Die Infektionszahlen sinken, genau wie die Zahl der Corona-Patienten in Kölner Krankenhäusern und auf den Intensivstationen. Darüber, wie es jetzt weitergeht, sprach Simon Westphal mit Florian Klein, dem Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik.
Wir sprechen gerade telefonisch. Mal angenommen, wir hätten uns persönlich zum Interview getroffen und ich hätte Ihnen zur Begrüßung die Hand entgegengestreckt. Hätten Sie eingeschlagen?
Klein: Ja, das hätte ich wohl. Ist jedoch ungewohnt.
Kommt die Zeit des Handschlags also langsam zurück?
Die Umstände sind entscheidend. Wenn man ohne Maske in einer Kneipe eng zusammen steht ist das zusätzliche Risiko einer Sars-Cov-2 Infektion durch ein Händeschütteln gering. Die meisten Sars-Cov-2 Infektionen erfolgen durch Aerosole. Bei uns im Klinikum ist es aber natürlich anders: Über die Hände können sehr viele Infektionserreger übertragen werden und für unsere Patienten ein großes Risiko darstellen. Daher ist Händehygiene hier ganz besonders wichtig.
Befinden wir uns eigentlich mittlerweile in der Endemie?
Eine Endemie beschreibt eine erhöhte Anzahl von Krankheitsfällen, die aber relativ stabil und meist auf ein Gebiet begrenzt ist. Diesen Zustand haben wir bei Sars-Cov-2 noch nicht erreicht. Besonders durch die neuen Varianten kam es in den vergangenen Monaten wieder zu einem sehr starken Anstieg der Infektionen. Bedeutend ist jedoch, dass die Bevölkerung mittlerweile eine bessere Immunität besitzt und geimpfte und genesene Personen ein geringeres Risiko für eine schwere Erkrankung haben. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine endemische Situation.
Aufgrund der weggefallenen Maßnahmen und des Umgangs der Menschen mit der Situation könnte der Eindruck entstehen, die Gefahr sei gebannt. Was sagen Sie?
Es ist richtig, dass im Durchschnitt die Gefahr, schwer an Covid-19 zu erkranken, gesunken ist. Das liegt an der durch Impfung und Infektionen gewonnenen Immunität und den leichteren Verläufen bei den zuletzt zirkulierenden Omikron-Varianten. Aber es gibt weiterhin große individuelle Unterschiede.
Kölner Corona-Lage in Zahlen
94 Corona-Patienten werden aktuell (Stand: Freitag) stationär in Kölner Krankenhäusern behandelt. Die Zahl ist seit Ende März konstant gesunken.
18 davon liegen auf Kölner Intensivstationen. Auch diese Zahl ist seit Ende März rückläufig. Trotz der Freude über den Rückgang der Zahlen hatte der Kölner Gesundheitsdezernent Harald Rau in der Rundschau davor gewarnt, dass „der Herbst die Infektionsausbreitung wieder begünstigen wird“. Dass die Impfquoten vor diesem Hintergrund nicht mehr steigen, bereite ihm Sorgen.
81 Prozent der Kölner sind vollständig geimpft, knapp 66 Prozent haben eine Auffrischungsimpfung bekommen.
281 beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz. Seit Pandemiebeginn hat das Robert-Koch-Institut rund 347 500 Kölner Corona-Fälle erfasst. 1055 Menschen sind in Köln an oder mit dem Coronavirus verstorben. (sim)
Das Risiko für einen jungen und geimpften Erwachsenen ist sehr gering. Für ältere Personen ohne Impfung ist es deutlich höher. Zudem rechnen wir aufgrund der zuletzt sehr viel höheren Fallzahlen mit höheren Folgeproblemen wie zum Beispiel Patienten, die an Long-Covid leiden.
Müssen wir durch die weggefallene Maskenpflicht damit rechnen, dass sich andere Viruserkrankungen jetzt wieder stärker ausbreiten?
Ja, damit ist zu rechnen. Beim Wegfall von Maßnahmen und vermehrten Kontakten können sich auch andere Infektionserreger wieder schneller verbreiten. Dies kennen wir bereits aus den vergangenen zwei Jahren. Zum Beispiel haben wir in den letzten zwei Wintern nur sehr wenige Influenza-Fälle gesehen. Das wird ohne Maßnahmen wieder zunehmen.
Im vergangenen Sommer bewegten sich die Infektionszahlen im Juni und Juli Richtung Null. Wird das in diesem Sommer genauso sein?
Es ist richtig, wenn der R-Wert jetzt unter Eins bleibt, werden die Fallzahlen immer weiter abnehmen. Aufgrund der leichter übertragbaren Omikron-Variante halte ich eine Situation wie im letzten Sommer aber für eher unwahrscheinlich. Zudem wurden wir in den vergangenen Monaten immer wieder mit neuen Varianten konfrontiert, die einen Vorteil für die Ausbreitung mit sich brachten. In Kombination mit zunehmenden Kontakten werden Infektionen wohl auch im Sommer nicht verschwinden.
Dann kommt irgendwann der Herbst. Geht dann alles wieder von vorne los?
