Kölner über Mord an Tochter und Enkel„Sie starb an dem Ort, den sie liebte“

Voller Trauer: Der Vater der getöteten Derya (24) auf der Terrasse seiner Wohnung in Kalk.
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Köln – Beim Blick in das Gesicht von Ersin Seyhun (56) ist deutlich zu erkennen, was der Mann in den vergangenen Monaten mitgemacht hat. Seine Augen sind traurig, der Blick ist leer, und wenn der Vater von seiner Tochter erzählt, kommen ihm immer wieder die Tränen. Das Schicksal, das der 56-Jährige mit seiner Familie erleiden muss, ist kaum in Worte zu fassen.
Ersin Seyhun hat seine Tochter Derya (24) und sein Enkelkind verloren – beide wurden getötet. Am Mittwochvormittag beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter (25) vor dem Kölner Landgericht. Der Mann ist der Ex-Partner der Getöteten. Der Vater wird als Nebenkläger da sein, und er will Stärke zeigen: „Ich will daran nicht scheitern. Es muss weitergehen. Ich hoffe auf einen Abschluss für mich und meine Familie.“ Doch der Vater hat Sorge, dass mit ihm die Emotionen durchgehen.
Das Verbrechen am Niehler Hafen
Es ist eines der furchtbarsten Verbrechen in den vergangenen Jahren in Köln: Ein 24 Jahre alter Mann aus Niehl soll seinen Sohn (4) und dessen Mutter (24) getötet haben. Danach soll der Mann beide Opfer in den Rhein am Niehler Hafenbecken geworfen haben. Die Tat geschah Mitte November 2021 und hatte nicht nur in Köln für Entsetzen gesorgt.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann zweifachen Mord vor. In der Anklage heißt es, dass die Tatwaffe ein Messer gewesen sein soll. Die Staatsanwaltschaft spricht in ihrer Anklage von Heimtücke und Habgier. Möglicherweise könnte laut Anklage eine Unterhaltsforderung der Frau gegenüber dem Angeklagten Auslöser der Tragödie gewesen sein. Weiter heißt es, dass der Mann die Heirat mit ein neuen Frau plante und sie nichts von dem Kind erfahren soll. Die Tragödie trat durch die Beobachtung einer Schiffsbesatzung zu Tage. Die Mitarbeiter auf dem Schiff sahen einen leblosen Körper im Hafenbecken. Die Beamten fanden schließlich den leblosen Körper der 24-Jährigen. Später hatten Rechtsmediziner Verletzungen am Oberkörper der 24-Jährigen festgestellt - es sollen Stichverletzungen gewesen. Der Leichnam des Jungen wurde bis nach Worringen abgetrieben und dort von Passanten entdeckt. (ta)
Der Moment, als das Leben zerbricht
Ersin Seyhun lebt seit vierzig Jahren in Köln, ist in seiner Freizeit Fußballtrainer in Chorweiler, im Betriebsrat bei der Nachfolger-Firma von Klöckner-Humboldt-Deutz und ein „kölscher Jung“, wie er sich selber nennt. Dass ihm und seine Familie einmal so etwas Grausames passiert, hätte er niemals gedacht – aber das Leben halte offenbar auch so etwas bereit. Den Moment, als sein Leben zusammenbrach, hat der Vater noch genau im Kopf. Der Mann hatte am Wochenende 13. und 14. November 2021 seine Tochter vermisst, sie hatte sich sonst immer regelmäßig gemeldet. Die geschickte Nachricht kam nicht an – das sah er auf seinem Handy. Später stellte sich heraus, dass das Telefon der Tochter aus war. Am Montag, 15. November , hatte sich Derya noch immer nicht gemeldet. Als der Vater dann im Internet eine Nachricht las, dass eine leblose Frau am Rhein am Niehler Ufer gefunden wurde, hatte er sofort ein schlechtes Gefühl und Gänsehaut, wie er sagte. Nur eine halbe Stunde später klingelte es an seiner Wohnungstür in Kalk. „Acht Beamten kamen die Treppe hoch. An ihren Gesichtern habe ich gesehen, dass etwas passiert ist. Sie zeigten mir ein Bild von meiner Tochter. Danach war ich nicht mehr hier“, berichtete der Vater und muss wieder zum Taschentuch greifen und die Tränen wegwischen.
Lieblingsplatz der Tochter wurde zum Tatort
„Sie starb an dem Ort, den sie liebte“, erklärt der Vater. Dort hielt sie sich oft mit ihrem Sohn und dem späteren mutmaßlichen Täter auf. Der leibliche Vater wohnte ganz in der Nähe und so gingen beide dort häufig spazieren. Dieser Lieblingsplatz ist laut Staatsanwaltschaft auch der Tatort. Der Vierjährige sei dort „wie Müll“ in den Rhein geworden worden, sagt der Vater, wieder kommen die Tränen. Ersil Seyhun beschreibt die Zeit nach der Todesnachricht, als ob er in Trance war. „Ich weiß nicht, wie ich das überstanden habe. Bis heute.“ Seyhun war zwei Monate in einer Tagesklinik und ließ sich behandeln – es gab weitere ärztliche Besuche. Damit die Familie weiß, was sie im Gericht erwartet, waren sie schon an der Luxemburger Straße. Am Freitag besuchten Angehörige den Fall um einen versuchten Mord mit einer Axt, ihre Beobachtungen gaben sie an den Vater weiter. Die Familie hatte bewusst eine Verhandlung mit einem schwerwiegenden Fall in einer Schwurgerichtskammer ausgesucht.
Wer wurde zuerst umgebracht?
Vor den Details über den Tod der Tochter und des Enkelkindes, die im Gericht vermutlich thematisiert werden, hat der Vater Angst. Wurde die 24-Jährige zuerst umgebracht und dann ihr Kind? Musste sie mitansehen, wie ihr Kind umgebracht wurde? Wie viele Messerstiche waren es genau? Ersil Seyun weiß, es stehen wieder schwierige Wochen und Monate bevor. Bereits heute soll der Vater in den Zeugenstand, berichtete er im Gespräch. Über den mutmaßlichen Täter sagt der Vater nicht viel: „Wenn er es war, soll er lebenslang ins Gefängnis“.
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Den Angeklagten und leiblichen Vater des Vierjährigen hatte er nicht kennengelernt. Möglicherweise sei man einmal gemeinsam auf einer Geburtstagsfeier gewesen. Die Probleme mit dem 24-Jährigen hätte die Tochter alleine regeln wollen. Gemeint sind wohl die Probleme mit den Unterhaltszahlungen und der Trennung des Paares. Dies spricht der Vater nicht aus. Auch wo beide zusammengefunden haben, erzählt der 56-Jährige nicht. Nur soviel: „Sie waren früher zusammen in einer Klasse“.