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ReichspogromnachtGustav Meinertz sprang in die brennende Synagoge an der Glockengasse

Lesezeit 3 Minuten
Tora 1938 Köln

Blick in den heiligen Schrank: Hinter einem Scherengitter befinden sich die Torarollen (die 1938 gerettete Tora ist die zweite von links)

Köln – Eine besondere Zeitzeugin der Reichspogromnacht beherbergt die Synagogen-Gemeinde Köln: die Torarolle aus der alten Synagoge. Als in jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch die Kölner Synagoge in Brand gesteckt wurde, rettete der katholische Geistliche Prälat Gustav Meinertz (1873 bis 1959) die Schriftrolle aus dem lichterloh brennenden jüdischen Gotteshaus, das sich damals noch an der Glockengasse befand. Diese Synagoge galt als eine der schönsten in Deutschland und war 1861 vom Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner im maurischen Stil erbaut worden.

Laut verschiedener Quellen soll sich der Priester plötzlich aus der teils neugierigen, teils johlenden Menschenmenge gelöst und in das brennende Gebäude gestürzt haben. Wenig später kam er mit der erheblich beschädigten Torarolle wieder heraus. „Hier wird nicht nur die Bibel der Juden zerstört, sondern auch die Bibel der Christen. Es ist die Gleiche, nämlich das Alte Testament“, soll Meinertz später über seine Rettungstat gesagt haben. Bis Kriegsende versteckte er die Torarolle in seiner Wohnung, dann gab er sie den wenigen überlebenden Juden Kölns zurück.

Tora war Jahrzehntelang Ausstellungsstück

„Die Tat des Prälaten Meinertz ist ein Musterbeispiel für Zivilcourage“, würdigt Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie Mitglied des Vorstands der Kölner Synagogen-Gemeinde sein Handeln. Jahrzehntelang wurde die Tora dann als Ausstellungsstück in der neuen Synagoge an der Roonstraße gezeigt. Denn wegen ihrer Beschädigungen durch Feuer und Rauch durfte sie im Gottesdienst nicht mehr verwendet werden.

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Im Rahmen des historischen Besuchs des Oberhaupts der katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., im Jahr 2005 wurde an die Katholische Kirche die Bitte herangetragen, bei der Wiederherstellung der Tora zu unterstützen. Der damalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner ergriff die Initiative und stellte mit 12.000 Euro einen bedeutenden finanziellen Betrag aus eigenen sowie Mitteln des Erzbistums Köln bereit, um die Kosten einer Restaurierung der Kölner Tora in Jerusalem zu decken.

2007 war Restaurierung fertig

„Diese Geste der Katholischen Kirche ist von hoher Symbolkraft“, betont Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln, „und sie unterstreicht das gute Verhältnis zwischen der jüdischen und der katholischen Gemeinde hier in Köln.“ Allerdings sähe es die Synagogen-Gemeinde sicherlich gern, wenn die unter Kardinal Meisner (1933-2017) so vorangebrachten jüdisch-katholischen Begegnungen auch unter dessen Nachfolger Rainer Maria Kardinal Woelki intensiviert würden. Im Jahr 2007 konnte die Kölner Tora schließlich in einer feierlichen Zeremonie wieder in das Gotteshaus der nachweislich ältesten jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen (seit 321 nach Christus) eingebracht werden.

Seitdem wird die Schriftrolle mit den rund 300.000 Wörtern der fünf Bücher Mose im sogenannten heiligen Schrank hinter einem Scherengitter mit den anderen Torarollen der Gemeinde aufbewahrt. Die Schriftrolle wird regelmäßig bei Gottesdiensten in der Synagoge hervorgeholt. Neben dieser Geschichte ist mit der Kölner Tora zudem eine weitere Besonderheit verbunden: Sie wurde als eine von sehr wenigen überhaupt in Deutschland geschrieben, im Jahr 1902 – sie ist also wahrhaft eine Zeugin des 20. Jahrhunderts.