Seit Jahren laufen auf der Bonner Straße Bauarbeiten für die neue Nord-Süd-Stadtbahn. Für die Geschäftsleute wird dieser Zustand immer mehr zur Existenzbedrohung.
„Unser finanzielles Ende“Geschäftsleute an Bonner Straße klagen über Bau der Nord-Süd-Stadtbahn
„Hier herrscht die einzige Katastrophe. Die Einen sägen und bohren, die Anderen baggern. Die Gläser fallen aus den Vitrinen, eine normale Unterhaltung ist unmöglich. Die Dixi-Klos wurden genau vor meine Außenterrasse hingestellt. Die stinken so bestialisch, es ist, als säße man in einer Kloake. Was ist das für ein Schildbürgertum?“, ärgert sich der Gastronom Hartmut Richter. Seit Anfang 2022 laufen auf der Bonner Straße Bauarbeiten für die neue Nord-Süd-Stadtbahn. Sie soll auf der 2,1 Kilometer langen Strecke mit vier Haltestellen bis zum Verteilerkreis Süd fahren.
Vor 13 Jahren hat er auf der Bonner Straße/Ecke Annastraße ein Café mit selbstgebackenem Kuchen und einer kleinen Mittagskarte eröffnet. „Harti’s Café & mehr“ sollte seine Altersversorgung werden. Er resümiert: Das Lokal sei gut angenommen worden, der Umsatz habe gestimmt, vier Mitarbeiter habe er gehabt. „Jetzt bin ich allein, bis auf ein paar Stammgäste läuft hier nichts mehr. Ich bin so gefrustet, ich kann nicht mehr, ich zahle jeden Monat drauf“, klagt der 70-Jährige, der den Mietvertrag für sein Café zu Ende November gekündigt hat.
Gegenüber auf der anderen Straßenseite, versteckt hinter weiß-roten Schutzbarken, ist der Blumenladen „Wind“. Das Fachgeschäft gibt es schon seit 100 Jahren. „Als ich vor sieben Jahren den Laden übernommen habe, da standen hier noch überall große Bäume, jetzt stehen hier Betonklötze mit provisorischen Straßenlaternen. Das Loch vor meinem Laden wurde innerhalb von zwei Wochen schon sechs Mal auf- und wieder zugemacht“, sagt Christiane Mirgel-Löffler. Das erscheine ihr ziemlich unkoordiniert.
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Die Geschäftsumstellung auf Fleurop (ein Online-Blumenversand) und monatliche Blumen-Abos für Firmen – Konzepte aus der Pandemiezeit – würden ihr finanzielles Auskommen sichern. „Ich freue mich natürlich über jeden Kunden, der in den Laden kommt, wenn er ihn denn findet“, sagt sie.
Kunden finden Eingänge zu Geschäften auf Bonner Straße nicht
Egal, ob man stadteinwärts oder stadtauswärts die Bonner Straße entlang fährt, überall überwiegt das Chaos – Absperrungen und täglich neue Verkehrsführungen führen bei Verkehrsteilnehmenden zu Verwirrung. „Die Baustelle sorgt dafür, dass selbst meine Stammkunden Schwierigkeiten haben, den Eingang in die Buchhandlung zu finden“, beschwert sich Gernot Dreier. „Jeden Tag muss man neu schauen, was ist abgesperrt, wo komme ich durch“, sagt Dreier, der vor 22 Jahren den Buchladen übernommen hat.
„Ich bin auf dieser Zeile ein Alleinkämpfer. Für die 70 Quadratmeter zahle ich 1000 Euro Miete, die Energiekosten haben sich verdoppelt. Langsam geht mir die Luft aus, ich habe Geld aus meinen Altersrücklagen in den Laden miteinfließen lassen. Eine finanzielle Entschädigung für die Umsatzeinbußen, die man wegen der Baustelle hat, würde mir weiterhelfen“, sagt der 58-jährige Buchhändler.
