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Kölner Pfarrerin über Corona-Krise„Kirche muss sich nachhaltig verändern“

Lesezeit 4 Minuten
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Pfarrerin Miriam Haseleu in „ihrer“ Kulturkirche in Nippes. Sie wünscht sich für die evangelische Kirche, dass die nach der Pandemie dezentraler und mutiger sein wird.

  1. Kirche sollte in der Krise Rettungsanker sein und ist doch selbst stark betroffen von der Corona-Pandemie.
  2. Die evangelische Pfarrerin und stellvertretende Stadtsuperintendentin Miriam Haseleu zu der Frage, wie Kirche aus der Krise kommt.

KölnIn einen von Ihnen verfassten Thesenpapier zur Corona-Pandemie haben sie geschrieben, Krise gehöre zur Grunderfahrung der Kirche. Sie sei ihre Kernkompetenz. Doch diese Krise trifft auch die Krise hart. Gerade zu Weihnachten sind Gottesdienste ausgefallen. Es geht die Sorge um, dass nach der Pandemie viele Menschen sich abwenden. Die Gläubigen vereinzeln sich.Vereinzelung in der Krise, beziehungsweise die Begleitung von Einzelnen ist nicht nur schlecht. Auch sie wirkt sich aufs große Ganze aus. Auch vereinzelt kann die Stimme für die Schwachen und Ausgegrenzten erhoben werden. Allerdings müssen solche Stimmen auch wahrgenommen, gehört werden. Es ist unsere Aufgabe, nun bei den Menschen zu sein, die Kirche an ihrer Seite brauchen, für sie die Stimme zu erheben, ihnen Gehör zu verschaffen. Dafür dürfen wir nicht mehr alleine bewahrend unterwegs sein – wozu Kirche ja neigt. Wir müssen uns mutig den Veränderungen stellen, Energie daraus gewinnen.

Doch das Bild, das bei nicht wenigen Menschen entsteht, ist: Jetzt, wo Kirche besonders gebraucht wird, zieht sie sich zurück.

Das ist im Moment natürlich eine Gratwanderung. Einerseits sind wir als Kirche dankbar dafür, dass wir in einem gewissen Rahmen funktionieren und da sein dürfen. Die Politik setzt uns nicht gleich mit Theatern oder Konzerthallen, die natürlich auch gute Hygienekonzepte haben. Anderseits müssen wir uns verantwortungsvoll selbst Grenzen setzen. Dass an Heiligabend viele Gottesdienste ausgefallen sind, hat natürlich damit zu tun, dass an diesem Tag traditionell sehr viele Menschen in die Kirche kommen und wir keine Massenveranstaltungen verantworten wollten, in denen sich das Virus noch weiter verbreiten könnte. Generell sind die Kirchen aber offen. Man kann hineingehen, Ansprechpartner finden oder auch im kleinen Umfang Gottesdienste besuchen.

Sie sagen, es ist nun wichtig, nah bei den Menschen zu sein. Als evangelische Pfarrerin können Sie den Menschen nicht näher sein, als in Seelsorgegesprächen. Nehmen die in der Krise zu?

Seelsorgegespräche haben für manche Menschen eine hohe Schwelle, dennoch erleben wir einen großen Bedarf an Gesprächen. Das merke ich zum Beispiel total, wenn ich durch Nippes gehe. Ich werde viel angesprochen. Vor allem von Menschen, die privat einsam sind und das bisher durch soziale Angebote kompensiert haben, die sie aber nun nicht mehr nutzen können. Auch unsere Seniorenarbeit fällt in der Pandemie aus. Das führt dazu, dass viele Menschen keinen Wochenrhythmus mehr haben. Der Alltagskontakt fehlt.

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Alle Hoffnungen richten sich nun auf die Impfungen. Doch wir werden sicherlich noch viele Spätfolgen erleben. Aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen wird die Armut zunehmen. Was ist dabei die Aufgabe der Kirche?

Diese Armut muss gesellschaftlich getragen, aufgefangen werden. Auch wenn das Einbußen für Menschen bedeutet, die privilegierter durch diese Krise kommen. Das einzufordern, wird auf jeden Fall Aufgabe der Kirche sein. Menschen in Not müssen maximal diakonisch unterstützt werden. Meine Hoffnung ist, dass wir stark genug sein werden, das rechtzeitig zu organisieren.

Sie sind auch Sprecherin des Runden Tisches für Flüchtlingsfragen der Stadt Köln. Wird die Not der Flüchtlinge über die eigenen Probleme vergessen?

Für die Menschen, die an den europäischen Grenzen gestrandet sind und die unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, müssen wir europäische Lösungen finden. Für mich ist das keine Aufgabe, an die wir in der Corona-Krise auch noch denken müssen. Diese Aufgabe hat Priorität.

Wie wird die Kirche aus dieser Krise herauskommen? Wird sie danach eine andere sein als bisher?

Wir müssen uns als Evangelische Kirche nachhaltig verändern, dezentraler denken, mehr zu den Menschen gehen und auch an manchen Stellen unbequemer werden. Im ersten Lockdown, in einer Phase allgemeiner Verunsicherung, hat es die Kirche verpasst, sich mehr für Besuche einsamer Menschen, gegen das Sterben in totaler Isolation stark zu machen. Da hätten wir klarer sagen müssen, so kann man mit Menschen nicht umgehen. Ich wünsche mir, dass die digitalen Formate, die wir entwickelt haben, bleiben. Sie ermöglichen die Kommunikation mit Menschen, die nicht unbedingt in die Kirche kommen. Für die Zukunft müssen wir es schaffen, ein Finanzierungskonzept zu entwickeln, das nicht nur an Kirchenmitgliedschaften hängt, sondern das flexibler ist. Wir sollten mehr über Themen und Projekte die Menschen erreichen.