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Polizeieinsätze fast verdoppeltZunahme von Gewalt und Straftaten an Kölner Schulen alarmiert

Lesezeit 5 Minuten
Ein Schüler drückt einen anderen Schüler zu Boden (gestelltes Illustrationsfoto).

Gewalttaten auf dem Schulgelände sind drastisch angestiegen. (gestelltes Illustrationsfoto)

Die Zahl der Straftaten hat 2023 stark zugenommen. Die Gewaltdelikte im Unterricht sind im Köln um 137 Prozent gestiegen.

Die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten an Kölner Schulen ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Insbesondere Gewaltdelikte nahmen zu. Das geht aus Zahlen des Landeskriminalamts NRW hervor, die das Zentrum für Kriminalprävention und Sicherheit der Stadt Köln (ZKS) angefordert und aufbereitet hat. Demnach musste die Polizei 2023 deutlich häufiger zu Einsätzen in weiterführenden Schulen in Köln ausrücken als im Jahr zuvor.

Insgesamt wurden im Schulkontext 2017 Straftaten registriert, davon 784 im Unterricht und weitere 1233 auf dem Schulgelände außerhalb des Unterrichts. Das entspricht einem Anstieg um fast ein Drittel (30,4 Prozent). Im Jahr 2022 waren 1547 Straften an Kölner Schulen erfasst worden.

Noch stärker haben die sogenannten Rohheitsdelikte zugenommen, dazu zählen Raub, Körperverletzung und Straftaten gegen die persönliche Freiheit. 745 Fälle wurden voriges Jahr aktenkundig, nach 467 Fällen im Jahr 2022 – ein Zuwachs um fast zwei Drittel (59,5 Prozent). Dabei nahm die Gewalt im Unterricht überproportional zu um 137,1 Prozent auf 339 Fälle. Bei Rohheitsdelikten außerhalb des Unterrichts gab es einen Anstieg um 25,3 Prozent auf 406 Fälle.

Elf Schulen stechen besonders hervor

Die Zahlen basieren auf Meldungen, die bei der zentralen Leitstelle der Kölner Polizei unter der Notrufnummer 110 eingegangen sind, ergänzt durch Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik. In Betracht kommen in Köln 13 Hauptschulen, 20 Gesamtschulen, 23 Förderschulen, 24 Realschulen und 41 Gymnasien. Das ZKS hat die Daten im Rahmen der Arbeiten für den „Masterplan Kommunale Sicherheit“ untersucht, den die Stadt seit 2022 auf Initiative der CDU erstellt.

Demnach wurden 2023 die meisten Straftaten an Schulen im Bereich der Polizeiinspektion Nordost (Mülheim, Deutz) registriert, insgesamt 450 Fälle. Dahinter folgten Rodenkirchen und Lindenthal (375 Straftaten), Kalk und Porz (355) sowie Nippes und Chorweiler (327). Die wenigsten Fälle gab es in der linksrheinischen Innenstadt (207). Die meisten Rohheitsdelikte wurden mit 219 Fällen in Mülheim und Deutz erfasst.

Elf Kölner Schulen stachen in puncto Kriminalität besonders hervor. Hier gab es voriges Jahr doppelt so viele Polizeieinsätze wie im Durchschnitt der Kölner Schulen. Um welche Schulen es sich dabei konkret handelt, teilte das ZKS auf Anfrage nicht mit, um eine Stigmatisierung dieser Bildungseinrichtungen zu vermeiden. In einem Bericht stellt das ZKS aber fest, dass sechs der elf betroffenen Schulen „in Stadtteilen mit potenziell stark erhöhten Problemlagen“ angesiedelt seien, nämlich in Chorweiler, Heimersdorf, Seeberg, Mülheim, Buchheim und Finkenberg.

Gewalt unter Schülern als auch gegenüber Lehrkräften nimmt zu

Am kommenden Montag befasst sich der Schulausschuss mit dem Thema, die FDP hat dazu Fragen an die Verwaltung gestellt.

„Die Entwicklung an den Kölner Schulen ist alarmierend“, sagt ZKS-Leiterin Dolores Burkert. Man müsse aber berücksichtigen, dass die Zahlen 2022 „schon allein aufgrund der Pandemieregelungen niedriger waren“. Am häufigsten würden an Schulen Diebstahlsdelikte sowie Raub- und Körperverletzungsdelikte angezeigt. Im Rahmen des Masterplans kommunale Sicherheit wolle das ZKS im Spätherbst auch für den Bereich Schule Handlungsempfehlungen vorlegen, wie Gewaltsituationen vorgebeugt werden kann.