Stadt Köln: Bei Einnahmeeinbußen können Entschädigungen erfolgen
Die Geschäftsleute fühlen sich von der Stadt alleingelassen, trotz der immer neuen Verzögerungen gehe die Stadt nicht auf die Betroffenen zu und mache keine Unterstützungsangebote. Auf Nachfrage bei der Stadt Köln heißt es: „Bezüglich einer Entschädigungsforderung erfolgt immer eine Einzelfallbetrachtung. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Baumaßnahme mit der Zumutbarkeit der Beeinträchtigungen für die Gewerbetreibenden abzuwägen.“
Bei Einnahmeeinbußen, die von den Gewerbetreibenden nachzuweisen seien, könnten Entschädigungen erfolgen. „Konkrete Anträge mit Nachweis der Einnahmeeinbußen liegen uns bisher nicht vor. Diese können in unserem Informationsbüro abgegeben oder direkt beim Amt eingereicht werden“, heißt es weiter.
Dass man Anträge auf Entschädigung stellen kann, das ist vielen der betroffenen Gewerbetreibenden gar nicht bekannt. „Ich vermisse einen Rundbrief an uns Gewerbetreibende mit konkreten Informationen, wo und wie ich einen Antrag auf Entschädigung stellen kann“, beklagt Hartmut Richter.
„Der eigentliche Knackpunkt ist aber der Nachweis, dass die Einnahmeeinbußen mit der Baustelle zusammenhängen. Die Umsatzeinbußen im letzten und diesem Jahr kann ich steuerlich erst ein Jahr später nachweisen, aber für die ganzen Ausfälle muss ich in Vorkasse gehen“, sagt Buchhändler Dreier. „Das und der riesige bürokratische Aufwand übersteigen meine Möglichkeiten.“
Eine Entschädigung könnte auch das Ehepaar Iris und Wolfgang Dieter gebrauchen. Seit 2012 betreiben sie auf der Bonner Straße 242 (Nähe Marktstraße) eine Reinigung und Wäscherei. „Wir waschen und bügeln alles vor Ort, von unseren ehemals acht Mitarbeitern sind nur wir noch übrig. Vor 12 Jahren war das hier eine Goldgrube, inzwischen sind die Umsätze um 50 Prozent eingebrochen. Erst Corona und jetzt diese Baustelle, die vergrault auch noch die letzten Kunden“, klagt der 70-jährige Wolfgang Dieter.
Seine Frau Iris ergänzt: „Hier kann ja kein Mensch mehr mit dem Auto anhalten, um die gebügelten Hemden mal schnell abzuholen, oder die schwere Bett- und Tischwäsche. Leider interessiert es die Verantwortlichen kein bisschen, was mit uns passiert. Und das alles noch bis 2028, das ist unser finanzielles Ende.“
Abschluss der Arbeiten für die Nord-Süd-Stadtbahn für Ende 2027 geplant
Gleich nebenan hat der Fahrradhändler Stephan Reinen Laden und Werkstatt. Er ist 2002 aus der Südstadt hierhergezogen, weil der Laden mit 200 Quadratmeter eine gute Größe für seine Räder und die Werkstatt hatte. Durch den Fahrradboom haben sich seine Umsätze trotz des schwierigen Umfelds in den letzten Jahren verdreifacht, auch weil sein Ersatzteillager mit 13.000 Artikeln sich unter Radfahrern ein Geheimtipp ist.
„Es ist hier unheimlich laut. Und wer bei mir ein Rad kaufen will, der kann vor lauter Löchern und Schotter keine vernünftige Probefahrt mehr machen. Ich bleibe aber, der Laden ist meine Altersversorgung. Ich beobachte dieses städtische Projekt seit Beginn. 2017 haben sie die Bäume gefällt, Anfang 2020 sollte die erste Straßenbahn rollen, jetzt ist sie auf 2028 terminiert“, so der 70-jährige Fahrradhändler.
Die Stadt Köln sagt zum Zeitplan: „Aufgrund von Bauzeitverzögerungen durch Kampfmittelüberprüfungen und Kampfmittelfunde und damit einhergehenden erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, ist aktuell der Abschluss der Arbeiten der dritten Baustufe Nord-Süd Stadtbahn für Ende 2027 geplant.“ Die Inbetriebnahme der Strecke werde für das Frühjahr 2028 angestrebt.