Köln – Zum Geburtstag im Juni hatte Liam (11) seinem Vater einen gehörigen Schrecken eingejagt. Ungewollt zwar, aber nicht minder wirkungsvoll. Eine Karte hatte er für ihn gestaltet, das Kölner Dreigestirn war darauf zu sehen. Den Kopf des Prinzen hatte er mit einem Foto seines Vaters überklebt. „Das wolltest du doch immer werden“, hatte er unbedarft erklärt. Dass sein Vater exakt zehn Tage zuvor die Nachricht erhalten hatte, wirklich der Prinz im neuen Dreigestirn zu werden, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. „Ich dachte schon, ich hätte mich verplappert“, sagt Stefan Jung (46) belustigt.
Studenten müssen Klausuren vorziehen
Eins zu 95 Millionen. So in etwa sei die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass ausgerechnet er das Ornat des Prinzen tragen darf. „Die Chance, dass ich den Eurojackpot gewinne, war größer“, sagt Jung und wirkt fast ein wenig ungläubig. Erst vor zwei Jahren hatte ihn sein Kumpel Andreas Bulich überredet, mal einen Senatsabend bei der Kölner Narren-Zunft zu besuchen. „Ich habe immer gesagt: Bleibt mir weg mit dem organisierten Karneval“, erzählt er. Doch dann ging er mit. Und er mochte die Menschen, die Atmosphäre, den Verein. Nun ist er designierter Prinz im Kölner Dreigestirn.
Wie im „Märchen“, fühle er sich, „Kalkül“ sei diese karnevalistische Blitzkarriere nie gewesen. „Völlig geplättet“ sei er gewesen, als Thomas Brauckmann, Präsident der Narren-Zunft und selbst ehemaliger Prinz, ihn gefragt habe, ob er sich das höchste repräsentative Amt im Karneval zutrauen würde. Immerhin habe er erst eine Session „mit Mütze“ mitgemacht. Als er seiner Lebensgefährtin dann Aschermittwoch eröffnete, „mal reden“ zu müssen, habe sie sofort gesagt: „Du wirst doch nicht Prinz, oder?“
Nun ist er es, heute wird er sich mit seinen Kollegen der Narren-Zunft auf dem Heumarkt erstmals öffentlich präsentieren. Im Zuge ihres Castings mussten sie Reden schreiben und ein kleines Bühnenprogramm ausarbeiten. „Ich denke, wir sind ganz gut aufgestellt“, sagt der Vater von zwei Kindern. Nach der Trennung von seiner Frau, war seine Tochter Laura (18) bei ihm aufgewachsen, der Sohn bei der Mutter. Nun lebt er mit seiner neuen Lebensgefährtin Dr. Martina Mahne in Sülz, Laura ist kürzlich in ihre erste eigene Wohnung gezogen. „Es hat sogar schon ein bisschen gebrannt, weil ich den Topf mit Tofu auf dem Herd vergessen hatte“, sagt sie.
Mit Steuer- und Finanzwissenschaften kennt sich Stefan Jung bestens aus. Seit 2003 ist er Hochschullehrer an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Um nach der Proklamation im Januar ungestört durch die Säle ziehen zu können, wird er in Abstimmung mit seinen Studierenden die Klausuren vorziehen. „Vor dem Einzug in die Hofburg muss ich 200 Klausuren und zwölf Masterarbeiten korrigieren“, sagt er.
Kölsche Jung
Einst saß auch Bauer Andreas Bulich als nervöser Student vor Stefan Jung. Denn Jung war der Erstprüfer des Bauern, der seine Abschlussarbeit über Firmen in der Krise geschrieben hatte. „Nach dem Semester waren wir mal ein Kölsch trinken, Andreas hat mich schon damals überreden wollen, Mitglied bei der Narren-Zunft zu werden“, erinnert sich Jung. Doch Jung, dem Straßenkarnevalisten, der gerne Züge schaute und in der Kneipe feierte, war das alles zu konservativ und steif.
Geboren wurde Stefan Jung in Remscheid, als 1991 plötzlich der Golfkrieg begann, brach er seinen Wehrdienst ab und wechselte zum Zivildienst. „Das hätte ich gleich machen sollen“, sagt er heute.
Nun lebt er schon seit fünf Jahren wieder in Köln. Und vielleicht spielen die Karnevalskapellen beim Anblick des Prinzen ja in dieser Session mal nicht „Einmol Prinz zo sin“, sondern ein Lied nur für Herrn Jung: den kölsche Jung.
Das ist Bauer Andreas
Zwölf Jahre war Andreas Bulich alt, als er endlich mit den Füßen an Gaspedal und Bremse reichte. Als Qualifizierung reichte dies vollkommen, um den Traktor über den Acker seiner Eltern zu steuern. „Geholfen habe ich immer gerne, aber passionierter Landwirt war ich nie“, sagt er. Nun ist er 39 Jahre alt und designierter Bauer. Im Kölner Dreigestirn. Rein formal hat es vermutlich noch nie einen passenderen Kandidaten für dieses Amt gegeben – auch wenn er sich zu Hause vom Acker gemacht hat.
