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Serie „Verlassene Orte“ (5)Die Kölner Philharmonie in der Pandemie

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Die Bühne der Philharmonie ist stets bereit für die Musiker.

Köln – Die Ruhe im Saal der Kölner Philharmonie hat fast schon etwas Meditatives. Der Blick wandert durch den leeren Zuschauerraum, auf die verwaiste Bühne, von dort nach links auf die imposante Orgel. Auf der anderen Seite der Bühne windet sich die hölzerne Wendeltreppe elegant nach oben. Normalerweise sitzen hier bis zu 2000 Zuschauer und beklatschen die Musiker auf der Bühne. Nun herrscht absolute Stille.

Doch dann ein Geräusch: Eine dunkelhaarige Frau mit Geigenkoffer und FFP2-Maske betritt die Bühne. Es ist Natalie Chee, Konzertmeisterin des Gürzenich-Orchesters. Nur weil keine Zuschauer kommen dürfen, heißt das noch lange nicht, dass es in diesen Zeiten keine Musik aus der Philharmonie gibt. Chee hat in den vergangenen Wochen bereits viele Geisterkonzerte für das Streaming-Angebot der Philharmonie gespielt.

Eine schreckliche Möglichkeit

Das sei zwar die einzige Möglichkeit, aber: „Es ist schrecklich“, sagt sie. „Wir sind zwar froh, in diesem wunderschönen Saal weiterhin spielen zu dürfen, aber ohne Zuschauer ist es natürlich nicht das Gleiche.“ Das, was Musiker, Künstler und die gesamte Kultur antreibt, fehlt: der Applaus. „Wir geben alles, schauen in den Saal und es kommt nichts zurück“, sagt Chee.

Auf der Bühne dürfen zwar immer noch bis zu 50 Musiker gleichzeitig spielen, doch es fühlt sich trotzdem anders an. In normalen Zeiten teilen sich zwei Musiker ein Pult mit Notenblättern, nun hat jeder sein eigenes. Dazwischen jeweils 1,50 Meter Abstand. Den Unterschied merke selbst das geübte Ohr im Endergebnis nicht. Doch auf der Bühne fühlt sich die ungewohnte Situation anders an. Die Kommunikation untereinander sei schwieriger.

Streaming-Angebot der Philharmonie

Die Streaming-Plattform der Kölner Philharmonie ist zu hundert Prozent kostenlos. Das Angebot ist kein Produkt der Corona-Pandemie sondern besteht schon deutlich länger.

Denn: „Jeder Mensch hat das Recht auf Musik“, sagt Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort. „Auch wenn jemand krank ist oder aus anderen Gründen nicht kommen kann, soll er die Möglichkeit haben, etwas von hier mitzukriegen.“ An diese Menschen richtet sich das Streaming-Angebot, genau wie an Menschen, die keine Karten mehr bekommen konnten.

Viele Videos bleiben nach der Veröffentlichung weiter abrufbar. Derzeit zeigt die Philharmonie beispielsweise ein Konzert des Gürzenich-Orchesters mit dem US-amerikanischen Pianisten Kirill Gerstein oder den Auftritt des rumänisch-deutschen Countertenors Valer Sabadus. Auch das Silvester-Konzert des WDR-Sinfonieorchesters ist noch abrufbar. (sim)

www.philharmonie.tv

Louwrens Langevoort, Intendant der Philharmonie, ist froh, dass der Saal in diesen Zeiten nicht vollständig verwaist ist. Fast jeden Tag proben Musiker hier oder produzieren Streams. Die beiden Hausorchester der Philharmonie, Gürzenich-Orchester und WDR-Sinfonieorchester, spielen regelmäßig. Dazu kommen auch externe Ensembles. „Den Zuschauerraum jedes Mal leer zu sehen ist aber schon traurig“, sagt Langevoort.

Zuschauereinnahmen fallen weg

In normalen Zeiten finden jedes Jahr 400 bis 450 Veranstaltungen mit Zuschauern statt, an fast 365 Tagen im Jahr, am Wochenende manchmal drei pro Tag. Die Zuschauereinnahmen fallen weg, dazu fehlen Einnahmen, die normalerweise durch Vermietung auf das Konto der Philharmonie fließen würden. „Das ist schon eine große finanzielle Herausforderung für uns“, sagt Langevoort.

Auch das Foyer der Philharmonie ist leer gefegt. In der Garderobe hängen die Nummernschilder für die Kleidungsstücke fein säuberlich sortiert an ihren Haken. An der Bar klebt ein Schild mit der Aufschrift: „Gastronomie geschlossen! Bitte nutzen Sie das Geschirr nicht. Heinzelmännchen gibt es nicht mehr“.

Stille in der Philharmonie

Auf der einen Seite des Foyers zieren meterhohe Spiegel die Holzverkleidung, gegenüber versteckt sich die Backsteinwand hinter Wendeltreppen und der Kleider-Abgabe-Station. Geschwungene Formen ziehen sich durch den gesamten Raum. Auch dieser Ort hat etwas Beruhigendes, etwas Ästethisches. Wenn tausend Menschen hier herumwirbeln, fällt das vermutlich weniger auf, als jetzt, wenn alles still ist.

Wann die Philharmonie hier wieder Gäste empfangen darf, steht auch für den Optimisten Langevoort in den Sternen. „Es bringt nichts, zu früh zu öffnen und dann nach kurzer Zeit wieder schließen zu müssen. Lieber warten wir etwas länger und öffnen dann richtig.“ Das Hin-und-Her im Regelchaos sei das Schlimmste gewesen. Im Oktober wurden die Zuschauerzahlen zwischenzeitlich auf 250 beschränkt.

Eine Veranstaltung wurde zu mehreren

Dann kamen neue Abstandsregelungen dazu, teilweise splittete die Philharmonie einzelne Veranstaltungen in mehrere auf. Im November war dann wieder alles dicht. Bereits verkaufte Tickets mussten zurückgenommen werden.

„Wie wichtig etwas ist, merkt man oft erst, wenn es nicht mehr da ist“, sagt Louwrens Langevoort. Damit meint er nicht nur die Philharmonie, sondern die gesamte Musik, die gesamte Kultur, ja die gesamte Künstlerbranche. Ein Leben ohne Kultur und Musik sei nicht möglich. Auch deswegen läuft die Streaming-Produktion der Philharmonie auf Hochtouren.

Es bleibt schwierig

Es sind die kleinen Dinge, die auch Natalie Chee zeigen, dass es etwas bringt, was sie hier aus voller Leidenschaft tut. „Es gibt immer wieder kleine Rückmeldungen. Wenn ich zum Beispiel von eine Gruppe höre, die sich unser Konzert per Videokonferenz zusammen anschaut und es danach gemeinsam bespricht, freut uns das natürlich.“ Doch es bleibt schwierig: Manche Musiker kämen mit der Situation besser zurecht, manche schlechter, erzählt die Konzertmeisterin. „Uns allen fehlt neben dem Publikum das Miteinander und die Geselligkeit vor oder nach den Proben.“

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Deswegen hoffen alle, dass es in der Philharmonie irgendwann wieder so sein wird wie früher. Denn so meditativ und beruhigend die Stille auch sein mag, so sehr sehnen sich hier alle nach dem Moment, in dem 2000 Menschen den Künstlern wieder den Applaus schenken, denn sie so sehr vermissen.