Das wird beeinflusst durch die Eigenschaften der dann vorherrschenden Variante, unser Verhalten und unsere Immunitätslage. Letzteres spielt besonders im Hinblick auf die Krankheitsschwere eine sehr große Rolle. Somit ist der breite Impfschutz für eine gute Bewältigung des Winters entscheidend. Es muss unser Ziel sein, dass bis zum Spätsommer möglichst jede nichtgeimpfte Person ein Impfangebot in Anspruch nimmt.
Sind Einschränkungen wie im vergangenen Jahr noch einmal denkbar?
Wir müssen immer berücksichtigen, aus welchem Grund Einschränkungen notwendig sind. Zu Beginn der Pandemie erfolgten Einschränkungen, um möglichst alle Infektionen zu verhindern. In der Delta-Welle lag der Grund stärker auf der Entlastung der Intensivkapazitäten und während der Omikron-Welle hatten wir die größten Herausforderungen durch die sehr vielen Krankheitsfälle, die natürlich auch das Krankenhauspersonal betroffen haben. Im Vergleich zum letzten Winter hoffe ich jedoch, dass wir mit weniger Maßnahmen auskommen. Einschränkungen wie Masken in Innenräumen könnte es aber wieder geben.
Aber besteht nicht auch die Gefahr, dass man im Herbst einen Anstieg der Zahlen gar nicht mehr mitbekommen? Schließlich wird es ab Juli keine kostenlosen Bürgertests mehr geben. Die Dunkelziffer dürfte so weiter steigen.
Das stimmt. Durch stichprobenartige Tests kann man aber einen guten Überblick behalten. Relevant ist dann auch nicht nur die Inzidenz, sondern auch die Krankheitslast, inklusive Folgeerscheinungen wie Long-Covid.
Heißt also: Dass die kostenlosen Bürgertests wegfallen, ist vertretbar?
Ja, das halte ich für vertretbar. Ich finde es aber wichtig, dass sich Personen mit Symptomen immer schnell und einfach testen lassen können. Dann vorzugsweise mit einem sehr sicherem Testsystem, also in der Regel mit einer PCR-Untersuchung.
Was halten sie von einer vierten Impfung?
Die aktuellen Daten zeigen, dass eine vierte Impfung bei Personen über 60 Jahren einen Vorteil bringt und zusätzlich vor einer schweren Erkrankung schützt. Daher ist die aktuelle Empfehlung sinnvoll.
Müsste die vierte Impfung dann mit einem Omikron angepassten Impfstoff durchgeführt werden?
Wir sehen, dass auch der nicht angepasste Impfstoff als Booster oder vierte Impfung einen zusätzlichen Effekt gegen Omikron bietet. Das war nicht selbstverständlich. Es ist möglich, dass ein Omikron angepasster Impfstoff einen zusätzlichen Vorteil bringt. Das wird jedoch aktuell noch untersucht.
In Köln hat sich zuletzt die Omikron-Subvariante BA.2.9 ausgebreitet. Wird sie irgendetwas verändern?
Das ist eine Untervariante von BA.2 und ich erwarte hier eher keinen großen Effekt auf die aktuelle Infektionsdynamik. Auf der anderen Seite sehen wir weltweit Untervarianten die einen zusätzlichen Immunescape zeigen und damit in der Ausbreitung einen Vorteil haben. Daher ist es wichtig, die Veränderungen des Virus genau zu beobachten.
Für wie wahrscheinlich halten sie eine „Killervariante“, die Karl Lauterbach ins Spiel gebracht hatte?
Es ist nicht auszuschließen, dass wir eine nächste Variante bekommen, die wieder eine größere Krankheitsschwere mit sich bringt. Wenn die Immunität gegen Omikron größer wird, dann hat auch Delta wieder einen Vorteil sich durchzusetzen.
Woran arbeiten Sie gerade in Ihrem Institut?
Das Hauptthema ist die Frage der Immunität. Wie erreichen wir eine schützende Immunität? Wie können wir die starken Waffen unseres Immunsystems noch besser zur Prävention und Therapie von Covid-19 einsetzen? Eine spezielle Aufgabe ist es, Personen zu schützen, die selber keinen Impfschutz aufbauen können.
Das könnte Sie auch interessieren:
Diese Menschen befinden sich weiterhin in einer schwierigen Situation und können sich häufig nur durch Isolation schützen. Daher entwickeln wir hochwirksame monoklonale Antikörper, die auch die vielen verschiedenen Varianten erkennen und ausschalten können. Auf diesem Weg kann Immunität passiv übertragen werden und auch diese Personen schützen. Denn ohne Immunität keine Normalität.
Von wie vielen Menschen reden wir da?
Dazu zählen Patienten die einen Immundefekt haben oder deren Immunsystem zum Beispiel aufgrund einer Krebstherapie nur sehr eingeschränkt funktioniert. Zudem natürlich viele Patienten, deren Immunsystem durch Medikamente geschwächt wird, wie es häufig nach einer Organ- oder Knochenmarkstransplantation der Fall ist. Insgesamt sind es bis zu fünf Prozent der Personen in unserer Gesellschaft. Daher ist es so wichtig, hier bessere Lösungen zu finden.