Als die Musikgruppe „Flamingos“ Ende der 1980er Jahre in einem Kaufhaus in Bonn auftrat und den Hit „Op dem Maat“ trällerte, stand zufällig auch Andreas Bulich mit seiner Mutter unter den Zuhörern. „Ich habe das Album sofort gekauft, es war sozusagen die Familienhymne“, erinnert er sich. Wenn der Sitzungskarneval Anfang Januar losgeht, wird er den Refrain etwa 400 Mal hören – so viele Auftritte wird das Dreigestirn bis Aschermittwoch absolvieren.
Karriere bei der Sparkasse
Wenn er früher in Poesiealben schreiben sollte, hatte er als Berufswunsch stets Bankdirektor eingetragen. Und er hat nach dem Abitur viel dafür getan, den Traum zu realisieren. Nach der Ausbildung zum Bankkaufmann hat Bulich schnell Karriere bei der Sparkasse Köln-Bonn gemacht, schon nach sechs Jahren war er Vertriebsdirektor und hat auch sonst personelle Weichen gestellt. Denn seine Frau Heike lernte er bei der Sparkasse kennen – von Fenster zu Fenster konnten sie sich damals bei der Arbeit zusehen. Inzwischen sind sie seit sieben Jahren verheiratet, mit Sohn Christopher (5) leben sie in Holweide. Beruflich hat Bulich das Fach gewechselt und leitet eine Versicherungsagentur.
Im Dreigestirn verfügt der designierte Bauer über die größte Karnevalserfahrung, 1999 trat er in die KG Müllemer Junge ein, seit 2009 ist er bei der Narren-Zunft aktiv. Seine Frau ist Mitglied der Colombinen und wird Rosenmontag erstmals als Zugteilnehmerin erleben.
Wenn seine Frau sagt, „wir leben Karneval“, meint sie auch die musikalische Grundausrichtung im Hause Bulich. „Bei uns läuft das ganze Jahr kölsche Musik – kurz unterbrochen von Weihnachtsklängen“, sagt der designierte Bauer. Was Sohn Christopher derzeit am liebsten singt? „Dat is Heimat“ von den Räubern. (tho)
Das ist Jungfrau Stefan
Ein „harter Hund“ wollte Stefan Knepper (46) nie sein. An seinem zweiten Tag als Geschäftsführer eines Logistikunternehmens hatte sein Chef einst von ihm verlangt, dass er durch die Firmenhalle stolzieren und den Erstbesten feuern solle, der einen Fehler macht.
Bloß, um sich als gefürchtete Respektsperson einen Namen zu machen. „Ich habe mich dann sehr schnell woanders beworben“, erzählt er. In den kommenden Wochen wird er regelmäßig als „Ihre Lieblichkeit“ angekündigt werden, eine Rolle, die viel besser zu ihm passt. Denn Knepper ist die designierte Jungfrau im Dreigestirn.
Die Arbeit als Bestatter
Dass er heute als erfolgreicher Bestatter arbeitet, bezeichnet er selbst als Zufall. Er habe sich damals auf einen Geschäftsführer-Posten beworben, aber erst später die Branche erfahren. „Früher hätte ich mir das nie vorstellen können“, sagt er. Aber er hat die Herausforderung angenommen. Ähnlich wie nun im Dreigestirn. „Mich mit Kleid im Spiegel zu sehen, ist noch befremdlich, aber die Vorfreude ist immens“, sagt er.
Auch Frau Heike (46) und Tochter Marja (7) müssen sich noch ein wenig an den Anblick gewöhnen. Am heutigen Freitag wird sich das Trifolium aber erstmal im Anzug präsentieren. „Bammel habe ich schon, vor so vielen Leuten zu sprechen, ist nicht alltäglich“, gesteht er. Demnächst wird er vermutlich auch noch singen – „nur der große Tänzer bin ich nicht“.
Fan der Drei ???
Abends, wenn seine Frau neben ihm liest, taucht Stefan Knepper gerne in die Welt des kleinen amerikanischen Städtchens Rocky Beach ab. Dort sind die drei Fragezeichen beheimatet, Justus Jonas, Bob Andrews und Peter Shaw. Alle 185 Folgen hat Knepper auf seinem Smartphone gespeichert. „Der sprechende Totenkopf“ sei seine Lieblingsepisode, sagt der Bestatter. „Die ersten Folgen hatten noch einen anderen Charme“, meint er. Vor 15 Jahren hätte er sich sogar zugetraut, als Kandidat bei „Wetten dass“ aufzutreten und die Folgen anhand einer beliebigen Fünf-Sekunden-Sequenz zu erkennen. Top, die Wette gilt.
Der Rosenmontagszug war bislang eine Familienangelegenheit, denn auch seine Frau hat schon im Kostüm der Narren-Zunft Kamelle geworfen. Schon im Alter von 17 Jahren haben sie sich kennen gelernt, seit 1989 sind sie verheiratet und leben in Vogelsang. (tho)