Interview über Queerfeindlichkeit„Ein Wagen beim Kölner CSD reicht nicht“
Köln – „Andersrum in die Chefetage“ heißt ein Ratgeber für queere Menschen. Diana Haß hat mit dem Kölner Matthias Herzberg über sein Buch gesprochen.Es ist ist Pride-Monat, Wochen, in denen die queere Community sich auf ihr Selbstbewusstsein besinnt und auf die Straße geht.Am Sonntag jubeln wieder Abertausende der CSD-Parade zu. Das sieht nach Akzeptanz aus. Ist also ein Ratgeber für ein Offenlegen der sexuellen Identität im Jahr 2022 noch notwendig?
Leider ja. Und das ist schlimm. Ich habe in den letzten 17 Jahren als Coach ungefähr 10 000 Führungskräfte trainiert in meinen Seminaren und ich habe es mir irgendwann auch zur Angewohnheit gemacht, mich am Anfang zu outen. Mich hat es gewundert, dass sich in der ganzen Zeit nur 15 Leute geoutet haben. Aus Studien weiß ich, dass sich immer noch über 35 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im Arbeitsleben nicht outen. Das ist bei keinem Heterosexuellen so. Da gilt die sexuelle Orientierung einfach als normal. Man erzählt vom Wochenende, von den Kindern, hat ein Foto auf dem Schreibtisch stehen. Und das ist bei queeren Menschen ganz anders. Deshalb das Buch.
Zur Person
1975 wurde Matthias Herzberg geboren. Er ist Kommunikations- und Führungskräftetrainer sowie Geschäftsführer der best patterns GmbH.
Seine Kunden sind sowohl Top-Manager als auch Karrierestarter in Weltkonzernen, Mittelstand und Non-Profit-Organisationen.
Das Buch „Andersrum in die Chefetage“ ist im Verlag Lübbe erschienen und kostet 16,99 Euro. (dha)
Woran liegt diese Hemmung, sich offen zu zeigen?
An vielem, auch am Geist im Unternehmen. Wenn man als Führungskraft die Grundhaltung raushängen lässt: „Bei mir im Team gibt es nicht so jemanden“, dann ist klar, dass man sich nicht outet. Queere Menschen haben Angst, gemobbt und ausgeschlossen zu werden.
Gibt es immer noch Homophobie?
Das ist ein Begriff, den ich nicht mehr nutze. Denn eine Phobie ist eine Angststörung. Eigentlich heißt es Queerfeindlichkeit, die oft im Tarnmäntelchen von politischer Korrektheit daherkommt. Dann heißt es, darüber müsse man eigentlich nicht mehr reden, es sei doch schon so viel erreicht. Im Klartext heißt das aber: Lass mich mit dem Thema in Ruhe, das ist mir zu anstrengend.
Kennen Sie Diskriminierung und Mobbing weil sie schwul sind aus eigener Erfahrung?
Ja. Ich habe Aufträge verloren, weil ich schwul bin, zum Beispiel: Bei einem Seminar entglitt es einem Teilnehmer, der sagte: „Das ist aber ganz schön schwul.“ Da habe ich dem Teilnehmer gesagt, dass ich schwul bin. Dann gab es vom Personalreferenten vorgeschobene Gründe, um mich rauszukicken: Angeblich war das Problem, dass ich die Teilnehmenden geduzt hatte.
Im Buch gibt es viele persönliche Erfahrungen verschiedener Menschen. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass schwule Männer zuweilen die Karriere anderer Schwuler behindern …
Manche queere Menschen blockieren Karrieren von anderen aus der LGBTIQ-Community, weil sie nicht möchten, dass ihnen angelastet wird, sie hätten jemand aus den eigenen Reihen protegiert.
Sie erwähnen auch „Gaslighting“. Was steckt hinter dem Begriff?
Hinter süßbitteren Äußerungen wird Queerfeindlichkeit verborgen, nach dem Motto: „Bist du dir bewusst, wie du auf manche Gäste hier wirkst? Ich bin nur besorgt um dich …“ Das ist eine Strategie, die zutiefst verunsichern kann. Das ist richtig gemein. Richtig fies.
