Peter M. (64) musste lange Jahre auf der Straße leben. Er blickt auf viele Schrecken zurück. Und ist dankbar für die entscheidende Wendung.
„Man erlebt Weihnachten ganz neu“64-jähriger obdachloser Kölner erhielt Wohnung über Housing First
Wenn Peter M. von seiner Wohnung erzählt, dann sagte er Worte wie „Fata Morgana“ und „Super Fata Morgana“. Nach sechseinhalb Jahren, in denen er die meiste Zeit auf der Straße gelebt hat, bekommt der 64 Jahre alte Mann einen Schlüssel. Er kann in seiner noch kahlen kleinen Wohnung die Heizung aufdrehen, dann wird es warm. Es gibt eine Tür. Wenn er sie hinter sich schließt, ist er sicher. Er kann alleine sein.
„Das war am 1. März 2023“, sagt er. Die Seniorenwohnung der Antoniter Siedlungsgesellschaft (ASG) hat ihm die Wohnungslosenhilfe „Housing First“ vermittelt. Da hat er bereits Jahre auf der Straße hinter sich, „die mehr als doppelt zählen. Wer es nicht erlebt hat, weiß nicht wie lang ein Tag auf der Straße ist“, sagt der schmale Mann. Peter M. war nicht immer obdachlos. 56 Jahre hat er in der Siedlung Im Wasserfeld in Porz-Westhoven gelebt.
Ein Foto zeigt ihn als Fünfjährigen, seine Augen blitzen vor Unternehmungslust. Als er sechs ist, stirbt seine Mutter, sein Vater zieht ihn auf, sie leben im Grünen, mit Wald, dem Rheinufer, dem Gärtchen hinterm Haus, „für uns Kinder war das wunderbar“, sagt er. Er macht die Mittlere Reife und Abitur. „Wir waren ja nicht reich. Ich wollte eine gute Ausbildung machen und mir etwas leisten können.“ Er wird Sachbearbeiter in einer Hypothekenbank, bleibt dort 20 Jahre lang.
Alles zum Thema Horrem
- Silvester Feuerwehr löscht mehrere Brände in Rhein-Erft – vermutlich Brandstiftung in Bergheim
- Horrem Großeinsatz und zahlreiche Schaulustige nach Feuer in Kerpen – Löste Feuerwerk Brand aus?
- Nach Sturz auf Gleise in Horrem Staatsanwaltschaft stellt Verfahren gegen Lkw-Fahrer ein
- Weihnachtshaus Frank Esser aus Kerpen dekoriert sein Heim im Advent im Superlativ
- Polizei klärt in Bergheim auf Wie sich das Leben innerhalb von Sekunden ändern kann
- Drogenfahrt Kollision in Kerpen – Autofahrer unter Betäubungsmitteln
- Doppelhaushalt Politiker bringen Etat für den Rhein-Erft-Kreis auf den Weg
Damals, in seinem anderen Leben. Dieses Leben bekommt Risse. Den ersten, gewaltigen, im Januar 1999, als er sich bei einem Autounfall am Kopf verletzt. „Danach konnte ich mich immer schlechter konzentrieren“, blickt er zurück. Alles ändert sich rasant. Er muss in der Bank an wechselnden Orten arbeiten, das überfordert ihn. Sein Vater stirbt nach langem Krebsleiden. Ein Investor kauft die Siedlung Im Wasserfeld. Am Ende verliert er seine Wohnung und ist obdachlos.
Statt Fotos erzählen jetzt Aktenordner seine Geschichte. In denen heftet er seine 150 Wohnungsbewerbungen ab. Blätter mit handgeschriebenen Adressen von Hotels, in denen die Stadt obdachlose Menschen in Mehrbettzimmern unterbringt. Dort will er nicht bleiben, aus Angst vor den Übergriffen suchtkranker oder psychisch beeinträchtigter Bewohner und wegen der „Tierchen in den Matratzen“, heftet Fotos davon ebenso ab wie Arztbriefe und Atteste. Die Ordner darf er bei einer Freundin von einst abstellen.
Nach einem komplizierten Schulterbruch, wegen seiner Niereninsuffizienz und der Herzerkrankung lebt er längere Zeit in einer Krankenwohnung der Diakonie, er ist jetzt zu 90 Prozent schwerbehindert. Doch dann zahlen die Reso-Dienste der Stadt den Aufenthalt in dem nicht für dauerhaftes Wohnen konzipierten Angebot nicht mehr.
