- Das Coronavirus stellt auch die Kirche in Köln vor neue Herausforderungen, Gottesdienste sind bis auf Weiteres ausgesetzt.
- Pfarrer Hans Mörtter ist dennoch zuversichtlich, denn die Hilfsbereitschaft ist groß.
- Im Interview spricht er über die Aufgaben der kommenden Wochen, Ostern und positive Beispiele aus anderen Ländern.
Köln – Die Kirche ist zu, die umliegenden Cafés auch. Daher findet das Gespräch mit Hans Mörtter im Volksgarten statt. Kein schlechter Ort, um zur Besinnung zu kommen. Jens Meifert sprach mit dem evangelischen Pfarrer.
Die täglichen Nachrichten zur Corona-Krise empfinden viele als belastend, manche haben Angst. Gibt es etwas, das Mut macht?
Es melden sich viele, die helfen wollen, das ist neu. Das funktioniert eher so, dass wir die Leute ansprechen und um Hilfe bitten. Jetzt rufen viele an und fragen: Um wen kann ich mich kümmern? Für wen kann ich einkaufen? Gibt’s ein Problem, dann sag mir Bescheid. Das ist etwas, das Mut macht, weil es über das normale Engagement hinaus geht.
Auch Ihre Kirche ist geschlossen. Sie haben ein ,Wort zum Sonntag‘ als Videoblog verfasst und aufgerufen, zu helfen. Kirchenarbeit in Corona-Zeiten?
Natürlich. Als es mit dem Virus losging, war klar, dass wir uns mit der Situation auseinander setzen müssen. Was passiert da gerade, was können wir tun, welche Zukunft liegt darin? Solche Grundfragen hätten wir am Sonntag im Gottesdienst thematisiert. Nun muss die Kirche verschlossen bleiben. Und sie wird auch länger zu bleiben, sicher über Ostern hinaus. Ich bin dafür, gleich zu sagen: Bis Ende April läuft gar nichts. Dann können sich die Menschen darauf einstellen.
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Wie schmerzlich ist das, Ostern nicht im Gotteshaus feiern zu können?
Sehr. Gerade Ostern hat eine starke Kraft. Wir entzünden seit 30 Jahren um 5 Uhr morgens am Ostersonntag ein Feuer, da kommen 200 Leute. Weil sie wissen, das gibt ihnen Kraft und Energie, das bringt ihnen was. Nun stellen wir auf soziale Medien um. Wir werden Videos drehen, künstlerische und musikalische Sachen. Die Ausstellung mit klangbasierten Künsten läuft übrigens unter dem Titel „Unterbrechungen“. Das muss man sich vorstellen, wie das nun in die Zeit passt. Das haben wir im vergangenen Herbst nicht ahnen können.
Und Ostersonntag gibt es einen Geistergottesdienst, der im Netz übertragen wird?
Nein, auf keinen Fall, ich mag das nicht. Ich finde auch Geisterspiele im Fußball albern. Wir haben Morgenandachten in verschiedenen Medien, es gibt Fernsehgottesdienste, da muss ich mich nicht allein in die Kirche stellen. Wer bin ich denn? Ein Gottesdienst lebt von den Momenten mit den Menschen. Wenn die Menschen nicht da sind, muss ich ihn nicht feiern, das ist lächerlich. Wir werden anders in die Wohnzimmer gehen, mit Musik, mit Solisten der Oper vielleicht. Wir wollen einen Impuls setzen. Ein kleines Osterfeuer wird es hoffentlich geben können.
Viele fühlen sich lahm gelegt, an der Kette, ohnmächtig. Wie fühlt sich ein Pfarrer Mörtter?
Ich fühle mich befreit. Ich hätte tausend Termine gehabt, an sieben Tagen die Woche. Ich komme normalerweise nicht hinterher, um Mails oder Anrufe zu beantworten. Auf einmal ist der Anrufbeantworter leer und das Postfach auch, fast alle Termine sind gestrichen, ist doch genial. Ich kann endlich mal meinen Kopf sortieren und innerlich aufräumen. Und es gibt die Möglichkeit, mal langfristiger zu planen. Aber klar: Wir erleben eine absolute Zäsur, einen Stillstand.
Das haben einige zunächst als positiv empfunden, aber viele haben einfach Angst, weil sie nichts mehr verdienen. Wo führt das hin?
