die diese Bilanz zum Positiven verändern. Der Ansatz basiert auf den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Ich bin sehr gespannt, ob eine Stadtgesellschaft den Satz „Wir sind eine soziale Stadt“ auch aktiv einlöst. Das wäre gerade in diesen Zeiten ein wichtiges Signal und ein zukunftsgewandtes Ziel – und eben keine quotenbezogene Sparlogik!

Aktuell passiert aber gerade zunächst auf Bundes- und Landesebene genau das Gegenteil. Etliche Angebote der Caritas sind bereits von konkret geplanten Mittelkürzungen bedroht…

Ganz massiv sind die Kürzungen der Hilfen für geflüchtete Menschen bei allen sozialen Trägern. Beim Caritas-Zentrum für Menschen nach Folter und Flucht beispielsweise drohen Kürzungen der Bundesmittel in Höhe von 60 Prozent. Fakt ist, dass ein Drittel aller Menschen, die zu uns geflüchtet sind, traumatisiert sind. Das sind in Köln rund 4000 Menschen, die zum Teil schlimmste, unaussprechliche Erfahrungen gemacht haben. Die wir nicht allein lassen dürfen. Und wenn wir das Thema über das einzelne Schicksal hinaus betrachten, lösen Kürzungen, die die Unterstützung für diese Menschen massiv einschränken, zu einem späteren Zeitpunkt auch gravierende Folgekosten für unsere Gesellschaft aus.

Wo fallen noch Mittel anteilig oder ganz weg?

Das Bleiberechtsprogramm, die Beratung in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Beratung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter sollen komplett wegfallen, auch bei der kommunalen Flüchtlingsberatung sind Kürzungen geplant. Auch Suchtprävention und die Hilfe für Strafgefangene soll gekürzt werden.

Der Bund stellt seine Finanzierung ein, die Folgekosten tragen mittelfristig die Kommunen.

Die Kommunen sind verantwortlich für die Grundversorgung der Menschen. Das Problem ist: Sie haben mit Schulden und hohen Kosten zu kämpfen. Das hat einschneidende Konsequenzen für die Finanzierung, auch in Köln. Deshalb müssen Bund – auch nach dem Ampel-Aus – und Land jetzt auch einen substanziellen Schritt tun und einen Beitrag zur Entschuldung der Kommunen leisten. Denn die Kommunen setzen eine ganze Reihe von sozialen Aufgaben um, die auf Entscheidungen der Bundes- und Landesebene beruhen. Und im Übrigen: Mit vielen dieser sozialen Aufgaben werden wiederum die Caritas und die anderen Wohlfahrtsverbände von der Kommune beauftragt. Eine kostendeckende Finanzierung dieser Aufgaben ist deshalb dringend geboten.

Was sind Ihre Erwartungen zum Kölner Doppelhaushalt für die Jahre 2025/26?

Am Donnerstag wird der Haushaltsplanentwurf für den Kölner Doppelhaushalt 2025/26 veröffentlicht. Seit Monaten hören wir aus den Dezernaten, dass enorme Kürzungen bevorstehen. Für 2023 und 2024 hat die Kommune den sogenannten Strukturförderfonds aufgelegt. Damit konnten die hohen krisen- und tarifbedingten Kostensteigerungen der letzten Jahre abgefedert werden. Das ist von der gesamten Freien Wohlfahrtspflege Köln mit großer Wertschätzung wahrgenommen worden. Es ist nun aber so, dass diese Kosten nicht wieder gesunken sind, eher stehen weitere Kostensteigerungen bevor. Deshalb ist es wichtig, dass diese dynamischen Steigerungen auch im kommenden Haushalt der Stadt Köln abgebildet sind. Wir müssen – wie die Stadt Köln für ihre eigenen Mitarbeitenden – gestiegene Tarifkosten zahlen können.

Welche Maßnahmen sind denkbar, wenn der Haushalt massive Kürzungen vorsieht?

