Nicht umsonst zu habenDie Senkung der Mehrwertsteuer verursacht Arbeit und Kosten
- Die neue Mehrwertsteuer ist da: Bis zum 31. Dezember 2020 liegt sie nicht bei 19 sondern bei 16 Prozent.
- Die Industrie- und Handelskammer Köln hat eine Blitzumfrage zu diesem Thema durchgeführt.
- Die Ergebnisse sind überraschend, könnte man doch meinen, alle würden sich über die Senkung freuen.
Köln – Viel administrativer Aufwand, wenig echte Einsparungen: Das ist die erste Bilanz zur neuen Mehrwertsteuer, die seit gestern gilt. Bis zum 31. Dezember 2020 ist der Steuersatz auf 16 statt 19 Prozent herabgesenkt. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz sinkt von sieben auf fünf Prozent. Eine Blitzumfrage der Industrie- und Handelskammer Köln ergab, dass 57 Prozent der Unternehmen sich davon keinen Effekt versprechen. Auch Verbraucher sind skeptisch.
Sinken jetzt überall die Preise?
„Jeder macht etwas anderes“, sagt Annett Polster, Geschäftsführerin des Stadtmarketing Köln. Nach dem Wunsch der Bundesregierung sollen die Händler die Ersparnis möglichst an die Kunden weitergeben, verpflichtet sind sie dazu aber nicht. „Ich fände es unfair, es nicht zu tun“, sagt Ute Weinem, Raumausstatter-Meisterin, die in Braunsfeld den Betrieb Oberwalleney führt.
Christoph Mommen aus der Schmuckgalerie Mommen am Neumarkt findet: „Es ist eine gesellschaftliche Verpflichtung, dass wir uns beteiligen, wenn das Ziel ist, die Bürger zu entlasten.“ In beiden Unternehmen zahlen die Kunden daher Preise, die entsprechend der neuen Mehrwertsteuer reduziert sind. Ein Händler, der ungenannt bleiben möchte, meint jedoch: „Die Erleichterung müssen wir zu hundert Prozent selbst nutzen. Sie weiterzugeben, wäre Wahnsinn: Das würde uns noch mehr in den Ruin bringen.“
Was ändert sich beim Einkaufen?
In vielen Geschäften stehen noch die alten Brutto-Preise an den Waren. Darüber, ob diese an der Kasse angepasst werden und es somit eine kleine Reduzierung gibt, müssen die Kunden sich vor Ort informieren. Die Regelung ist nicht einheitlich.
Wie stehen Händler zu der neuen Regelung?
„Die Entscheidung zeigt, wie weit die Regierung von der Realität entkoppelt ist“, sagt jener Händler, der lieber inkognito bleibt: „Das gesamte Geschäftsmodell des Einzelhandels ist in einer Weise belastet, die die Mehrwertsteuer nicht abbilden kann.“
Höchst problematisch findet er, dass die Erleichterung auch dem Onlinehandel zugutekommt, durch den niedergelassenen Geschäftsleute es ohnehin immer schwerer haben. Einer Regelung, die keinen Gewinn bringt, stehe aber ein riesiger Aufwand gegenüber: „Uns hat die Umstellung in zahlreichen Geschäften 50000 Euro gekostet, jede Kasse musste umprogrammiert und die Buchhaltung angepasst werden.“
Zusätzliche Kosten wegen Umprogrammierung
Auch Raumausstatterin Weinem hat zusätzliche Kosten von 400 bis 500 Euro zu tragen, weil ein IT-Experte ihr Computersystem umprogrammieren muss. Mit der Rückumstellung zum Jahreswechsel fällt dieser Posten dann erneut an. Sie kritisiert: „Es ist vielleicht nur ein ,Schnaps’ mehr an Arbeit, aber in den letzten Jahren gab es immer wieder einen ,Schnaps' Arbeit mehr, gerade in der Administration.“
Christoph Mommen glaubt, dass andere Maßnahmen effektiver gewesen wären, zum Beispiel höhere Kinderboni: „Das hätte zur Grundbedarfsdeckung mehr geholfen, besonders den Menschen mit unterem oder mittlerem Einkommen, die ohnehin Probleme haben und jetzt zum Teil von Kurzarbeit betroffen sind.“
An höhere Umsätze in Folge der Mehrwertsteuersenkung glaubt er nicht: „Selbst bei einem Collier für 2000 Euro liegt die Ersparnis für den Kunden nur bei etwa 40 Euro. Das ist keine kritische Größe für eine Kaufentscheidung.“ Hinzu komme ein anderer Aspekt: „Sogar bei einem Autokauf spart man durch die niedrigere Mehrwertsteuer nur einige hundert Euro, und in der Höhe kann man meistens ohnehin einen Preisnachlass aushandeln.“
Planen Verbraucher jetzt zusätzliche Käufe?
„Für mich macht das keinen Unterschied“, sagt Andrea (47) beim Stadtbummel: „Ich schaffe Dinge an oder eben nicht.“ Auch Heinz (68) lacht nur: „Ich kaufe jetzt nicht mehr als sonst, und andere werden das auch nicht machen.“ Schmuckhändler Christoph Mommen verrät, dass er nach den Umsatzeinbußen der letzten Monate von allen größeren privaten Anschaffung derzeit Abstand nehme: Daran ändere auch die reduzierte Mehrwertsteuer nichts.
Welche Risiken birgt die Umstellung?
Wenn die neue Mehrwertsteuer nicht, wie von der Regierung erhofft, für größere Kauflaune sorgt, stellt sie die Wirtschaft vor neue Herausforderungen. „Ich habe mich erschrocken, als die Nachricht von der Umstellung kam“, sagt Jörg Hamel, Geschäftsführer der Kölner Geschäftsstelle des Handelsverbandes Nordrhein-Westfalen.
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Für die Geschäftsleute bedeute es eine erhebliche Zusatzbelastung in einer Zeit, in der sie ohnehin gebeutelt sind: „Nicht jeder ist in der Lage, die Finanzmittel aufzuwenden, um ein Kassensystem umzurüsten.“ Angesichts zahlreicher Rabattaktionen, bei denen es oft um 30 Prozent und mehr ginge, bezweifle er, dass die Neuerung einen spürbaren Effekt auf die Kunden hat.