Interview„Herr Kuckelkorn, brauchen wir wirklich ein Dreigestirn?“
- Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn (56) äußert sich im Gespräch mit Thorsten Moeck zur Session und den Auswirkungen des Virus’ auf die Zukunft des Fests.
Christoph Kuckelkorn: Darf ich die erste Frage stellen?Ja, bitte.Sie haben mit Ihrem kritischen Kommentar zum Dreigestirn die Vorlage für dieses Gespräch gegeben. Dennoch berichten Sie über die digitalen Formate, an denen das Dreigestirn ja auch teilnimmt. Wo stehen Sie denn nun?
Es war extrem unglücklich, dass die Proklamation des Dreigestirns auf den Tag fiel, an dem die höchste Corona-Todeszahl für Deutschland verkündet wurde. Ein Verzicht hätte dem Karneval nicht geschadet. Aber Sie sehen das anders.
Natürlich sind wir über das Zusammentreffen der beiden Ereignisse nicht glücklich. Fakt ist aber auch, dass sich Leben und Tod jeden Tag begegnen, das zeigt sich ja allein schon in meiner Person als Bestatter und Karnevalspräsident. Es sterben immer Menschen, aber plötzlich ist dieses Thema viel öffentlicher. Trotzdem ist es vielleicht genau in dieser Zeit wichtig, dass der Karneval als Konstante im Jahreskreis auftaucht. In einer Zeit, in der vieles in Frage gestellt wird. Dem Karneval kommt die Aufgabe zu, den Menschen ein wenig Ablenkung zu bringen. Und Zuversicht.
Zur Person
12 Rosenmontagszüge hat Christoph Kuckelkorn als Zugleiter verantwortet, 2017 wurde er zum Präsidenten des Festkomitee Kölner Karneval gewählt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder aus erster Ehe. Karneval liegt in der Familie, schon als 16-Jähriger wurde er bei den Blauen Funken aufgenommen.
Bekanntheit hat Kuckelkorn auch als Bestatter erlangt, er führt das Familienunternehmen in fünfter Generation. (tho)
Aber bislang funktionieren selbst kleine Veranstaltungen oder Besuche in Seniorenheimen nicht. Viele Menschen haben den Karneval abgehakt. Und die Existenz des Dreigestirns erinnert doch eher an all das, worauf schon wieder verzichtet werden muss.
Wir versuchen uns immer wieder funktionierende Formate zu überlegen und beispielsweise mit einem Lkw vor ein Seniorenheim zu fahren und die Menschen schauen aus den Fenstern. Das ist für die kommenden Wochen geplant und mit dem Gesundheitsamt abgestimmt. Auch das macht etwas mit den Menschen, was ich unglaublich wichtig finde. Vielleicht findet ein Besuch auch mal über das Krankenhaus-TV statt und wird in die Zimmer übertragen. Wir tun alles, dass die Hoffnung in der tristen Jahreszeit erhalten bleibt. Denn wir haben ja eine totale Tristesse in der Stadt. Und der Karneval bringt Farbe in die Stadt.
Bislang nur durch Farbfernsehen.
Aber vielleicht stellen wir Rosenmontag wieder die Großfiguren auf, damit die Leute daran erinnert werden, dass Rosenmontag ist. Vielleicht gehen auch Menschen im Kostüm zur Arbeit. Als Statement für das bunte Leben und den Karneval.
Wollen die Menschen dauernd an all das erinnert werden, worauf sie verzichten müssen? Das deprimiert doch auch.
Wir wollen die Menschen mit einem positiven Grundgefühl versorgen. Das gab es nach dem Krieg schon einmal. Da haben sich die Menschen in Deutschland auch gefragt: Was machen die Kölner da eigentlich? Wir haben doch jetzt Wichtigeres zu tun als Karneval zu feiern. Das kann man aber nicht ganz mit der jetzigen Situation vergleichen. Trotzdem ist der Karneval für die Menschen in der Stadt. Lebenselixier.
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Aber die Pandemie sorgt bei den Vereinen für ein Ungleichgewicht zwischen den reichen Korps, die sich TV-Produktionen leisten und kleinen Vereinen, bei denen kaum was stattfindet.
