Schule in Corona-ZeitenViel Kritik am „Homeschooling“ in Köln
Köln – "Die ganze Arbeit der Lehrer leiste eigentlich ich.“ Daniela B. ist nicht gut zu sprechen aufs „Homeschooling“. Jeden Tag setzt sie sich um 16 Uhr, nach ihrer Arbeit, mit ihrem Sohn an den Schreibtisch und erklärt ihm die Aufgaben auf den Arbeitsblättern. Später korrigiert sie seine Fehler. Timo (Name geändert) ist gerade neun Jahre alt geworden – seinen Wochenplan schafft er vormittags noch nicht alleine.
Wenig Kontakt mit den Lehrern, hohe Anforderungen an die Eltern, keine Unterstützung schwächerer Schüler und das Fehlen von Laptops oder Tablets – vehemente Kritik vieler Eltern erreicht die Stadtelternpflegschaft auch noch zwei Monate nach Beginn des „Lernens zu Hause“.
Jetzt müssen dringend targfähige Lösungen her
„Es geht uns nicht darum, alles was bisher gelaufen ist, zu kritisieren. Die Pandemie hat uns alle plötzlich getroffen. Aber jetzt müssen dringend tragfähige Lösungen her“, fordert Lutz Tempel, Vorsitzender der Stadtelternpflegschaft. „Verbindliche Konzepte zu Umfang und Art des Unterrichts. Und auch, dass alle Schüler ein Tablet nutzen und so am Onlineunterricht teilnehmen können.“
Das ist bisher nicht so. In ärmeren Haushalten gibt es oft weder W-Lan noch PC oder Drucker. Von den 138.000 Kinder und Jugendlichen an Kölner Schulen haben rund 20.000 keinen Zugriff auf ein Endgerät. Auch hängt die Unterrichtsqualität derzeit noch stärker als im Regelschulbetrieb vom Lehrer ab.
Manche Lehrer geben sich kaum Mühe, andere um so mehr
Zahlreiche Pädagogen haben sich mit großem persönlichen Einsatz in die Nutzung von Online-Plattformen eingearbeitet. Andere schicken lediglich die Seitenzahlen von Schulbüchern per whatsapp oder sind bei Fragen nicht zu erreichen – das ergab eine Umfrage des Elternvereins NRW, an der sich 1058 Eltern beteiligten. Ein Ergebnis: 58,6 Prozent der Schüler können die Aufgaben zu Hause nicht alleine bewältigen, 51,4 Prozent der Eltern müssen ihre Kinder sogar mehr als zwei Stunden täglich unterstützen.
Dazu kommt scheinbar Triviales. „Bei uns kann man die Arbeitsblätter nicht in der Schule abholen“, ärgert sich Daniela B.. „Viele Eltern in Kalk müssen jede Woche 60 Seiten für jedes Kind im Copy-Shop ausdrucken.“
Arbeitsblätter werden per Mail oder Post verschickt
Zwei Kinder gleichzeitig „unterrichtet“ Michael Tabel. Sein zwölfjähriger Sohn besucht eine Hauptschule, hier gibt es keinen Online-Unterricht, Arbeitsblätter werden per Mail oder Post verschickt. Wer die Aufgabe nicht versteht, kann seinen Lehrer anrufen.
„Aber das machen die Wenigsten. Viele haben Probleme mit dem Lernen und fragen schon in der Schule nur schwer nach Hilfe. Und einer Erklärung am Telefon muss man auch erstmal folgen können“, schildert der selbstständige IT-Projektleiter.
Der Abstand von Kindern, die schon vorher Probleme hatten, wird jetzt immer größer
Wenn das Lernen ganz auf eigener Initiative aufbaut, sind eine Tagesstruktur und ein ruhiger Arbeitsplatz die Mindestvoraussetzung – doch die werden nicht in jeder Familie erfüllt. „Der Abstand von Kindern, die schon vorher Probleme hatten, wird jetzt immer größer.
Da kann es schon reichen, wenn eine Familie mit mehreren Kindern in einer kleinen Wohnung lebt. Oder ein Elternteil Arbeit und Kinderbetreuung alleine stemmen muss“, sagt Alexander Tschechowski, Sozialraumkoordinator in Kalk. „Und Kinder, die bislang schwer erreichbar waren, bekommt man jetzt noch schwerer.“
Angebote wie das „Förderband" gibt es nicht mehr
„Das geht erschreckend schnell“, bestätigt Silvia Behrendt, bei der Stadtschulpflegschaft zuständig für die Grundschulen. „Die soziale Schere geht Woche für Woche weiter auf.“ Angebote wie das „Förderband“, mit dem Kinder schulintern beim Lernen Hilfe bekamen, gibt es nicht mehr. Und Einrichtungen, die Kinder über das Bildungs- und Teilhabepaket unterstützen, können erst seit kurzem wieder arbeiten – mit wenigen Kindern und in engen Zeitfenstern.
Dass Eltern notgedrungen als Lernbegleiter aktiv werden müssten, vergrößere dieses Ungleichgewicht stetig, so Behrendt. Sophia (10) etwa hat mit drei Stunden Online-Unterricht täglich viel zu tun. Ihre Mutter Brigitte O. arbeitet ab 6 Uhr im Home-Office. Ab 7.30 sorgt sie dann dafür, dass die Fünftklässlerin ihren „Schultag“ am eigenen PC pünktlich um 8 Uhr beginnt. „Ich helfe meiner Tochter, wenn sie Fragen hat“, sagt sie. „Denn das Online-Lernen ist neu für sie, das muss sie erst einmal üben.“
In vielen Klassen findet auch gar kein Online-Unterricht statt
Sorgen bereitet der geringe Umfang des Unterrichts auch Eltern, deren Kinder im kommenden Jahr ihren Abschluss machen sollen. Mehr als eine Stunden Online-Unterricht täglich sei die Ausnahme, in vielen Klassen finde auch gar kein Online-Unterricht statt, so Lutz Tempel.
Auch der derzeit anlaufende Präsenzunterricht erfolge nur mit wenigen Wochenstunden, da die Klassen geteilt werden müssen. Gleichzeitig mangelt es an Lehrkräften, da rund 30 Prozent wegen ihres Alters, Vorerkrankungen oder Schwangerschaft zur Risikogruppe zählen.
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Das System setzt eine hohe Eigenverantwortung von Schülern und ihren Eltern voraus. „Das führt zwangsläufig zu immer stärkerer Bildungsungerechtigkeit“, kritisiert Alexander Tschechowski. „Der Stoff der vergangenen Monate wird für viele Kinder nur ganz schwer aufzuholen sein.“