Eine mangelnde Refinanzierung unserer Leistungen gefährdet die soziale Infrastruktur in Köln. Wir werden die Situation in der Freien Wohlfahrtspflege genau analysieren und weiter den intensiven Austausch suchen. Wenn es zu massiven Kürzungen kommt und unsere Gespräche mit Politik und Verwaltung nicht zum Erfolg führen, können wir uns auch öffentliche Aktionen in Köln vorstellen. Um auf die drohenden Kürzungen im Landeshaushalt zu reagieren, nehmen wir bereits heute an einer großen Demonstration in   Düsseldorf teil.

Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, die Caritas ist ein richtig reicher Verband, die könnte ja Angebote selber finanzieren…

Das tun wir ja heute schon! Im Bereich der Kitas etwa liegt der Trägeranteil bei über 6 Prozent, was in der Summe für uns eine sehr hohe Eigenleistung ausmacht. Wir setzen zudem in nicht ausreichend finanzierten Leistungsbereichen erhebliche Eigenmittel ein – vor allem im Bereich Migration und Integration. Hier leisten wir Eigenmittelanteile von bis zu 25 Prozent. Noch mal zum Strukturförderfonds der Stadt Köln: Dieser macht in Köln zehn Millionen Euro nur für die freiwilligen Leistungen aus. Den gleichen Betrag legen auch die freien Träger jedes Jahr als Eigenanteil in diesem Bereich dazu. Und wenn wir von Eigenleistung sprechen: Wir sind auch bei Investitionen gefordert. In knapp zehn Jahren haben wir bei der Caritas 73 Millionen Euro in Sanierung und Neubau unserer Altenzentren gesteckt. Wir leisten also einen wichtigen Beitrag dazu, um die in Köln dringend benötigten Pflegeplätze bereitzustellen. Wenn wir aber heute ein neues Altenzentrum bauen wollen, dann bekommen wir eine finanzielle Unterstützung, um es in 50 Jahren abzuzahlen. Bis dahin stehen aber schon lange wieder notwendige Sanierungen an. Wir müssen also bereits heute auch dafür Geld aus Eigenmitteln einsetzen.

Und auch in die Klimaneutralität ihrer Angebote investiert die Caritas…

Das tun wir schon von unserem Selbstverständnis her – und haben dafür vor wenigen Tagen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 bekommen! Aus Eigenmitteln investieren wir zudem in Digitalisierung als Bestandteil unserer Dienstleistungsentwicklung und schaffen hier Möglichkeiten, neue Technologien in unseren Angeboten einzusetzen.

Wo ist denn überhaupt eine Kürzung denkbar, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden?

Wenn wir im Sozialen sparen, produzieren wir Folgekosten, die wir als Gesellschaft in jedem Fall tragen müssen, nicht nur heute. Gleichzeitig gibt es zu wenig Lösungen für diverse Problemlagen. Deutschland ist nicht Spitzenreiter in der sozialen Infrastruktur in Europa, das belegen Statistiken. Deshalb fehlt mir auch jedes Verständnis dafür, dass man in dieser Stadt 1,5 Milliarden Euro in Steine investiert, deren Zukunftsfestigkeit deutlichst in Rede steht.

Sie meinen Oper und Schauspiel?

Ja. Die zusammen über 1,5 Milliarden Euro kosten werden. Dafür die hilfebedürftigen Menschen dieser Stadt in Mithaftung zu nehmen, finde ich unverantwortlich.

Wo sehen Sie die Caritas in zehn Jahren?

Die Caritas wird in Köln auch dann eine sehr aktive und laute Stimme für die Menschen sein, die benachteiligt und von Armut betroffen sind. Wir werden uns auch in Zukunft für sie einsetzen. Ein enorm forderndes Thema werden Pflege und Teilhabe der deutlich steigenden Zahl älterer Menschen in unserer Gesellschaft. Die Caritas wird sich dafür engagieren, dass ein erfülltes Leben im Alter keine Geldfrage sein darf.