Ein neuer Band in der 13-teiligen Reihe zur Kölner Stadtgeschichte beleuchtet die Zeit der Weimarer Republik 1918-1933 in Köln. Autor Christoph Nonn zieht Parallelen zur heutigen Entwicklung.
Stadtgeschichte in Köln„Die Parallelen zu Weimar sind eindeutig“
„Die Demokratisierung fing dort an, wo das Leben zu Ende ist: bei den Toten.“ Es sind knackige Sätze wie dieser, mit denen Historiker Christoph Nonn (59) seine Leser packt. „Köln in der Weimarer Republik“ (Greven Verlag, 506 Seiten, 60 Euro) lautet der Titel des neuen Bandes zur Kölner Stadtgeschichte, den ausgerechnet ein Professor der Uni Düsseldorf verfasst hat. Es ist alles andere als eine trockene Lektüre, denn Nonn gelingt es, die aufregenden Zeiten, die Köln zwischen 1918 und 1933 erlebte, ebenso spannend wie leicht verständlich zu schildern.
Am Anfang steht die Auflösung der alten Gesellschaftsordnung der Kaiserzeit nach Ende des ersten Weltkriegs. Nicht nur wurde das preußische Dreiklassen-Wahlrecht abgeschafft, und Frauen erhielten erstmals das Wahlrecht. Es endete auch die Dreiklassengesellschaft bei Beerdigungen. Bis dato hatten reiche Kölner ihre Verstorbenen in pompösen Trauerzügen von zahlreichen Geistlichen auf den Friedhof geleiten lassen, während Arbeiter, die sich nur ein Armenbegräbnis dritter Klasse leisten konnten, nicht einmal an der Bestattung teilnehmen durften – heute unvorstellbar.
Das neue Wahlrecht führte zu einer veränderten Zusammensetzung des Stadtrats, in den 1919 erstmals die SPD einzog – mit 37,6 Prozent als zweitstärkste Kraft hinter dem katholischen Zentrum. Während die Liberalen Sitze verloren, gewannen radikale Kräfte wie die KPD und 1924 auch die NSDAP dazu. Die Konflikte im Stadtrat verstärkten sich, einmal flog sogar ein Glas durch den Saal, was Oberbürgermeister Konrad Adenauer dazu veranlasste, fortan Wasser in Pappbechern servieren zu lassen.
Neuer Blick auf das Köln der Weimarer Zeit
Trotzdem, so Nonn, hätten es die verschiedenen Lager im Rat immer wieder geschafft, Kompromisse zu finden. Hier erwies sich Adenauer als geschickter Vermittler. Dass er später oft als derjenige gesehen wurde, der Köln praktisch im Alleingang den Grüngürtel, die Messe und die Mülheimer Brücke beschert habe, greife jedoch zu kurz und entspreche weniger der Realität als einem Narrativ, das Adenauer selbst „entwarf und entwerfen ließ“, betont Nonn. Überhaupt ist es ihm ein besonderes Anliegen, mit überlieferten Vorurteilen aufzuräumen.
Die oft gehörte These, die Weimarer Republik sei ein von vorneherein zum Scheitern verurteiltes demokratisches Experiment gewesen, lässt Nonn nicht gelten. Spätestens nach dem gescheiterten Kapp-Putsch 1920 habe sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im Reich wie auch in Köln mit der neuen Ordnung arrangiert. „Von einer Republik ohne Republikaner, einer Demokratie ohne Demokraten kann keine Rede sein.“
Auch die Schrecken der Inflation, als ein Kilo Brot im November 1923 in Köln gut eine Billion Mark kostete und Tausende ihre Ersparnisse verloren, beleuchtet Nonn neu. Sein Fazit: „Tatsächlich hat die Inflation nachweislich die Masse der Industriearbeiter nicht ins Elend gestürzt.“ Wer wenig oder gar nichts Erspartes hatte, habe wenig zu verlieren gehabt – und das sei die große Mehrheit gewesen. Die allermeisten Quellen über traumatische Verluste in der Inflationszeit stammten nicht von „kleinen Leuten“, sondern aus dem gehobenen Bürgertum.
Charakteristisch für die Weimarer Zeit war die rasante technische Entwicklung. Der Straßenverkehr wuchs beständig, und nach Abzug der britischen Besatzungstruppen wurde im Mai 1926 der Flughafen Butzweilerhof eröffnet – ausgerechnet am Himmelfahrtstag. Zahlungskräftige Kölner konnten nun viele Ziele im In- und Ausland per Flugzeug ansteuern. Bis 1932 wurden weit über 100.000 Fluggäste gezählt. Köln war zu dieser Zeit laut Nonn „der am drittstärksten frequentierte Flughafen im Deutschen Reich, nach Berlin und München“, das „Luftkreuz des Westens“. Dass der Flughafen Frankfurt ab 1935 Köln den Rang ablief, hing, so Nonn, „vor allem damit zusammen, dass eine eigentlich geplante Erweiterung des Flughafengeländes wegen der Wirtschaftskrise, die seit 1929 die städtischen Finanzen empfindlich schrumpfen ließ jahrelang aufgeschoben wurde“.
Historiker sieht Parallelen zwischen Weimarer Republik und heute
Ab 1924 wuchs die Wirtschaft, die Kölner genossen bald wieder Karneval und Kultur, die Besucherzahlen der Kinos und Bühnen stiegen steil an. Doch mit der Weltwirtschaftskrise 1929 wurden die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft enttäuscht. Das stärkte die radikalen Kräfte und führte schließlich in die NS-Diktatur.
Der Stadtrat habe seine Fähigkeit zu Kompromiss und Kooperation verloren, die schweigende Mehrheit sei passiv geblieben und habe dem Treiben der Extremisten nur zugeschaut, betont Nonn. Die Weimarer Zeit sei heute wieder hochaktuell, denn damals wie heute wachse die Zustimmung zu extremen Parteien und diese würden den Wählern das Blaue vom Himmel versprechen. Nonn warnt: „Für nichts gibt es eine Ewigkeitsgarantie, die Parallelen zu Weimar sind eindeutig.“
Mit dem nun vorgelegten elften Band der Reihe Kölner Stadtgeschichte sind inzwischen zwölf von insgesamt 13 Bänden erschienen. Das Buch von Christoph Nonn wartet mit detaillierten Einblicken in viele Bereiche des Lebens in Köln in den Schicksalsjahren der Weimarer Republik auf. Für seine Recherchen hat Nonn Nachlässe und andere persönliche Quellen ausgewertet und dabei neue Erkenntnisse gewonnen. Der Band besticht aber auch durch zahlreiche bisher unveröffentlichte Fotografien, die einen neuen Blick auf die Stadt Köln vor rund 100 Jahren erlauben.