„Andacht to go“Pfarrer der Kartäuserkirche kommen zu „Hausbesuchen“
Köln – Wenn die Kirche zu den Menschen kommt, sind Flexibilität und Druck auf den Reifen gefragt. Auf dem roten Kastenaufsatz des Lastenrades leuchten vier elektrische Kerzen, Pfarrer Martin Gröger hat gerade den Talar herausgenommen und auf dem Mittelstreifen der Teutoburger Straße übergezogen. „Wir bringen alles mit und kommen zu den Menschen“, sagt er. In den Kastenaufsatz passe einiges rein. Dann erzählt er aus der Weihnachtsgeschichte, von Maria und Josef und der Suche nach der Herberge. Andacht auf dem Gehweg.
Die Corona-Krise macht erfinderisch und eröffnet neue Wege. Die Kartäusergemeinde bietet in der Adventszeit eine „Andacht to go“. Wer sich aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr in die Kirche traut, allein zuhause ist und christliche Nähe sucht, kann sich an die Gemeinde wenden. Ein Pfarrer und Kantor Thomas Frerichs kommen dann als Gemeindeteam vorbei. Mit Schirm, Lichtern und portablem Keyboard. Und Gottes Segen sowieso. „Bei Anruf Andacht!“ heißt das Angebot.
Jogger und Nachbarn schauen sich um
An diesem nasskalten Abend in der Südstadt wartet Ulrike Kreßner auf den Geistlichen. Mit ihrem Mann und den Mädchen, 4 und 6 Jahre alt, steht sie im dicken Mantel auf dem Mittelstreifen der Straße. „Zünde eine Kerze an! Dein Licht der Hoffnung!“ stimmt Frerichs an. Jogger schauen sich verwundert um, einige Nachbarn blicken interessiert aus den Fenstern. Andacht auf der Straße mitten im Feierabendtrubel. „Dieser Advent ist schon sehr anders“, sagt sie. Die Stadt ist viel ruhiger, das sei teilweise ganz angenehm. Aber es fehlten die Kontakte, die menschliche Wärme. „Ich weiß nicht, ob ich dieses Jahr meine Eltern an Weihnachten sehe. Beide gelten zum Risikokreis.“ In der Kirche hat sie zuletzt nur noch den Kinder-Gottesdienst mit ihren Mädchen besucht, der findet auf dem Außengelände statt.
Pfarrer Gröger spricht in der Andacht über die 2000 Jahre alte Geschichte von Christi Geburt. „Anders als Maria und Josef haben wir heute eine Herberge. Aber sie wird uns derzeit zu eng, wir fühlen uns manchmal wie im Käfig.“ Es wäre doch schön, mal wieder neben dem sonst nervenden Bürokollegen zu sitzen oder in der Bahn sich jedem unbefangen nähern zu können. Mit all den Kontaktbeschränkungen fühlten sich viele „unbehaust“.
Natürlich gehe man nicht in die Wohnungen der Menschen, sagt Pfarrer Martin Bonhoeffer zum Hintergrund. „Wir wollen auch nicht den Chlodwigplatz voll machen.“ Bloß kein Event. Das Angebot sei für einzelne Menschen gedacht, die nicht mehr in die Kirche gehen wollen. Ein Anruf genüge, da bespreche man das „Setting“ ab, wie man in der Kreativwirtschaft sagen würde, die Situation vor Ort.„Wir verlieren die Menschen in der Gemeinde nicht aus den Augen“, sagt Pfarrer Gröger. Das sei das Gefährliche an dieser Krise, dass Bindungen verloren gehen. Jeder sei aus seinem Alltag gerissen. „Unser Glauben verfestigt sich in gemeinsamen Gesprächen, in der Zusammenkunft.“ Also bemühe man sich, Ersatzangebote zu schaffen, den Glanz des Advents auf die Straße zu bringen.
Am Ende stimmt Frerichs „Engel auf den Feldern singen“ an. „Wenn ihr wollt, summt einfach mit“ sagt er. Singen gilt auch unter freiem Himmel als zu gefährlich, also summt die Mini-Gemeinde. Dann das Vaterunser. Nach knapp 20 Minuten ist die Andacht zu Ende. Der Pfarrer verteilt den Segen, Familie Kreßner dankt und geht wieder hoch in die Wohnung im Obergeschoss, die Kinder müssen bald ins Bett.
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Die Lichter und Gerätschaften werden im roten Lastenrad verstaut, kurz darauf verschwindet es im Südstadtdunkel. „Wir kommen überall hin“, sagt Martin Gröger noch. Das Lastenrad sei wendiger als es aussieht.Infos gibt es telefonisch unter der Nummer (0221) 25936713.