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Interview

Chefredakteur des Domradios
„Kirchliche Kommunikation braucht keinen Propagandasender, sondern Glaubwürdigkeit“

Lesezeit 7 Minuten
Die Arbeit fürs Domradio war seine große Leidenschaft: Ingo Brüggenjürgen

Die Arbeit fürs Domradio war seine große Leidenschaft: Ingo Brüggenjürgen

Ingo Brüggenjürgen geht als Chefredakteur des Domradios in den Ruhestand – Mit einer Faust in der Tasche. Wir haben mit ihm gesprochen.

Die Nachricht kam überraschend – und wirkte dennoch konsequent. Weil Kardinal Woelki den Multimediasender Domradio umstrukturiert, geht der Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen (62) zum 1. September in den vorzeitigen Ruhestand. Ein Abschiedsgespräch.

Lassen Sie es uns gleich zu Beginn ansprechen: Sie möchten sich öffentlich weder zu Ihrem überraschenden Dienstschluss als Chefredakteur des Multimediasenders Domradio äußern, noch explizit zu der aktuellen Lage in Erzbistum Köln. Warum?

Ich arbeite nun seit über 35 Jahren beim Erzbistum Köln – als kritischer Journalist, aber eben auch als loyaler Mitarbeiter. Das soll auch auf den letzten Metern so bleiben. Zur Situation im Erzbistum Köln habe ich in den vergangenen Jahren vermutlich mehr gesagt und geschrieben, als jede und jeder andere, und zu meinem Eintritt in den Ruhestand hat das Erzbistum eigens eine vielsagende Pressemitteilung veröffentlicht. Von meinen Eltern habe ich zudem gelernt, dass man am Ende Danke sagt, wenn es gut war. Und das waren wirklich richtig gute Jahre im Weinberg des Herrn – hinten Mitte links. Klar mit Licht und auch Schatten, aber ich gehe sehr dankbar von Bord.

Ingo Brüggenjürgen, scheidender Chefredakteur beim Domradio

Ingo Brüggenjürgen, scheidender Chefredakteur beim Domradio

In über 25 Jahren haben Sie das Domradio von einem Radiosender, der eigentlich nur ein 14-tägiges Festprogramm zum 750. Jahrestag der Grundsteinlegung des Doms senden sollte, zu einem Multimediaangebot mit ausgebaut, das im katholischen Lebensbereich Deutschland seinesgleichen sucht. Haben sie in den Anfängen nur annähernd an eine solche Entwicklung gedacht?

Als Marathonläufer weiß ich, wie wichtig ein Ziel vor Augen ist. Ich erinnere mich noch an unsere erste Pressekonferenz. Als ich dort als Newcomer gesagt habe, wir werden später auch Gottesdienste im Fernsehen übertragen, haben nicht nur die WDR-Kollegen laut gelacht. Heute übertragen wir pro Jahr über 500 Gottesdienste in Bild und Ton und die öffentlich-rechtlichen Medien sind dankbar, wenn Sie von uns das Signal bekommen. Dankbar sind vor allem aber unsere Zuschauer und natürlich unsere kirchliche Chefetage. Und ich bin sehr dankbar, dass der damalige Kardinal Meisner uns einfach hat machen lassen. Vertrauen ist die Basis einer jeden guten Zusammenarbeit!

Sie werden in diesen vielen Jahren sicherlich Gänsehautmomente erlebt haben, aber auch Nachrichtenlagen, auf die sie gerne verzichtet hätten. Was waren die Höhen und Tiefen?

Unzählige wunderbare Höhepunkte: Vom Altbundeskanzler Kohl, der uns als einzigem Sender die Audioübertragungsrechte für die Beerdigung seiner Frau genehmigt hatte, bis zum Papst, der in ein rotes Domradio-Mirko sprach. Mein persönliches Highlight waren die Abende beim Weltjugendtag 2005. Wir hatten ein riesiges Mosaikbild des damals gerade verstorbenen Papstes Johannes-Paul II. an unserem Sender gegenüber dem Dom aufgehängt. Mit weit über 200 000 Einzelporträts aus aller Welt. Diese virale Idee funktionierte dann auch real so gut, dass tausende Jugendliche – meist Polen – vor unserem Megaposter Abend für Abend gebetet und gesungen haben – da bekomme ich noch heute Gänsepocken.

Wie hat sich in diesen Jahren die journalistische Arbeit aus katholischer Sicht verändert?

Durch die Megakrise des kirchlichen Missbrauchs, die leider durch unsere schleppende, unabgestimmte Aufarbeitung nicht nur in Deutschland zu einem traurigen Endlosdrama geworden ist, und durch den damit einhergehenden Vertrauensverlust gilt gerade für die katholische Medienarbeit das Wort Jesu: „Euch aber muss es immer und überall zuerst um das Reich Gottes und die Gerechtigkeit gehen!“. Gerechtigkeit gibt es nicht ohne Wahrheit – auch wenn die manchmal schmerzlich ist. Es hilft doch der Kirche wenig, wenn die katholischen Medienmacher hier oder bei anderen kirchlichen Defiziten wegschauen und nur Heils-und Heldenlieder singen. Kirchliche Kommunikation braucht keinen Propagandasender, sondern Glaubwürdigkeit. Kritische Journalisten, die sagen, was Sache ist. Die umfassend und möglichst objektiv berichten und die die Fragen stellen, die gestellt werden müssen. Wenn dann noch einordnende Kommentare dazu kommen, wird die Sache wie beim Domradio rund.

