Christoph Kuckelkorn„Der Verstorbene sieht mir vielleicht bei der Arbeit zu“
- Christoph Kuckelkorn, 55, führt seit Jahren ein „Doppelleben“.
- Der Bestattermeister und Präsident des Festkomitees Kölner Karneval pendelt zwischen Trauer und Freude, Ausgelassenheit und Verzweiflung, Leben und Tod.
- In seinem jetzt erschienenen Buch stellt er fest: Ein Widerspruch ist das nicht.
Köln – In „Der Tod ist dein letzter großer Termin“, einer Mischung aus Autobiografie und Reflexion über den Umgang mit dem Tod, schildert der Urkölner Christoph Kuckelkorn seinen bisherigen Lebensweg. Dabei gibt er sowohl intime Einblicke in sein Handwerk als Bestattermeister als auch in das des Karnevalsorganisators. Besonders im Fokus: die menschliche Seele. Seine eigene inbegriffen. In der Mischung ist das fesselnd und lesenswert. Manchmal tief traurig und zuweilen auch durchaus komisch.
Berührende Geschichten
Kuckelkorn versteht es, Menschliches spürbar werden zu lassen. Er schreibt einfühlsam über kleine Gesten von Trauernden, über die Verbindung zwischen Menschen und auch über seine eigene schwerste Stunde. Nach dem plötzlichen Tod seiner ersten Frau Michaele, die 2000 bei einem Motorradunfall starb, erlebt Kuckelkorn „wie gnadenlos es sich anfühlt, wenn für einen selbst von einer Sekunde auf die andere die Welt stillzustehen scheint“. Er schreibt: „Mein Handeln war wie in Trance, einerseits professionell, andererseits betroffen – völlig absurd.“ Schonungslos offen erzählt er, dass er die Verstorbenen sehen musste, um ihren Tod zu begreifen. „Nach dem Unfall meiner Frau hatte ich das erste Mal das Gefühl, die Zusammenhänge des Lebens richtig zu verstehen.“
Auch was der Autor über seine Erlebnisse nach dem verheerenden Tsunami 2004 schreibt, geht unter die Haut. In Thailand arbeitete er als Mitglied des Helferteams Deathcare, dem er angehört, weil er eine Ausbildung zum Thanatopraktiker absolviert hat. Als solcher beherrscht er Praktiken wie das Einbalsamieren von Toten, um den Verwesungsprozess zu verzögern und das ästhetische Erscheinungsbild des Verstorbenen wiederherstellen.
Geteilte Erkenntnisse
Kuckelkorns Buch stößt in einen Bereich vor, der stark tabuisiert ist. „Für viele Menschen ist der Tod ein solches Tabu, dass sie ihn mit niemandem, nicht einmal mit ihrem Partner besprechen können – außer mit mir.“ Also gibt der Bestatter Antworten. Offen, klar, unverblümt und dabei immer voller Respekt. Die Informationen betreffen sowohl ganz praktische Vorgänge wie die Abläufe, die zwischen dem Ausstellen des Totenscheins und der Bestattung liegen, als auch das Herrichten eines Verstorbenen. „Ich arbeite in dem Bewusstsein, dass der Verstorbene möglicherweise noch mitbekommt, wie ich ihn versorge, und dass er mir vielleicht bei meiner Arbeit zusieht.“
Der Autor lässt den Leser an seiner eigenen Lebenseinstellung teilhaben. Im Kapitel „Nicht morgen. Heute!“ formuliert Kuckelkorn: „Erbarmungslos wird mir tagtäglich aufgezeigt, wie verletzlich das Glück und das Leben ist. All die Dinge, die wir als selbstverständlich erachten, sind extrem flüchtig und zerbrechlich. An jedem einzelnen Tag erhalte ich diese Mahnung, – das eigene Leben zu leben und das kleinste Glück zu schätzen.“
Persönliche Bekenntnisse
„Mein Yoga ist Motorradfahren“, erfährt der Leser. Spontan auf die Maschine zu steigen, los zu fahren und nicht zu wissen, wo er landen wird, liebt Kuckelkorn. „Im meinem Leben gibt es ansonsten kein zielloses Handeln. Und plötzlich tut sich so ein Raum auf, in dem ich frei bin.Das weiß auch meine Frau, dass mir das guttut.“ Die Folge: Katia , mit der er seit Oktober 2018 in dritter Ehe verheiratet ist, lässt ihn ziehen. Über seine zweite Ehefrau Cassia schweigt Kuckelkorn. Ihre vier Kinder, die sie mit in die Ehe brachte, werden neben den leiblichen Kindern und denen von Ehefrau Katia, liebevoll als „Bonuskinder“ erwähnt.
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Er gesteht: „Erziehungstechnisch können sich wegen meiner grundsätzlichen Haltung zum Leben und meinen gesetzten Prioritäten durchaus problematische Situationen ergeben. Wenn ich tagsüber beispielsweise eine Familie betreut haben, die gerade ihr Kind verloren hat, komme ich nach Hause und möchte nur noch kuscheln und gemeinsam Zeit verbringen. Hat eines der Kinder an genau diesem Tag eine Fünf in Mathe mit nach Hause gebracht (was natürlich nie passiert), ist das für mich angesichts meines Tages natürlich überhaupt kein Thema.“
Ratschläge
Als Bestatter in fünfter Generation beleuchtet Kuckelkorn nicht nur den Wandel der Bestattungskultur, er hat vor allem wichtige Anregungen für einen Trauerfall parat. „Den Verstorbenen noch einmal zu sehen und anzufassen, hilft dabei zu begreifen, dass etwas unumkehrbares geschehen ist.“ Er bietet Hinterbliebenen an, dabei zu helfen, wenn ein Verstorbener gewaschen, gekleidet und hergerichtet wird. Er ermutigt Menschen, die Bestattung so persönlich und dem Verstorbenen angemessen wie möglich auszurichten. Und: Er plädiert dafür, Kinder nicht außen vor zu lassen: „Vor der Begegnung mit dem Tod kann ich niemanden schützen – auch keine Kinder.“
Erlebte Anekdoten
Neben dem erfrischend unvoreingenommenem Verhalten von Kindern, die sich beim Bestatterbesuch in einen Sarg legten, sticht Kuckelkorns CD-Geschichte aus den zahlreichen Anekdoten im Buch heraus. Bei einer Bestattung erklang von der – ausnahmsweise vorher nicht kontrollierten – CD der Schlager „Du hast mich tausendmal betrogen“. Die Trauergemeinde war ebenso peinlich berührt wie Geistlicher und Bestatter. Dann kam die Erklärung: Es war der Lieblingssong der Eheleute. Die Geschichte ging gut aus. Die von der Frau, die tränenreich in die falsche Beerdigung platzte, blieb peinlich.
Und der Karneval
Selbstverständlich lernen Leser auch etwas über den Fastelovend. Kuckelkorn, von 2005 bis 2017 Leiter des Rosenmontagszugs, gewährt Blicke hinter die Kulissen. Und stellt fest: „Es ist kein Zufall, dass der meinem Beruf zugrundeliegende Perfektionismus häufig auch die Triebfeder ist, weshalb viele Bestatter in Vereinen an exponierter Position tätig sind. Sie organisieren einfach besonders gut und man weiß genau, dass Bestatter es nicht aushalten, wenn etwas nicht so abläuft, wie man es geplant hat.“
Das Buch: „Der Tod ist dein letzter großer Termin“, Christoph Kuckelkorn, S.Fischer Verlag, 284 Seiten, 16 Euro.