Was macht man dann am besten? Was empfehlen Sie Menschen in so einem Fall?
Da bin ich ein Freund von einer radikalen Eskalation. Konkret bedeutet das: Ich zeige selbst die Grenze auf und verbitte mir solche Bemerkungen. Bei Wiederholung sollte man Vorgesetzte oder die Antidiskriminierungsstelle des Bundes informieren.
Trotz vieler negativer Erfahrungen ermutigen Sie queere Menschen, sich am Arbeitsplatz zu outen. Warum?
Nicht trotz, sondern gerade deshalb. Wir müssen etwas ändern. Auf allen Ebenen. Aufstehen, aufklären, Rollenvorbild sein. Wir brauchen auch in den obersten Führungsetagen Vorbilder. Noch haben wir da ein Vakuum. Es gibt bis heute keinen geouteten Dax-Vorstand. Kein queeres Management-Bord.
Bringt es auch persönlich Vorteile, sich zu outen?
Auf jeden Fall. Immer wenn man etwas verbirgt, verbrennt das nicht nur Energie, man wird sogar psychisch krank. Wer nicht als ganzer Mensch zur Arbeit geht, bringt auch keine ganze Leistung. Dann gibt es immer einen inneren Alarmmodus. Die Folge ist, dass man nicht in seine volle Kraft kommt. Ich selbst habe auch zu lange gewartet. Das sagen ganz viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe. Aber wer sich im beruflichen Kontext nicht outet, macht sich angreifbar.
Sind wir auf einem guten Weg hin zu einer offenen Gesellschaft?
Einerseits gibt es Unternehmen, die sich super entwickeln. Da ist der Otto-Versand ganz weit vorn, Audi, VW, Porsche, SAP. Jetzt im Pride Monat haben wir zudem so einige Firmen, die ihre Pride-Fahnen aus dem Keller holen. Das ist ja schon ein guter erster Schritt. Wobei es hier auch nur um Marketing gehen kann, das nennt man dann Pinkwashing.
Was können Unternehmen konkret tun?
Es braucht mehr Aufklärung und auf alle Fälle Führungskräfte, die die Werte Vielfalt und Toleranz ernst nehmen. Sie können zum Beispiel auch Vielfalts-Netzwerke einrichten. Damit bieten sie eine Möglichkeit, sich während der Arbeitszeit auszutauschen. So ein Netzwerk ist ein Schutzraum. Straight Allies, also Heterosexuelle, die die LGBT-Bewegung unterstützen, können sich dort auch engagieren. Es reicht noch nicht, einen Wagen beim CSD rumfahren zu lassen.
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Und davon profitieren Unternehmen?
Ja. Da wo vielfältige Teams sind, gibt es mehr Innovation, mehr Kreativität, bessere Arbeitszufriedenheit und Ergebnisse. Es ist wichtig, dass Arbeitnehmer:innen sehen, sie sind willkommen. Gelebte Vielfalt hilft Firmen dabei, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Initiativen wie die STICKS AND STONES, eine Job-Messe für queerfreundliche Unternehmen, sind wichtig. Stuart Cameron, der die Messe veranstaltet, hat seit Jahren das Motto: „Arbeite, wo man dich feiert, nicht wo man dich toleriert.“
Ganz andere Frage: Sie sind mit dem Pfarrer der Antoniter-Kirche, Markus Herzberg, verheiratet. Wie ist es als Pfarrersmann?
Wenn man in einem Pfarrhaus lebt, dann ist das ja eine Dienstwohnung. Man braucht dafür einen Beschluss des Presbyteriums, der das erlaubt. Die Gemeinde steht zu uns. Auf der Straße richtet man mir ganz selbstverständlich Grüße an meinen Mann aus. Markus macht auch den Gottesdienst für den CSD am Samstag in der Antoniter Kirche. Er zeigt, wie Kirche auch sein kann, offen für alle, egal, wen sie lieben.