Köln-Rodenkirchen – An den Fensterscheiben kleben Dreck und Fäkalien. Der Balkon ist mit Kot und Unrat verdreckt. Wegmachen lassen möchte Arian den „Mist“, der bis an die Balkondecke klebt, auf keinen Fall. „Das sind Beweise“, sagt er.
Der 32-Jährige wohnt seit zwölf Jahren in einer Wohnung in Rodenkirchen. Auf knapp 30 Quadratmetern, für die er 560 Euro warm zahlt. Er ist seit seinem dritten Lebensjahr blind und leidet an einer Lernbehinderung. Dennoch kann er sein Leben ganz gut meistern und lebt alleine. Täglich kümmern sich Betreuer um ihn, die ihm helfen, seinen Alltag zu organisieren. Etwa sein Freund Jeffrey Obenabe, der ihm täglich assistiert. Oder Salid Kadil, der als „Bezugsbetreuer“ von „bb-Betreuung“, für Arian zuständig ist. Die Kölner Beratungsstelle begleitet Menschen mit psychischer Beeinträchtigung oder Abhängigkeitserkrankungen mit dem Ziel, ihnen in einer eigenen Wohnung eine möglichst selbstständige Lebensführung zu ermöglichen.
Kölner spricht von „Terror aus der Nachbarschaft“
Arian heißt eigentlich anders. Um ihm Repressalien und weiteres Mobbing zu ersparen, wurde hier der Name geändert. Bei einem Treffen in Arians Wohnung ist auch Vater Umid dabei, der sein gesetzlicher Betreuer ist. Sie sind für den Blinden „seine Augen und Zeugen“. Der Vater und Kadil bestätigen, was Arian berichtet. Seit einem Jahr lebt ihr Schützling in Angst. Er werde von seinen Nachbarn terrorisiert.
Es seien Untermieter, die vor vier Jahren die Wohnung im Untergeschoss bezogen haben, sagen sie. Die Fensterläden dieser Wohnung sind verschlossen, der Wohnbereich ist durch einen Hinterhof zugänglich, der genutzt werde, um Unrat nach oben zu werfen und von unten Schimpftiraden auszusprechen. Mehrfach haben die Betreuer versucht, mit den neuen Mietern im Untergeschoss des Haues zu sprechen. Vergeblich. „Der Vermieter will davon gar nichts wissen“, sagt der Vater.
Aus dessen Sicht stellt sich der Sachverhalt anders dar. 2017 erwarb er das Mehrfamilienhaus, und erstmalig zogen im Souterrain Mieter ein. Sie beschweren sich über Lärm, den der Mieter über ihnen täglich erzeuge. Seit einem Jahr erstellen sie dazu Protokolle. Akribisch ist mit Datum und Zeiten aufgeführt, wie sich dieser angeblich verhält: „Grunzen, Schreien, Gegröle, Gepolter, Getrampel, Geblöke, animalische Laute über Stunden, Drums und Trommelgeräusche“ werden Seite über Seite angegeben und an den Vermieter weitergeleitet. Dass er Musik mag und Drums spielt, streitet Arian als vermeintliche Lärmverursacher nicht ab. Gerne spiele er seine elektrischen Drums, aber mit Kopfhörern. „Ich schreie nicht und klopfe auch nicht, das stimmt einfach nicht“, sagt er. Das meint auch Obenabe, der dies auch vor Gericht bezeugen möchte.
„Ich musste auf die Beschwerden reagieren“, meint der Vermieter am Telefon, der abstreitet, etwas von den Fäkalien auf Arians Balkon und an seinen Fensterscheiben zu wissen. „Das hat mir keiner gesagt“. Der Vermieter hat aufgrund der Lärmbelästigung eine Räumungsklage eingereicht. „Ich habe mich darüber geärgert, dass der Mieter keine Rücksicht auf das Ruhebedürfnis der anderen Mieter nimmt und auf meine verschiedenen, vorgerichtlichen Versuche, eine gemeinsame Lösung und eine Einigung zu finden, nicht eingegangen ist“, berichtet er.
Kölner Mieter sollen Dreck und Eier werfen
Arians Betreuer sehen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Lärmprotokollen und den Verschmutzungen, denn beides habe vor einem Jahr begonnen. Warum der Streit vor einem Jahr eskaliert ist, bleibt Vermutungen überlassen. „Die wollen meine Wohnung, warum weiß ich nicht“, meint Arian.