Wie frei kann Berichterstattung im Dienste eines Bistums überhaupt sein?

Zur freien, offenen, ehrlichen und uneingeschränkten Berichterstattung gibt es überhaupt keine Alternative. Christus hat uns zur Freiheit berufen – also bitte!

Sieht das auch Kardinal Woelki so?

Der kennt die Bibel besser als ich.

Der katholischen Kirche in Deutschland laufen die Mitglieder davon. Das kann an ein „Sendungsangebot“ wie das des Domradios hohe Erwartungen schüren. Was kann das Domradio dazu beitragen, diesen Austrittstrend zumindest zu schwächen?

Für jeden Christen gilt der Auftrag: „Geht hinaus in alle Welt und verkündet allen die Frohe Botschaft!“ Wir haben die gut begründete Hoffnung, dass unsere Botschaft die Menschen „heil“ und von Herzen froh macht. Wenn der Durchschnittsbürger heute täglich mehr als zehn Stunden Medien konsumiert, heißen die heutigen Herausforderungen: Handy, Internet und Social Media. Wir vom Domradio sind daher echte multimediale Kanalarbeiter – die bemüht sind, diese froh machende Botschaft möglichst in allen Kanälen zu verbreiten. Ob ausgetreten oder nicht – die Frohe Botschaft gilt allen Menschen!

Die katholische Kirche ist in einer echten Zerreißprobe. Vereinfacht gesagt: Beharrende, konservative Kräfte auf der einen, Reformer und liberale Kräfte auf der anderen Seite. Haben Sie diesen Konflikt als Chefredakteur des Domradios zu spüren bekommen?

Klar kenne ich diese Zerrissenheit – wir sehen sie doch überall in Kirche und Gesellschaft. Für Meisner war ich jung und konservativ – bei Woelki bin ich vermutlich ein alter linker 68er. Diese Schablonen und Schubladen helfen uns also nicht weiter. Angst, gerade auch bei hohen Kirchenmännern, erst recht nicht. Der Dom steht mitten in Köln – und wir sollten die Kirche ruhig mitten im Dorf lassen. Christen müssen mitten im Leben stehen. Da haben wir echten Nachholbedarf. Unsere Kirche ist doch eigentlich eine Kirche des Exodus – des Aufbruchs, des stetigen Neuanfangs! Nach allem, was wir von Jesus wissen, war er ein Wanderprediger. Sitzenbleiber auf hochehrwürdigen Bischofsstühlen oder gar Heilige Stühle waren ihm nach Lage der Dinge völlig fremd. Also los jetzt – worauf warten wir denn?

Sie im Ruhestand? Schwer vorstellbar: sportlich vital und voller Feuereifer für die Frohe Botschaft. Wohin nun mit Vitalität und Feuereifer?

Gott sei Dank – noch geht es und ich würde gerne in Bewegung bleiben. Immer wieder aufstehen, immer wieder sagen, es geht doch. Hier am Dom habe ich gelernt, dass das wunderbar funktioniert, wenn zu der ostwestfälischen Beharrlichkeit – von mir aus auch Dickköpfigkeit (lacht) – noch der rheinische Frohsinn kommt. Aber es ging am Ende sehr schnell und ich habe noch keinen Plan B. Erstmal laufe ich hier noch eine möglichst gute Schlussrunde fürs Domradio am geliebten Dom.

Sie sind auch bekannt für Ihre Radtouren, die sie in diesem Jahr nicht zum ersten Mal zu Klöstern in Deutschland geführt hat. Was gibt ihnen diese kleine Flucht aus dem umtriebigen Kölner Alltag? Wie wichtig ist für sie Spiritualität?

Ich habe zwölf Klöster in zwölf Tagen angeradelt. Am Kölner Dom ging's los – Ziel war das höchste Kloster Marienberg, hoch oben in den Alpen. Ich bin in Klöstern und Bergkapellen dem Himmel immer ein wenig näher. Das regelmäßige Gebet – bei mir geht das auch mal im Sekundentakt – oder ein wunderbares Kirchenlied auf dem Fahrrad in Gottes schöner Schöpfung – das ist für mich legales Doping.

Der Liebe Gott macht Ihnen zum Ruhestand ein großes Geschenk: Sie dürfen Kirche gestalten – so, wie Sie sie sich vorstellen und wünschen …

Kirche ist für mich immer das Volk Gottes – was dem Licht der Welt entgegengeht. Also – stellen Sie sich gerne ein Gipfelkreuz vor – hoch oben in den Bergen. Eine frohgemute Wanderschar – die singend und lachend unterwegs ist – keinen auf der Strecke zurücklässt. Die nicht auf ausgetrampelten Heerwegen marschiert – sondern sich mühsam und stetig nach oben arbeitet. Dorthin, wo die offenen Arme Gottes schon auf uns warten. Da wäre ich gerne mittendrin – als Ermutiger und als nach vorne und hinten rasender Reporter – der für die ganze fröhliche Pilgerschar den „guten Draht nach oben“ garantiert.