„Man befindet sich in einem anderen Lebensraum, der sowas von grässlich ist“, beschreibt er seine darauffolgenden Jahre auf der Straße, in denen er auf Wiesen der Innenstadt schläft, tagsüber, wie viele obdachlose Menschen. Nachts zu schlafen, das sei zu gefährlich. Die Nächte verbringt er an belebten Orten in Köln, später fühlt er sich in Kerpen-Buir oder Horrem sicherer, nickt dort für wenige Stunden ein, bekommt Panikattacken. „Man wacht auf und fremde Leute stehen dicht neben Dir. Manche treten uns, wenn wir schlafen oder spucken auf uns. Man hat keinen sicheren Ort, ist nie allein, man bekommt keine richtige Mahlzeit, nichts von dem, was das Menschsein ausmacht“, sagt er. „Die Leute sehen dich mit den Tüten und denken, ‚der ist selber schuld‘.“
„Dann habe ich das Glück des Lebens getroffen“, beschreibt Peter M. den Moment, in dem er eine Zeitung mit einem Artikel über Obdachlosigkeit findet. Er schreibt dem Autor einen langen Brief, der gibt ihm den Rat, sich an Housing First zu wenden. „Die Menschen da waren sehr nett, aber sie hatten nicht für alle Wohnungen und haben mich auf eine Liste geschrieben.“
Im Januar 2023, an einem eiskalten Tag, klingelt sein Handy. Es gibt eine Seniorenwohnung, er ist der einzige über 60-Jährige auf der Liste. „Da ging mir alles auf einmal durch den Kopf. Wie der Arzt gesagt hatte, wenn ich weiter auf der Straße lebe, wäre ich in einem halben Jahr tot“, sagt Peter M. Er ist aufgeregt, die Sozialarbeiterin von Housing First begleitet ihn zum Termin, sie bleibt Ansprechpartnerin der ASG, die dem von der Stadt geförderten Modellprojekt bereits mehrere Wohnungen zur Verfügung gestellt hat; auch die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft beteiligt sich. Dass zwei privat Vermietende ihre Wohnungen für „Housing First“ zur Verfügung gestellt haben, freut Projektleiter Kai Hauprich sehr. „Das zeigt, dass die Menschen Vertrauen zu uns und dem Projektansatz haben.“ 27 Menschen konnten bereits langfristig in Wohnraum vermittelt werden.
„Du bekommst einen Mietvertrag und keiner misstraut dir.“ Gestenreich schildert Peter M., was nach Vertragsabschluss passiert ist. „Immer mehr Menschen kamen angeflogen, tauschten kaputte Fußleisten, Kacheln, eine Fensterscheibe aus, morgens um sieben stand der Maler vor der Tür.“ Der wollte die vor Gilb starrenden Wände streichen. Ein neuer Klodeckel, ein Spiegel, ein Sitz für die Badewanne kommen, und ein Team, das die Wohnung putzt, „Super Fata Morgana“ eben.
Auch bei der Weiberfastnachtsparty der Rundschau ist er als Tänzer dabei
Bei der Weiberfastnachtsparty der Rundschau als Tänzer dabeiEin Foto in der Wohnung zeigt Peter M. Ende 20, sportlich, mit verwegenem Haarschnitt. Surfen, Badminton, Motorradfahren sind seine Sportarten. Und Karneval. Ab 1984 steht er fünf Jahre bei den „Hellige Knäächte und Mägde“ auf den Bühnen der Stadt, 120 Auftritte in jeder Session, die Proben sind harte Arbeit. Er geht in den Veedelszöch mit und im Rosenmontagszug. Auch bei der Weiberfastnachtsparty der Rundschau ist er als Tänzer dabei.
An seinem ersten Weihnachtsfest in Dellbrück geht er dort in die Heilige Messe. Er kommt zurück in seine warme Wohnung und ist „Gott dankbar“, dass er eine Unterkunft hat. „Wenn man erlebt, wie Menschen von der Gesellschaft abgesondert werden, dann erlebt man Weihnachten ganz neu“, sagt der 64-Jährige. „Dass es mehr günstige Wohnungen gibt, damit man die Menschen aus der Obdachlosigkeit raus bekommt. Das sollte die Botschaft von Weihnachten sein.“