„Am Anfang haben sie Eier geworfen. Jetzt fliegt jeden Tag Dreck von unten“, berichtet Obenabe. „Wer sonst soll das sein als die Mieterin unten, man erkennt ja ihre Stimme“. Auch klopfte es von unten an die Wände. „Ich kann das hören, ich bin ja nur blind, ich kann Geräusche einordnen“, sagt der Betroffene. Man höre auch, wenn die Tür zum Hof aufgehe, danach ginge der Terror los.
Erst vor ein paar Tagen war der ganze Hausflur vor der Wohnung im ersten Stock mit Flüssigkeit getränkt – eine extreme Gefahr für einen Blinden. Vielleicht ebenso ein Zufall wie kürzlich die Zerstörung seines Briefkastens. Die Betreuer, die im Wechsel ein- und ausgehen, halten das für unwahrscheinlich.
17 Polizeieinsätze in einem Jahr
Auch der Polizei sind die Streitigkeiten zwischen diesen beiden Parteien hinlänglich bekannt. 17 Einsätze wurden innerhalb des vergangenen Jahres von der örtlich zuständigen Polizeiinspektion wahrgenommen, in elf Fällen wurden Strafanzeigen aufgenommen. Immer nur zwischen diesen beiden Parteien. Dabei wurde auch dokumentiert, dass Fäkalien am Fenster und Balkon festgestellt wurden, bestätigt die polizeiliche Pressestelle. Es steht Aussage gegen Aussage.
Der Betroffene gibt zur Beschmutzung seines Balkons an, dass sie ihn immer wieder diskriminieren würden, da er „Ausländer und behindert“ sei, heißt es im Protokoll. „Grundsätzlich habe man Verständnis für den Betroffenen und seine Behinderungen. Aber jetzt sei es „nicht mehr auszuhalten“. Sie geben an, er würde „stündlich Anfälle“ bekommen, in denen er lautstark schreie und auf den Fußboden stampfen würde. Ein normales Leben sei nicht mehr möglich, so dass man „nur noch reagieren würde“.
Die erstellten Lärmprotokolle weisen nach Angabe der Betreuer und des Vaters auch Zeiten auf, wo der Betroffene überhaupt nicht in der Wohnung war. „Einmal waren wir eine Woche in Urlaub“, so der Vater zu den angegebenen Zeiten. Zu anderen Zeiten war der Mieter, der den Lärm täglich verursachen soll, in der Ausbildung. Seit knapp drei Jahren wird er an der TH Köln zur Bildungsfachkraft für behinderte Menschen ausgebildet.
Ein Vorzeige-Inklusionsprojekt, das im Frühjahr abgeschlossen ist. Die Schule kann bestätigen, dass sowohl beim Online-Unterricht Dreck an die Scheibe flog oder Arian in der Ausbildung war. Natürlich können sie aus der Ferne nicht beurteilen, ob der Dreck wirklich aus der Souterrain-Wohnung an die Scheiben geschmissen wurde. Es ist jedoch der einzige Balkon, auf dem aus dem Hinterhof Dreck landet.
Auszug ist keine Lösung
„Ich würde ja auch mitbekommen, wenn er so laut ist. Ich bin ja jeden Tag da“, berichtet Obenabe. Für den blinden Mieter ist ein Auszug ein „Horror“, eine Mietminderung keine Option. Nach seinem Einzug vor zwölf Jahren hat er einen sechsmonatigen Orientierungskurs absolviert, lernte, sich nicht nur in der Wohnung zu bewegen, sondern auch Geschäfte des täglichen Bedarfs zu finden. Zu seiner Arbeit fährt er alleine mit der S-Bahn. „Wenn ich hier wegziehen muss, muss ich mich völlig neu erfinden und orientieren“, sagt er.
Wahrscheinlich hat er keine andere Wahl. Die Betreuer sind bereits auf der Suche nach einer anderen Wohnung, was nicht einfach ist. „Das ist wirklich nicht mehr normal. Ich bleibe jetzt immer länger hier, weil er Angst hat. Das ist Mobbing. Er erschrickt sich immer, wenn an die Wand geklopft wird oder etwas auf den Balkon fliegt. Das habe ich jetzt auch alles aufgenommen, aber ob das hilft?“, fragt sich Obenabe. Seit Dezember läuft ein Verfahren vor Gericht. Nicht nur Obenabe ist als Zeuge benannt.