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Angie Hiesl und Roland KaiserPerformance und Poesie im früheren Schuhhaus

Lesezeit 4 Minuten
Angie Hiesl und Roland Kaiser

Angie Hiesl und Roland Kaiser (links) wurde unterstützt von Kolumba-Direktor Stefan Kraus.

In der früheren Görtz-Filiale am Neumarkt ist eine Ausstellung der Künstler zu sehen.

Autofahrer hupen, Jugendliche flitzen auf E-Scootern vorbei, Passanten eilen mit Einkaufstaschen zu Karstadt und dem Olivandenhof. Stefan Kraus, Direktor des Kolumba Museums, hatte sich mit der Ecke Zeppelinstraße/Am Alten Posthof den atmosphärisch passenden Auftakt für seine Dialogführung durch die intermediale Ausstellung „Ausser-Ordentlich“ im leer stehenden Ladenlokal (früher Schuhhaus Görtz) mit Angie Hiesl und Roland Kaiser ausgesucht. Hier mitten im urbanen Treiben zeigte er den Teilnehmenden ein großformatiges Foto im Schaufenster der ehemaligen Filiale aus dem Jahre 1986: Angie Hiesl hängt als Lampe in einem muffig-spießigen Wohnzimmer: „Zwölf Minuten lang. Das wäre heute schon aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich“, erzählte Hiesl und lachte.

Auf Stühlen sitzen - ein Projekt für 27 Jahre

In der riesigen Filiale mit leeren Regalen und restlichen Labels führte das Trio unter anderem zu einer Bilderinstallation der bekannten Aktion „x-mal Mensch Stuhl“, die das Konzentrieren der Künstler auf das urbane Leben mit all seinen atmosphärischen Facetten besonders stark verdeutlicht: Eine Frau rupft ein Huhn, eine andere schneidet Gemüse, eine weitere raucht eine Zigarette, ein Mann liest eine Zeitung, ein anderer rasiert sich. Alle sind zwischen 60 und 90 Jahre alt – und sitzen eine Stunde lang auf an Hausfassaden montierten weißen Stahlstühlen, vier bis sieben Meter hoch über den Köpfen eilender Passanten in stark frequentierten urbanen Räumen.

27 Jahre lang haben Angie Hiesl und Roland Kaiser ihre bekannte Performance in 38 Städten in 17 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas aufgeführt. Darunter Barcelona, Bogota, Montreal und Rio. Die erste fand 1995 in Köln statt, die letzte 2022 in Göteborg. Die Verrückung des Alltäglichen vom privaten in den öffentlichen Raum ermöglicht den Blick auf gelebte Zeit. Die in den Körper eingeschriebene Geschichte des einzelnen Menschen steht im Dialog mit dem Charakter der jeweiligen Fassade.

Ein 24-minütiges Video dokumentiert eine Performance von 1986 in der Maschinenhalle des Stollwerck. Eine absurde Zusammensetzung von Eindrücken und Bruchstücken aus dem Alltag bis hin zu fiktiven Begebenheiten und Ersponnenem. „Wir hatten alle Freiheiten, die Maschinenhalle mit ihren Wandmalereien und Graffiti zu einer großen Installations- und Aktionsfläche umzugestalten. Das Publikum saß im Wasser“, erzählte Hiesl.

Angie Hiesl Produktion
Performance ohne Titel
Kölnischer Kunstverein 1986

Zwölf Minuten lang baumelte Angie Hiesl 1986 von der Decke eines Wohnzimmers.

Wasser spielte auch bei vielen anderen Projekten des Duos eine bedeutende Rolle. Ein WDR-Bericht informiert über „Kachelhaut 4“, eine im Rahmen der Architekturausstellung plan 2000 speziell für die Fußgängerunterführung U-Bahnstation Köln-Appellhofplatz entwickelte Rauminstallation und Theater/Tanz-Performance. Hier setzten Hiesl und Kaiser dem Eindruck von Leere und Härte das Organische der Wasserzonen und die Präsenz dreier Menschen entgegen. In körperlicher, visueller und rhythmischer Auseinandersetzung schaffen sie eine Parallelwelt zu den täglichen Abläufen der Passant:innen und Zuschauer:innen. Spiegelungen auf der Wasserfläche und diffuse Reflexionen auf gekachelten Flächen wandeln die Sicht auf die gewohnte Architektur. Auch das Installations- und Performance-Projekt Aquamarin im Rheinauhafen im Rahmen des Festivals Sommer Köln 2015 Aquamarin schafft urbane Assoziationsräume, die auf bizarr-poetische Weise in den Rhythmus des alltäglichen Lebens eingreifen. „Im urbanen Alltag begegnen wir in den klimatisch und wirtschaftlich begünstigten Ländern dem Element Wasser ganz selbstverständlich.

Die existenzielle Bedeutung, die Wildheit und die Kraft dieses Naturelements werden uns nur in seltenen Ausnahmefällen wirklich bewusst“, so die Künstler. Führung und Ort der Ausstellung fanden bei den Teilnehmenden großen Zuspruch. „Einfach toll, wie Hiesl und Kaiser diese leere große Filiale beleben. Einen besseren Ort als dieses verlassene Schuhhaus mit all seiner Transparenz mitten in der City hätten die beiden nicht finden können“, meinte Anna Tiedt, stellvertretend für viele. Die Görtz-Filiale in der Zeppelinstraße wurde 2023 geschlossen. Das 1875 gegründete Traditionsunternehmen aus Hamburg war 2022 zum Sanierungsfall geworden. Die hohe Inflation drückte auf die Konsumentenstimmung. Hinzu kamen Schulden und operative Altlasten. „Wir mussten über ein Jahr auf die Genehmigung für unsere Ausstellung in der leeren Filiale warten“, klagte Hiesl. „Was wünschen Sie Köln für die Zukunft?“, wollte Kraus zum Abschluss der Führung wissen. Da mussten Hiesl und Kaiser nicht lange zögern: „Weniger Bürokratie.“