Von einer zunehmenden Verrohung unter Schülerinnen und Schülern berichtet auch Eva-Maria Zimmermann, Geschäftsführerin des Stadtverbands Köln der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Kölner Lehrkräfte würden vermehrt berichten, dass die Gewalt sowohl unter Schülern als auch gegenüber Lehrkräften zunehme. Das äußere sich etwa in grenzüberschreitendem Verhalten, mangelndem Respekt, Drohungen, tätlichen Angriffen, Sachbeschädigungen und Diebstahl. Die Entwicklung zeige, „dass eine Hemmschwelle gesunken ist, weniger Impulskontrolle vorliegt und ungefilterter, respektloser und rücksichtsloser miteinander umgegangen wird“.

Mehr Schulsozialarbeiter werden gebraucht

Als Gründe für dieses Verhalten vermuten viele Lehrer laut Zimmermann eine „allgemeine Tendenz zur Verrohung unserer Gesellschaft in Bezug auf Verhalten, Sprache, kulturelle Bildung“ sowie eine exzessive Nutzung von Social Media, wo Kindern und Jugendlichen „tagtäglich Unmengen an gewaltverherrlichenden und diskriminierenden Videos zur Verfügung stehen. Die Jugendlichen lernen, dass es okay zu sein scheint, sich respektlos, diskriminierend und bösartig anderen Menschen gegenüber zu äußern und konsequenterweise auch so zu verhalten.“ Auch exzessive Nutzung von Computerspielen könne ein Thema sein.

Teilweise lägen die Probleme auch darin begründet, dass manche Eltern sich aus der Pflicht verabschiedet hätten, ihre Kinder zu einem guten Umgang zu erziehen und ihnen bei Fehlverhalten konsequent Grenzen aufzuzeigen. Auch die Restriktionen der Corona-Zeit hätten negative Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Schüler gehabt. Um dem entgegenzuwirken, brauche es an den Schulen mehr Schulsozialarbeiter, Gewaltprävention direkt vor Ort durch externe Experten sowie „Fortbildungen für Lehrkräfte, wie sie mit dieser Thematik umgehen können“, fordert Zimmermann.

Eine Schulleitung einer Kölner Gesamtschule betonte im Gespräch mit der Rundschau, das Thema Gewalt in der Schule müsse differenziert betrachtet werden. In den vergangenen Jahren habe man keinen auffälligen Anstieg von Straftaten und Gewalt in der Schule beobachtet. Was sich jedoch verändert habe, sei der Umgang mit Konflikten. „Heutzutage informieren Schüler schon mal umgehend ihre Eltern oder Verwandte per Whatsapp, wenn sie von einem Mitschüler geschubst wurden.“ Dann seien schnell Emotionen im Spiel. Mitunter würden Eltern sogar Fünftklässler bei der Polizei anzeigen. Die seien zwar nicht strafmündig, aber es werde ein Vorgang daraus. Man habe auch schon erlebt, dass Eltern ihrem Kind verbotenerweise Pfefferspray mit in die Schule gaben.

Oft handele es sich um Konflikte, die über den Schulbetrieb hinausgingen. „Für die Lehrkräfte ist es eine große Aufgabe, den Schülern zu vermitteln, wie man aufkommende Konflikte schnell beilegen kann“, erläutert die Schulleitung. Konfliktmanagement sei ein zentrales Thema. „Es geht unter anderem darum, einen Konflikt nicht größer zu machen als er ist.“ Wenn es an der Schule zu Vorfällen komme, schalte man die Schulsozialarbeiter ein und führe mit allen beteiligten Schülern ein Konflikttraining durch. „Über Strafen kommt man nicht weiter.“


Mehr jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige

8596 Tatverdächtige unter 21 Jahren hat die Polizei voriges Jahr im Zusammenhang mit den auf Kölner Stadtgebiet aktenkundig gewordenen Straftaten ermittelt, 681 mehr als 2022. Damit sind rund ein Fünftel (20,2 Prozent) der insgesamt 42.534 Tatverdächtigen in Köln Jugendliche oder Heranwachsende. Der Anteil entspricht exakt dem Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie. 2020 und 2021 war der Anteil junger Tatverdächtiger auf 18,0 Prozent gesunken, 2022 auf 19,8 Prozent gestiegen.

Besonders stark nahm die Zahl der Delikte bei nicht strafmündigen Kindern unter 14 Jahren zu. Hier ermittelte die Polizei 1371 Tatverdächtige ein Zuwachs um 13,7 Prozent. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren waren es 3770 Tatverdächtige (plus 6,5 Prozent), bei Heranwachsenden von 18 bis Jahren 3455 Tatverdächtige (plus 9,0 Prozent). 5395 der Tatverdächtigen unter 21 sind Deutsche, 3201 Nichtdeutsche. (fu)