Das Gymnasium Kreuzgasse schuf eine Erinnerungskultur für jüdische Schülerinnen und Schüler - und erhält dafür den Kölner Ehrenamtspreis.
Erinnerung an jüdische MitschülerGymnasium Kreuzgasse mit Ehrenamtspreis der Stadt Köln ausgezeichnet
„Was ist mit den jüdischen Schülern der Kreuzgasse passiert?“ – Das ist die zentrale Frage, mit der Silke David, Geschichtslehrerin am Gymnasium Kreuzgasse, ihre Recherche anfing und das Erinnerungskonzept der Schule initiierte. Seit über zehn Jahren erforscht sie mit Schülerinnen und Schülern Originaldokumente des Gymnasiums aus den Archiven des NS-Dokumentationszentrums.
Ihr Ziel: Die Erinnerung an die jüdischen Kreuzgässer des ehemaligen Jungengymnasiums wach zu halten. Dafür organisieren sie zahlreiche Projekte: von Stolpersteinverlegungen bis zu einem Austausch mit Israel. Nun bekommt das Gymnasium für seine ehrenamtliche Arbeit, das Erinnerungskonzept, den Ehrenamtspreis der Stadt Köln verliehen.
Das Konzept baue auf fünf Hauptsäulen auf, sagt Silke David: Austausch mit den Niederlanden (Rotterdam), Austausch mit Polen (Kattowitz) und der dortigen Gedenkstätte Auschwitz, die Stolpersteinverlegungen, jährliche Teilnahme am Gedenktag im Januar und die Vorstellung von verschiedenen Schicksalen, sowie der Bezug zum Konzept im Unterricht während der Projekttage.
Gymnasium Kreuzgasse: Im Unterricht forschen
Seit sieben Jahren bindet David die Aufarbeitung der jüdischen Vergangenheit in den Unterricht der neunten Klassen am Gymnasium ein. „An Projekttagen haben die Schülerinnen und Schüler drei bis vier Stunden Zeit, die Texte ohne jeglichen Druck zu lesen“, berichtet sie. Danach werden die Informationen aus Originaldokumenten in gewünschter Form wiedergegeben und besprochen.
Die Hauptarbeit geschieht jedoch in der Schulgeschichts-AG „Erko“. Das Resultat der Unterrichtsarbeit sind Biografien der Opfer, die in Projekten der „Erko“ genutzt werden. Dazu gehört die jährliche Stolpersteinverlegung vor dem Gymnasium. „Wir legen für jemanden nur Steine, von dem wir wissen, dass er ein Konzentrationslager überlebt hat, umgekommen oder in den Suizid getrieben worden ist“, erklärt Silke David.
Q1-Schülerin Louisa Ortmanns fügt hinzu: „Wir konnten im November 2022 auch in der Synagoge in der Roonstraße während einer Gedenkabendveranstaltung zu der Reichspogromnacht zwei ehemalige Kreuzgässer vorstellen. Im Frühjahr letzten Jahres haben wir bei dem Verein jüdisches Leben an einer Onlinepräsentation teilgenommen, wo wir über unser Konzept berichtet haben.“
Über internationale Grenzen hinweg
Jedoch das letzte Teilprojekt der Schülerinnen und Schüler begeisterte sie selbst am meisten: Gemeinsam mit der Organisation „Begegnung2005“ stellten sie Kontakt zu einer Schule aus Israel her. Das Resultat der Zusammenarbeit konnte im Januar 2023 beobachtet werden: Ein großes Gedenkkonzert in der Synagoge an der Roonstraße und in der Aula des Gymnasiums an zwei Tagen.
Neben musikalischer Begleitung der Israelis stellten die Schülerinnen und Schüler der Kreuzgasse die ausgearbeiteten Schicksale mehrerer Kreuzgässer vor. Highlight eines Abends sei das Engagement eines israelischen Austauschschülers gewesen, der sich anderthalb Stunden vor Konzertbeginn spontan bereit erklärt habe, die Vorlesung einer deutschen Schülerin mit Klavier zu begleiten und selbst ein paar Zeilen auf Deutsch vorzulesen, erzählt Ortmanns fasziniert.
Zuletzt war die Gruppe um Geschichtslehrerin David selbst in Israel, um die Kultur Israels und die jüdische Geschichte aus erster Hand kennenzulernen. „Die Gemeinschaft in den Gruppen untereinander, die jungen Israelis und Deutschen, hat emotional sehr gepasst. Das konnte man sehen, was wirklich schön war“, sagt die stellvertretende Direktorin Dr. Daniela Khatib. Auch Q1-Schülerin Marissa Al-Wahabi ist von der Gruppendynamik beim Austausch begeistert gewesen: „Das war bei weitem die beste Gruppenkonstellation, die wir miterlebt haben.“
Noch lange nicht das Ende
Noch ist die Arbeit des „Erko“ lange nicht zu Ende: Im neuen Schuljahr steht eine neue Stolpersteinverlegung zu den Opfern des Konzentrationslagers in Minsk an. Die Schülerinnen und Schüler sind bereit für ihre ehrenamtliche Mitarbeit: Sie bekommen keine Noten oder jeglichen Begünstigungen für ihre Recherche. „Es ist hier besonders abwechslungsreich: die Arbeitsweisen, die Inhalte. Vor allem wird einem etwas zugetraut“, erklärt Louisa Ortmanns.
Sie machen es nicht nur für sich, sondern für die Schulgemeinschaft, in die sie die Toten wieder einbringen wollen, erklären Khatib und David. Sie haben einen Weg gefunden, konstruktiv mit der Vergangenheit umzugehen und diese der nächsten Generation so beizubringen. „Das zeigt die Kraft, Wirkung und Nachhaltigkeit von persönlichem Engagement, das die ganze Schülerschaft mit dem Konzept und den Projekten zeigt“, sagt Daniela Khatib.