Selbst ein eiserner Vatikan-Bürokrat als Nachfolger wäre nicht in der Lage, die Fenster zu schließen, die Franziskus geöffnet hat.

KommentarWas vom Erbe des Papstes bleibt

Ostersonntag: Papst Franziskus empfängt US-Vizepräsident JD Vance (l), bevor er den Segen Urbi et Orbi (lateinisch für „für die Stadt und die Welt“) erteilt.
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Welch ein Abschied. Papst Franziskus ist bis zum letzten Tag seines Pontifikats Herr des Geschehens geblieben. Von seinen Ärzten hat er sich wenig sagen lassen, sondern hat noch am Ostersonntag die Stadt Rom und den Erdkreis gesegnet - jene Geste, mit der Päpste seit dem hohen Mittelalter nicht nur ihre geistliche Fürsorge, sondern auch die von ihnen beanspruchte einzigartige Autorität ausdrücken. Und ja, er hat US-Vizepräsident JD Vance empfangen.
Die Aufwartung des rechtspopulistischen, aber bekennend katholischen Rüpels beim sterbenskranken Oberhaupt der katholischen Kirche könnte man als Symbolszene sehen, als ikonischen Ausdruck der Zerrissenheit jener nach eigener Interpretation einen und heiligen Kirche, die Franziskus bis zum letzten Atemzug leitete.
Dem inständigen Wunsch nach Reformen bei einem Teil der Gläubigen steht ein ausgemacht reaktionärer Flügel gegenüber, repräsentiert durch Leute wie Vance, den Cyber-Milliardär Peter Thiel oder, im bizarren deutschen Kleinformat, AfD-Mann Maximilian Krah. Sie vertreten eine Politik, die sich elementaren ethischen Normen des Christentums widersetzt.
Papst Franziskus riskierte die offene Debatte
Während die Kirchen, nicht nur die katholische, in vielen westlichen Ländern auf dem Rückzug sind, genießen solche reaktionären Kreise durchaus Zulauf. Auch Franziskus-Widersacher wie die Kardinäle Gerhard Ludwig Müller und Raymond Leo Burke finden ihre Anhänger, und beide sind zur Papstwahl berechtigt.
Afrikanische Bischöfe haben sich auf breiter Front dem Versuch von Franziskus widersetzt, ein wenig Menschlichkeit im Umgang mit Christen walten zu lassen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Wann war jemals in den letzten Jahrhunderten ein Papst mit einer solchen Verweigerungshaltung konfrontiert?
Vielleicht wird Franziskus eine Leitfigur für jene Gläubigen bleiben, die Zerissenheit kennen und aushalten.
Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. hat versucht, den Richtungsstreit in der katholischen Kirche unter der Decke zu halten, indem er dem traditionalistischen Flügel immer weiter entgegenkam. Das war nicht der Weg des Jorge Mario Bergoglio. Der Papst aus Argentinien griff nur gelegentlich durch und riskierte lieber die offene Debatte. Das war kein Zeichen päpstlicher Schwäche. Sondern zeugte von einer äußerst selbstbewussten Amtsführung.
Aber was wird jetzt? In den letzten Jahrzehnten war es häufig so, dass die Kardinäle bei ihrer Wahlentscheidung im Konklave das Gegenbild zum jeweiligen Vorgänger suchten. Zuletzt folgte auf Benedikt XVI., den Mann aus dem vatikanischen Apparat, Franziskus, der Anwalt der Offenheit. Und nun?
Franziskus könnte eine Leitfigur bleiben
Die meisten jetzt wahlberechtigten Kardinäle sind von Franziskus selbst ernannt worden. Darunter sind viele Geistliche aus dem sogenannten globalen Süden. Daraus darf man aber nicht schließen, dass sie große Anhänger von Franziskus' Debattenfreude wären. Gerade in Afrika und Asien glauben - wie in den USA - viele, die Zukunft der Kirche liege im entschiedenen Rückwärts. Und: Viele Kardinäle sind schlicht ängstlich, haben es nicht gewagt, Franziskus angesichts zum Teil unverfrorener Angriffe offen beizustehen, und mögen auch im Konklave auf Anpassung setzen, wenn die Ewiggestrigen nur vehement genug auftreten.
Was aber vom Erbe des Franziskus bleibt, das wird sich nicht im Konklave entscheiden. Auch ein eiserner Vatikan-Bürokrat als Nachfolger wäre nicht in der Lage, die Fenster zu schließen, die Franziskus geöffnet hat. Und auch der freundlichste Reformer könnte die Schwierigkeiten, auf die Kirchen in liberalen Gesellschaften treffen, nicht aus der Welt schaffen.
Vielleicht wird gerade Franziskus, dessen Agieren oft so widersprüchlich erschien, eine Leitfigur für jene Gläubigen bleiben, die Zerrissenheit kennen und aushalten, anstatt sich wie der neutestamentliche Pharisäer im Tempel arrogant auf der stets richtigen Seite zu wähnen.