Köln – Auf der Komödienstraße überkommt es Alexander Dieper, den Zugleiter. Gemeinsam mit Holger Kirsch verlässt er seinen Prunkwagen, im nächsten Augenblick tanzen beide Arm in Arm über den Asphalt, die Jecken am Straßenrand applaudieren. Dieper hat Tränen in den Augen. „Die Wehmut ist groß“, sagt er sichtlich gerührt. Aschermittwoch wird er sein Amt an Holger Kirsch (44) übergeben. „Am meisten reizt mich die Kreativität , die mit dieser Aufgabe verbunden ist“, meint Kirsch. Dann klettern beide zurück auf den Wagen.
Vier Jahre sind vergangen, seitdem Kirsch auf dem letzten Wagen des Rosenmontagszugs strahlend durch die Stadt fuhr. In der Session 2015 war er der Prinz mit der Mundharmonika, seine Flittarder KG hatte das Dreigestirn damals zur Herzenssache für das gesamte rechtsrheinische Stadtgebiet erklärt. Im kommenden Jahr wird er als Zugleiter auf dem ersten Wagen die kölsche Narrenparade anführen und einen der wichtigsten Posten im Karneval bekleiden. Kirsch, das Multitalent, Vater von drei Töchtern, erfolgreicher Architekt, Vizepräsident des FC Viktoria Köln, der im Sommer in die Dritte Fußball-Bundesliga aufsteigen dürfte. Und er ist Vorstandsmitglied im Festkomitee.
Heiße Phase des Wagenbaus erlebt
Kirsch ahnt, was auf ihn zukommen wird. Für sein Architekturbüro hat er einen neuen Mitarbeiter eingestellt, damit er selbst genug Freiheiten hat. Einen halben Tag pro Woche will er künftig an seinem Arbeitsplatz im Festkomitee verbringen. „Wenn ich irgendwo Verantwortung übernehme, nehme ich die auch wahr“, sagt er.
Bereits vergangenen Herbst zeichnete sich ab, dass Holger Kirsch der neue Zugleiter werden würde, damals wurde er stillschweigend ins Team der Zugleitung aufgenommen, um Erfahrungen zu sammeln und die Mannschaft von vier hauptamtlichen Beschäftigten und fünf Ehrenamtlern kennen zu lernen. Und er erlebte die heiße Phase des Wagenbaus. „Es ist überragend, was im Kreis der Kreativ-Teams zustande kommt, da gibt es nur wenig Eitelkeiten“, lobt Kirsch, der das Festkomitee nebenbei auch noch im Bund Deutscher Karneval (BDK) vertritt. Da verbringt er schon mal ein Wochenende in Konferenzräumen
Argwohn über die Dauerpräsenz des Prinzen
Für fast alle Tollitäten ist Aschermittwoch alles vorbei, bei Kirsch war das damals anders. Sein Dreigestirn hatte Spenden gesammelt und den Verein „Laachende Hätze“ gegründet, der bis heute ordentliche Summen für benachteiligte Kinder zusammenbringt. Manche Karnevalisten hatten die damit verbundene Dauerpräsenz des eloquenten Karnevalisten mit Argwohn betrachtet, hinzu kam, dass er Lesungen hielt und von seiner Zeit im Dreigestirn erzählte. Denn all seine Erlebnisse hatte seine Frau in dem Buch „Einmal Prinz und zurück“ zusammengefasst.
Im Karneval hat Kirsch eine Blitzkarriere hingelegt. Erst 2013 war er Mitglied der Flittarder KG geworden, zwei Jahre später war er Prinz, nun ist er Zugleiter. Als Kind spielte er bei Viktoria Köln Fußball. „Wir brauchen noch einen, der schwaade kann“, habe es irgendwann geheißen, daraufhin sei er Vorstandsmitglied in seinem Club geworden. Nun leitet er ein karnevalistisches Großereignis: eine Million Besucher, 12 000 Teilnehmer, sieben Kilometer Zugstrecke, Kosten: mehr als eine Million Euro.
Motto für die nächste Session: Et Hätz schleiht em Veedel
Dort wächst der Nachwuchs auf, dort hat der Karneval eine wichtige soziale Komponente, und dort ist er noch ganz urwüchsig. Wo? Im Veedel. Das neue Motto für die kommende Session geht zurück an die Quelle des Fasteleer: „Et Hätz schleiht em Veedel.“ Bekanntgegeben wurde es nunmehr zum dritten Mal mit dem letzten Wagen im Rosenmontagszug. Am Severinskirchplatz enthüllte der neue Zugleiter Holger Kirsch den Schriftzug.
Für den Präsidenten des Festkomitees, Christoph Kuckelkorn, ist das Veedel nicht weniger als die „Keimzelle“ des Karnevals. „Dort wird das Brauchtum ganz unmittelbar gelebt und völlig selbstverständlich auch an die nächste Generation weitergegeben“, sagt er. „Dafür sagen wir mit dem Motto ausdrücklich danke.“
Mögen Prinzenproklamation, Weiberfastnacht und Rosenmontagszug die Höhepunkte der fünften Jahreszeit sein, ihnen wäre die Basis entzogen, gebe es nicht die Karnevalsfeiern in den Kindergärten und die Pfarrsitzungen. Nicht zu vergessen, die 50 Zöch in Kölns 86 Veedeln und das Schunkeln in der Kneipe op d’r Eck. (ngo)
Nicht nur Holger Kirsch ist im Karneval aktiv, seine älteste Tochter war voriges Jahr Jungfrau im Kinderdreigestirn und gehört einer Kindertanzgruppe an. „Wir alle lieben den Karneval“, sagt Kirsch. Nun ist er Zugleiter. „So etwas kann man nur als Familie entscheiden“, sagt er.