AboAbonnieren

StolpersteineBewohner der Friedrich-Schmidt-Straße decken NS-Vergangenheit auf

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Benjamin Petere und Hannah Espin-Grau vor dem Haus Friedrich-Schmidt-Straße 54a.

Köln-Lindenthal – Schlicht und weiß steht das Wohngebäude an der Friedrich-Schmidt-Straße 54a da, als ob es die Geschehnisse, die sich hinter seinen Mauern abspielten, unter einer Tarnkappe verbergen wollte. Am 19. Oktober werden jedoch viele Menschen davon erfahren. Dann wird der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine zum Gedenken an die ehemaligen Bewohner vor dem Haus ins Pflaster einlassen.

Mieter haben herausgefunden, auf welche Weise sie vor mehr als 80 Jahren aus ihren Wohnungen verschwanden. Eine Zwölfer-WG hatte gerade eine große Wohnung im Haus bezogen, als einige Mitglieder im Keller einen Luftschutzbunker entdeckten. Damit war klar, dass ihr neues Domizil älter sein muss als es wirkt. Sie begannen, Fragen zu stellen. Eine ältere Nachbarin im Haus kannte noch den ehemaligen Hauseigentümer, der dort lebte: Max Brüggemann, ehemaliger Justiziar und Vorstandsmitglied der IG Farben, Mitangeklagter im sogenannten IG-Farben-Prozess, dem sechsten der insgesamt zwölf Nürnberger Prozesse.

Wohnung von ehemaligem IG-Farben-Justiziar

Die IG Farben hatte während der NS-Zeit massiv von Enteignungen und Versklavungen der Zwangsarbeiter profitiert, eine ihrer Tochterfirmen hatte das Giftgas Zyklon-B hergestellt, mit dem der Völkermord an Millionen europäischer Juden begangen wurde. Der Prozess gegen Brüggemann wurde allerdings eingestellt, aus gesundheitlichen Gründen.

„Wir fanden es dann ziemlich speziell, in der Wohnung zu leben, in der er gewohnt hatte“, so Hannah Espin-Grau, ein ehemaliges WG-Mitglied. Sie recherchierten weiter in Adressbüchern des Greven Verlags aus der Zeit und entdeckten, dass Brüggemann und seine Frau erst im Jahr 1938 in das Haus an der Friedrich-Schmidt-Straße eingezogen waren. Vorher gehörte es dem jüdischen Paar Else und Isidor Hermanns.

Das vierköpfige Rechercheteam kontaktierte das NS-Dokumentationszentrum, das sie bei ihren Nachforschungen unterstützte. Teammitglied Benjamin Peterle berichtet von den Ergebnissen: „Die Mitarbeitenden teilen unsere Vermutung, dass der Wechsel von Eigentum in dieser Zeit ein Hinweis auf »Arisierung« sein kann, also die Enteignung jüdischer Personen und Übertragung des Besitzes an nichtjüdische Personen im Nationalsozialismus.“

Womöglich wurden die jüdischen Eigentümer enteignet

So etwas im Nachhinein zu beweisen, sei schwer. „Dafür spricht in diesem Fall jedoch ein existierender Hinweis auf einen Antrag auf Rückerstattung des Hauses aus den 1950er Jahren“, so Peterle. Über das weitere Schicksal der Hermanns ist wenig bekannt: „Wir vermuten, dass Isidor Hermanns 1938 nach Belgien floh“, sagt Peterle, „und er dann 1938 von Mechelen nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde.“

Über das Schicksal seiner Frau konnten sie nichts in Erfahrung bringen. Sie entdeckten aber weitere Namen ehemaliger jüdischer Mitbewohner in den alten Adressbüchern, die damals aus dem Haus verschwanden: Maria und Rudolf Callmann, Martha Sara und Samuel Meyer, Ernestine und Alfred Marx.

An ihre Schicksale möchten sie bei der Stolpersteinverlegung erinnern. Peterle, der Geschichte studiert, kann einiges über das Viertel um die Friedrich-Schmidt-Straße erzählen: „Braunsfeld galt in den 1930er Jahren als eines der wenigen wohlhabenden Kölner Vorstadtviertel mit einem liberal orientierten Bürgertum, in dem viele jüdische Familien lebten.“ „Gleichzeitig hatte sich in dem wohlsituierten Umfeld die Kölner NS-Elite niedergelassen, oftmals in Wohnungen und Häusern, die kurz zuvor noch im Besitz von Jüdinnen und Juden waren.“

Braunsfeld war liberales Vorstadtviertel mit jüdischem Leben

So musste beispielsweise auch der jüdische Mitbürger Leo Katzenstein seine Villa an der Friedrich-Schmidt-Straße an die Stadt verkaufen, erzählt Peterle. „Dort wohnte dann der Oberbürgermeister.“ Ganz in der Nähe, an der Fürst-Pückler-Straße 58, lebte der ehemalige Gauleiter von Köln, Josef Grohé. In der Villa am Stadtwaldgürtel 35 des Bankiers Kurt Freiherr von Schröder hatte 1933 sogar ein heimliches Treffen von Wirtschaftsgrößen mit Franz von Papen und Hitler stattgefunden, bei dem man die Regierungsbildung plante.

In den bürgerlichen Vierteln am Stadtwald befanden sich die Geburtsstätte und spätere Schaltzentralen des Terrorregimes, aber vor allem auch etwas anderes: „Es gab hier sehr viel jüdisches Leben“, betont Espin-Grau. „Darüber etwas herauszufinden, ist allerdings schwierig. Das Vermächtnis und die Erinnerung sind zerstört.“ Das haben die jungen Bewohner des Hauses an der Friedrich-Schmidt-Straße 54 zumindest ein bisschen geändert.

Das könnte Sie auch interessieren:

Am 18. Oktober stellt das Rechercheteam von 19 bis 21.15 Uhr seine Ergebnisse in einem kleinen Vortrag im Café Zeitgeist am Clarenbachplatz 2 vor. Die Teilnahme ist kostenlos. Die Stolpersteinverlegung findet am 19. Oktober um 11.40 Uhr statt. Interessierte werden gebeten, ab 11.15 Uhr vor Ort zu sein.