Die Situation ist ernst, das liegt vor allem an der hohen Ansteckungsgefahr, an der Belastung des Gesundheitssystems, das wir nicht überlasten dürfen. Jeder Tod ist unendlich traurig, das gilt aber für die Influenzaopfer, die es ja auch gibt, genauso. Wir haben ein Problem mit dem Tod, uns einzugestehen, dass wir sterbliche Wesen sind. Das sind wir nun mal. Insofern ist es eine gute Gelegenheit, mal die Luft anzuhalten und uns zu fragen, wer wir als Menschen sind. Die Klimadebatte hat das nicht geschafft, aber auf einmal fliegen wir nicht mehr nach Dubai oder auf die Kanaren, und das Leben geht dennoch weiter.
Aber es gibt doch sehr konkrete Ängste: Viele sorgen sich, dass sie morgen nicht mehr ihre Miete bezahlen können, weil sie nichts mehr verdienen können.
Ja, natürlich. Denen müssen wir helfen. Wir müssen den Blick auf die Schwächeren haben: Selbstständige, Künstler, Kranke oder Ältere, die plötzlich nicht mehr ein paar Euro dazu verdienen können. Oder Hartz-IV-Frauen, mit zwei Kindern, die gar nicht die Möglichkeit haben Klopapier oder Nudeln zu horten. Und natürlich unsere Gastronomen, da geht ganz viel kaputt. Und da wird ein großes staatliches Hilfsprogramm notwendig werden.
Viele fordern Solidarität, das ,Wir‘ in der Viruskrise. Es zeigt sich aber auch, wie dünn das Eis ist, wenn sich Leute im Supermarkt um Klopapier streiten. Ein Stresstest für unsere Gesellschaft?
Ich würde sagen, ein Bewährungstest. Ich sehe auch die Gefahr einer sich ausbreitenden Panik. Das liegt auch daran, dass wir das Virus nicht sehen können, das macht uns misstrauisch. Auch gegenüber anderen, weil ja potenziell jeder den Erreger übertragen kann. Aber wir brauchen das Gegenteil: Vertrauen, dass wir uns umeinander kümmern, aufeinander achten. Um unsere Nachbarn sorgen, das ist immer wichtig, aber nun noch mehr. Und Besonnenheit, so wie die Fachleute, die Virologen, das durchaus ausstrahlen. Die Welt geht nicht unter, und wir haben genug zu essen. Und wir können viel an uns entdecken.
Was denn?
Dass wir genauer auf uns schauen. Die Kassiererin im Supermarkt etwa, auf einmal wird die überhaupt wahrgenommen, was die für einen Job macht. Sonst war das nur eine Kasse, auf einmal ist klar: Die ist wichtig. Die Altenpfleger, die Krankenschwestern, oder die Lkw-Fahrer, die uns die Waren bringen. Ohne die bekommen wir nicht die Pesto-Gläser und Spagetti. Es sind ganz einfache Einsichten.
Wie kann die Kirche positive Signale setzen?
Zunächst Mal: Es ist natürlich traurig, dass Hochzeiten nicht gefeiert werden können, keine Kommunion oder wir nun Konfirmationen verschieben müssen. Am schlimmsten ist für mich, dass Beerdigungen nicht in gewohnter Form begangen werden können. Da geht es um Trost, da muss man etwas auffangen. Ich weiß selbst noch nicht, wie ich das organisieren soll.
Und im Positiven?
Das können wir uns wirklich von den Italienern abgucken. Wir sollten auch von den Balkonen singen: „Freude schöner Götterfunken“ im Beethoven-Jahr oder „In unserm Veedel“ von den Bläck Fööss. Singen können wir Kölner nun wirklich. Also müssen wir ein Zeichen setzen. Vielleicht fangen wir mit einem Mikrofon auf dem Balkon an, am besten schon diese Woche, ab 18 Uhr und dann jeden Tag. Bis die ganze Stadt singt. Ich glaube, dass so eine Symbolik wichtig ist, weil sie Kraft gibt. Wir werden auch die Glocken länger läuten, und nicht nur am Sonntag, sondern jeden Tag um 19 Uhr. Damit die Kirche hörbar bleibt.
Wo stehen wir in einem halben Jahr, wenn das Schlimmste der Krise vielleicht hinter uns liegt?
Im besten Fall schauen wir dann weiter auf uns selbst. Und wir versuchen nicht, das Rad umso schneller zu drehen. Die Gottesdienste werden wichtig sein, um den Kompass einzustellen. Wer redet jetzt über die Flüchtlinge in Griechenland? Über ertrinkende Flüchtlinge im Meer? Was ist unsere Corona-Krise dagegen? Das ist eine Chance dieser Zeit, dass wir mal anhalten und fragen, wie wir leben wollen. Das gilt auch für den Stress und den Druck, mit dem wir alle klar kommen müssen. Wir können lernen, was uns Zeit bedeutet. Wenn es gut läuft, wird ein Aufbruch daraus.