Da bin ich anderer Ansicht. Auch viele kleine Vereine fordern jetzt digitale Grußworte an, das Dreigestirn ist nahezu täglich im Studio, wir erstellen jetzt schon Drehpläne. Dadurch sind die unheimlich präsent. Wir versuchen gerade zu erfassen, wie viele Menschen wir dadurch erreichen. Auch unsere Sponsoren fragen an, und plötzlich nimmt das Dreigestirn digital an einer Dienstbesprechung teil und findet sich in einem Kontext, den es so bislang nicht gab. Aber klar, kleine Vereine leisten sich keine TV-Produktion, sondern schicken ihren Mitgliedern eine Mail mit einem Fünf-Minuten-Video des Dreigestirns. Das macht es sehr speziell. Und wir merken: die Leute wollen das. Dafür brauch es unbedingt ein Dreigestirn. Wir bekommen täglich Buchungsanfragen.
Und Sie stellen eine Kamera in die Hofburg?
Die Hofburg ist in diesem Jahr ja keine Übernachtungsstätte, sondern eher unser zentraler Anlaufpunkt für das Dreigestirn mit Corona-Testzentrum und Ankleideräumen. Wir sorgen für die Logistik und werden ein kleines Studio dort einrichten.
Es gab das Jahr über einen engen Austausch mit den rheinischen Karnevalsstädten Aachen, Bonn und Düsseldorf. Nun hat Köln ein Dreigestirn, Aachen macht gar nichts.
Wir befinden uns immer noch im Austausch. Es gibt ein Interesse daran, welche kleinen Formate bei uns stattfinden. Fernsehsitzungen und Rosenmontagszug wird es geben. Dank unserer professionellen Struktur können wir auch Hilfe anbieten.
Rosenmontag wird es deutschlandweit nur in Köln einen Zug geben. Mit dem Hänneschen-Theater wird ein Miniatur-Zug gebaut, eine charmante und kölsche Idee.
Vielleicht ist es sogar weltweit der einzige Zug, denn auch in Rio und Venedig fällt der Karneval aus. Der Zug wird hochpolitisch, dies alles können wir dieses Mal viel stärker zelebrieren. Sonst fährt der Wagen schnell vorbei, jetzt können wir die Wagen zwei Minuten auf der Bühne stehen und von den Stockpuppen kommentieren lassen. Da freue ich mich sehr drauf.
Der Zug wird also eine Theater-Aufführung mit vielen Textpassagen.
Genau, das muss alles genau geplant sein. Wir wollen auch viel von dem Rosenmontagsgefühl vermitteln, von der Vorberichterstattung, Interviews, der Eröffnung an der Hofburg. Dabei werden wir uns sicherlich auch selbst auf die Schippe nehmen. Das wird sehr süß. Die Wagenbauer fühlen sich wie die Retter des Karnevals. Und das sind sie auch an dieser Stelle.
Und der Festkomitee-Präsident wird zur Stockpuppe?
Das weiß ich nicht. Das Hänneschen-Theater stellt die Puppen und die Puppenspieler zur Verfügung, das Drehbuch ist eine Koproduktion zwischen den Darstellern, dem Zugleiter Holger Kirsch und den Kritzelköpp, unserer Kreativabteilung. Und die Wagen werden tatsächlich von den Wagenbauern erstellt. Ich wusste gar nicht, wie groß die Kulissen sind, die Severinstorburg ist drei Meter hoch.
Der Rosenmontagszug ist mit Tribünenwerbung und Teilnahmegebühren eine Haupteinnahmequelle für das Festkomitee. Welche finanziellen Folgen hat der Ausfall des echten Zugs?
Hinzu kommen die Kosten für die Produktion des neuen Mini-Zugs, das hat uns etwas erschrocken. Die Arbeitszeit der Wagenbauer ist ähnlich wie sonst, weil jetzt viel detailgetreuer gearbeitet werden kann. Finanziell ist es eine Herausforderung, aber wir haben in den vergangenen Jahren Rücklagen gebildet. Und unsere Sponsoren helfen uns. Und wir versuchen Spendenprojekte zu retten, die zu 100 Prozent vom Karneval abhängig sind. Wir schauen aber auch, wo es vielleicht irreparable Schäden gibt, weil Künstler in einen anderen Beruf gehen.
Die Planungen für die Session 2022 laufen schon. Auch der Kartenverkauf. Wie verändert Corona den Karneval?
Der Karneval hat kommendes Jahr vielleicht eine ganz besondere Aufgabe. Denn wir spüren, dass es sehr unterschiedliche Mentalitäten beim Umgang mit der Pandemie gibt. Selbst, wenn viele Menschen geimpft sind, muss man sie erst wieder mit Bedacht dahin führen, dass sie in eine volle Kneipe gehen. Ich hoffe, dass der Karneval auf den Prüfstand kommt. Manch ein Präsident wird sich vielleicht von ungeliebten Veranstaltungen trennen. Das wird uns helfen, dem Fest eine neue Ausrichtung zu geben.